Und du nennst mich moralisierend?

Wahnsinn
Man mag das ja in deinem sozialen Umfeld so eng sehen. In meiner Welt gibts alle möglichen Varianten und keiner masst sich an, zu wissen, wie die Seelen anderer funktionieren
Liebe Elli,
es mag sein, dass in "Deiner Welt" niemand genau genug hin schaut und auch keine weiter als bis an den eigenen Gartenzaun gehende Erfahrungen mit Menschen hat, dass er keinen anderen einschätzen oder tatsächlich wirkende Dynamiken der Seele erkennen kann. Das bedarf jahrelanger Schulung und Erfahrung und eine innere Haltung jenseits der Moral. Moral ist immer nur in Relation zu dem System, dem jemand angehört. Insofern nimmt es mich nicht Wunder, wenn Du meine Hinweise auf tatsächlich wirkende Gesetzmäßigkeiten der Seele nur für eine andere beliebige "Meinung" nimmst. Das Gewissen, wie es wirkt, schert sich nach meiner erfahrung in der Arbeit mit zigtausend Menschen leider einen feuchten Kehricht um unsere Meinungen.
Ich habe die Dynamiken in menschlichen Systemen nun seit über 12 Jahren intensivst studiert und gehe bei meiner Darstellung einzig nach der beobachtbaren Wirkung. Und dabei haben sich eben einige Grund legende Gesetzmäßigkeiten immer wieder gezeigt.
Keineswegs waren meine Hinweise auf diese Dynamiken des Gewissens morlisierend gemeint oder eine erdachte Meinung.
Tatsache ist, dass sexuelle Kontakte (insbesondere heterosexuelle - vollen Vollzug vorausgesetzt) unauslöschbar verbinden. Wer einander "erkannt hat", bleibt ein Leben aneinander gebunden. Ausnahme: homosexuelle Kontakte und Kontakt mit Partnern, die unfruchtbar waren. Bei letzteren gibt es nach meiner Erfahrung unterschiedliche Dynamiken). Diese Bindungen wirken in sämtliche späteren Beziehungen, egal ob wir sie anerkennen. Teils machen sie sie unmöglich.
Mit der "Treue" ist das diesbezüglich also so eine Sache. So bald aus einem Seitensprung ein Kind entsteht ist die frühere Beziehung zuende. Dies gilt, auch wenn die Partner oberflächlich wieder zusammen finden. Meist ist das unausweichlich und der Partner gehört dann zu dem Partner, mit dem er/sie ein (das jüngste") Kind hat. Wird das nicht beachtet, dann hat das schlimme Wirkungen auf das Kind und die evtl. vorher vorhandenen Kinder mit dem früheren Partner. Aber hier muss man genau den Einzelfall anschauen.
Das führt - betrachtet man es von der Seite der systemischen Wiirkungen mit v.a. Blick auf die Kinder - mitunter zu für unseren Kulturkreis ungewohnten Lösungen: Ein Mann z.B., der zuerst mit einer Frau ein Kind hat, dann ein weiteres mit einer zweiten und dann wieder mit der ersten, (ich hatte mal so einen schwierigen Fall) muss beide zur Frau behalten und die Frauen müssen ishc den Mann "teilen", damit es den Kindern gut geht. Gleiches habe ich auch schon bei einem Mann gesehen, der gleichzeitig im Abstand von einigen Tagen mit zwei Frauen je ein Kind zeugte. Die gute Lösung war da, dass er mit beiden Frauen leben musste (nach dem Gesetz in unserem Kulturkreis verboten, wenn es staatlich durch die Ehe legitimiert werden soll). Bei Frauen habe ich diese Lösung noch nie auftauchen sehen, weil sie eben nicht von zwei Männern gleichzeitig ein Kind haben können. Zumindest habe ich bisher noch nie von zeitgleich gezeugten zweieiigen Zwillingen gehört. Aber wer weiß.... das wäre ein interessanter Fall - systemisch gesehen.
