Es darf nicht vergessen werden, dass der Christus-Jesus schon als kleines Kind viele Zeichen einer Individualität an sich trug, dem die kosmischen und geistigen Gesetzmäßigkeiten zutiefst vertraut waren und die er bereits durch seine kluge Redefähigkeit und durch erste Wundertaten vollkommen zu beherrschen und zu dirigieren bewies. Diese Tatsache wird von der jüngeren Kirche aus ihrer Lehre bewusst ausgeblendet und bis heute den Menschen vorenthalten. Aber bereits die ersten Kirchengelehrten, die noch echte, authentische Christen waren, begannen bereits wenige Jahrhunderte nach Golgatha u.a. die Kindheitserzählungen über den Jesusknaben von den offiziellen apostolischen Evangelien zu unterscheiden und jene als apokryph - verborgen, dunkel - und diese als kanonisch - anerkannt, regelrecht - zu deklarieren. Nicht aber aus eigennützigen Gründen, wie es die späteren vatikanischen Oberhäupter taten, sondern gerade aus ihrer bereits vorausgeahnten Sorge um die Verunglimpfung, Missdeutung und Unterschlagung durch deren Theologie.
Weshalb insbesondere die apokryphen Kindheitsevangelien des Jesusknaben nach wie vor weit schwieriger zugänglich sind als etwa die apokryphen "Neben-Evangelium" des Judas oder des Thomas, liegt jedem klar und deutlich auf der Hand, der nur annähernd mit authentischen(!) okkult-esoterischen Lehren und Grundsätzen vertraut ist und z.B. jene Aufzeichnungen liest, die über des 12jährigen Jesus Aufenthalt in Jerusalem und im Jerusalemer Tempel berichten. Diese können die oben gestellte Frage, wer Jesus Christus sei, in ein weiteres klares helles Licht rücken und das authentische Bild des göttlich-geistigen Welten-Lehrers vervollständigen, sicherlich aber auch von Grund auf revidieren und entzerren. Hier beispielhaft drei Auszüge aus dem sogenannten "Arabischen Kindheitsevangelium", entnommen den Legenden von der Kindheit Jesu, von Emil Bock und Elisabeth Oling Jellinek:
48. Es lebte nun in Jerusalem ein Mann namens Zachäus, der unterrichtete die Knaben. Der sprach zu Joseph: Warum bringst du mir den Jesusknaben nicht, dass ich ihn die Zeichen der Schrift lehre? Joseph sagte es ihm zu brachte es vor die hehre Maria. So führten sie denn Jesus vor den Lehrer.
Sobald der ihn erblickte, schrieb er ihm das Alphabet auf und gebot ihm, das Aleph zu sprechen. Und als er das Aleph gesprochen hatte, hieß er ihn das Beth sprechen. Da sprach der Weltenherr Jesus zu ihm: Sage mir zuvor die Bedeutung des Buchstaben Aleph und dann werde ich das Beth aussprechen. Als der Lehrer ihm Schläge geben wollte, setzte ihm der Weltenherr Jesus auseinander, was die Buchstaben Aleph und Beth alles bedeuten. Sodann, welche von den Buchstaben gerade und welche gedrehte Gestalt haben, welche in eine Schleife herumgeführt, welche punktiert und welche nicht punktiert werden, warum ein Buchstabe dem anderen vorangeht; und noch sehr vieles andere fing er an aufzuzählen und zu erklären, was der Lehrer selbst je weder gehört noch in einem Buche gelesen hatte.
Weiter sprach der Weltenherr Jesus zu dem Lehrer: Gib acht, was ich dir sage. Und er fing an, ganz klar und deutlich vorzutragen Aleph, Beth, Gimel, Daleth, bis hin zum Tau.
Der Lehrer verwunderte sich sehr und sprach: Dieser Knabe ist vor Noah geboren, das ist mein Urteil. Und er wandte sich zu Joseph und sprach: Du hast mir einen Knaben als Schüler gebracht, der gelehrter ist als alle Lehrer. Und zu der hehren Maria sprach er: Dieser dein Sohn bedarf keines Unterrichts. ...
51. Dort (im Jerusalemer Tempel) war auch ein Philosoph, der ein Sternenkundiger war. Er fragte den Weltenherrn Jesus, ob er die Sternenkunde sich erworben habe. Der Weltenherr Jesus antwortete ihm und legte ihm dar die Zahl der Sphären und der himmlischen Körper, das Wesen eines jeden und die Wirkensart eines jeden, was eines jeden Opposition bedeutet, was sie wirken, wenn sie im Dreieck oder Viereck oder im Sechseck stehen, was ihr gerader Lauf oder ihre Rückläufigkeit zu sagen hat, wie man die feinsten Abwägungen bei der Berechnung macht, was das Sechzigstel als Maß für einen Wert hat und vieles andere, was die Vernunft nicht begreift.