Mit Blick auf den Ausgleich von Geben und Nehmen in einer Beziehung kann ein Nebenverhältnis sogar Beziehungs-erhaltend wirken, wenn z.B. der Partner der Nebenbeziehung keine Kinder bekommen oder zeugen kann und somit die Hauptbeziehung insofern nicht gefährdet war. Ich habe bei Klienten Beziehungen gesehen, wo das so war. Auch gab es einmal eine Beziehung, wo eine Frau neben ihrem Mann (mit dem sie Kinder hatte) noch eine Frau hatte (hier zeigte sich aber später eine sog. systemische Verwechslung mit einer toten Schwester, von der sie nicht wusste). Auch da war es ohne negative Wirkung auf die ursprüngliche Beziehung. Diese Beispiele waren aber sehr speziell und sind so nicht zu verallgemeinern.
Natürlich ist Treue nur aus (moralisierender) Verpflichtung etwas, das ebenfalls ungute Wirkungen hat. Wer von seinem Partner Treue verlangt, schadet der Liebe. Deshalb sagte ich am Anfang: Ich liebe meine "bessere Hälfte"...
und das, was sie führt! Und genau das kann ich weder ermessen, noch kontrollieren. Wenn ich liebe, will ich doch, dass es dem Partner gut geht, oder nicht? Und genau so kann es doch seinen Platz haben, wenn mich das Wissen um einen "Seitensprung" stört und belastet. Wer seinem Partner von einer anderen Beziehung erzählt achten nicht nur ihn nicht, sondern auch nicht die andere Beziehung. Er versucht nur, das eigene Gewissen rein zu waschen. So billig ist das aber nicht zu haben.
Man kann sich das mal bildlich vorstellen:
- Einer hat ein Seitenverhältnis und verschweigt es dem Anderen und muss damit klar kommen, dass er dem ersten Partner evtl. weh tut- wer hat das Problem?
- Einer erzählt dem anderen von seiner anderen Beziehung auf der Suche nach Entlastung - wer hat dann das Problem?
Was wäre es andererseits für ein Anspruch, alle Bedürfnisse eines Partners befriedigen zu wollen/müssen. Und wer hat einen Anspruch auf Befriedigung aller seiner "Bedürfnisse" (wohl besser Wünsche)?
Und: wer (auf der Debene der Meinungen durchaus ja grundsätzlich legitim) so schreib und denkt wie Du, ist auf der anderen Seite auch nicht zu haben.
Es hat schon etwas Besonderes, dem Partner ehrlich vermitteln zu können; "meine Suche hat aufgehört und ich nehme Dich mit allem was und wie Du bist um den Preis, dass ich alle anderen nicht haben kann". Wird nicht eben dadurch, dass man sich so von der Beliebigkeit verabschiedet nicht erst die Beziehung und die Liebe wertvoll?
"Meine Suche hat aufgehört und du kannst mich ganz haben, wie auch ich dich ganz nehme - ohne Hintertürchen - mit allem, was wir für den Anderen haben und auch nicht haben." Vielleicht wird diese Beziehung eben durch den Verzicht auf dieses Beliebige erst wertvoll?
Sich alle Hintertüren offen halten zu wollen, heißt einerseits in der Jugend stecken zu bleiben und nicht erwachsen werden zu können und andererseits ist man für den Anderen gar nicht zu haben. Ein WIR kann so nicht dauerhaft entstehen.
Und schauen wir mal aus der Sicht der Kinder: wie mag es Kindern gehen, deren Eltern qua innerer Haltung signalisieren, dass sie nur "probieren" oder "auf Zeit" zusammen bleiben und eigentlich weiter suchen? Wie kann ein Kind da Halt finden? Ich habs noch nicht gesehen.
Bei Eltern, die sich derart beliebig hielten, habe ich allerdings Kinder gesehen, die verrückt geworden sind.
A.