52. Unter den Philosophen war dort auch einer, der äußerst kundig war in den Naturwissenschaften und ihrer praktischen Anwendung. Als der den Weltenherrn Jesus fragte, ob er die Heilkunde studiert habe, antwortete er ihm und legte ihm dar die Physik und die Metaphysik, die Kunde vom Übersinnlichen und vom Untersinnlichen, das Wirken der Weltenkräfte im menschlichen Leibe, das Strömen der Säfte und ihr Wirken, die Zahl der Glieder und der Knochen, der Blutadern, der Pulsadern, der Nerven. Sodann die Wirkung des Warmen und Trockenen, des Kalten und Feuchten, was alles aus diesen vier Temperamenten entstehen kann, wie die Seele auf den Leib wirkt, welches die Sinne und Kräfte der Seele sind, wie im Organismus wirken die Fähigkeiten des Sprechens, der Gemütsbewegung, des Begehrens, schließlich wie die Mischung und Entmischung vor sich geht, und vieles andere, was keiner Kreatur Verstand begreift. Da erhob sich der Weise und sprach in Anbetung zu dem Weltenherrn Jesus: O Weltenherr, von jetzt ab will ich dein Schüler sein und dein Knecht. -
Der Bericht aus den kanonischen Schriften, wonach Jesu Eltern ihren 12jährigen Sohn drei Tage lang in Jerusalem verzweifelt gesucht und ihn alsdann im Tempel vorgefunden hatten, ist allgemein bekannt. Dessen Rechtfertigung auf die erregte Besorgnis seiner Eltern aber ist überaus rätselhaft und bleibt dem Leser der anerkannten Evangelien unverständlich. Allein, sie wird verstehbar, wenn man um jene geschilderten wundersamen Ereignisse weiß:
53. Als sie noch in all diese Gespräche vertieft waren, trat die hehre Herrin Maria herzu. Drei Tage war sie mit Joseph umhergeirrt auf der Suche nach Jesus. Nun sah sie ihn unter den Meistern sitzen, wie er sie bald fragte und bald ihnen Antworten gab, und sie sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das angetan? Sieh, dein Vater und ich, wir haben dich mit großer Mühsal gesucht.
Er aber sprach: Warum sucht ihr mich? Ihr wisst doch, dass ich sein muss in dem Hause, das mir mein Vater gegeben hat. - Sie aber verstanden die Worte nicht, die er zu ihnen sprach.
Da fragten die Meister Maria, ob dies ihr Sohn sei. Und als sie es bejahte, sprachen sie: Glücklich bist du, Maria, dass du diesen zur Welt gebracht. … -
Der 12jährige Jesus-Knabe, der alle Gelehrtheit der Welt in sich trug und die Eingeweihten der tiefsten Tempelmysterien mit seiner kosmisch-geistigen All-Weisheit zu schlichten und un-wissenden Schülern und Knechten macht! -
O ja, auch diesen Jesus gab es! Und bedenkt man, dass der kosmische Christus nur durch den Knaben, also noch außerhalb seines physischen Körpers sich offenbarte: Um wie vieles gewaltiger mag da seine Lehre in der leib-haftigen Inkarnation seinerselbst auf die Menschen gewirkt haben! -
Somit wird die ungeheure Furcht der RKK vor den apokryphen Kindheitsevangelien Jesu durchaus nachvollziehbar, zeichnet sich doch in ihnen jener Wesensaspekt des Christus-Prinzips ab, den sie seit nahezu zweitausend Jahren verleugnet. Ein Jesus, der schon als Säugling und Knabe den Glanz des spirituellen Königtums weithin ausstrahlt und sich als Welten-Meister der okkult-esoterischen Schule ausweist, ist mit dem Sohn eines armen bescheidenen Zimmermanns von provinziellem Bildungsstand eben unvereinbar, unvereinbar mit jenem Jesus-Bild, das die RKK als einzig wahres propagiert und unter allen Umständen aufrechterhalten will...
Quelle:
Emil Bock/Elisabeth Oling Jellinek: Legenden von der Kindheit Jesu,
OGHAM VERLAG. Nurmehr antiquarisch.