Hallo Opti,
habe gerade dein Zitat gelesen und hatte mich davor schon gefragt, was unsere Positionen hier im Thread unterscheidet. Vielleicht können wir das ja mal kurz darstellen.
"Das Verschwinden von Begierde, das Verschwinden von Haß, das Verschwinden von Verblendung, dies wird Nirvana genannt."
Also ich sehe das auch so. Aus der Sicht von Vipassana wird dies dadurch erreicht, dass der Praktizierende die Sankharas (der Anhaftung, Identifizierung, Begierde, Haß, etc. ) aufgelöst hat und jenes Vibrieren im gesamten Körper, über welches wir schon sprachen, eine Art Dauerzustand darstellt. Es gibt dann durchaus noch Gefühle und Emotionen - Karuna, Metta, ..., aber sie haften nicht an und der Gleichmut und der Atem bewahren vor neuer Anhaftung.
Mir scheint, es gibt aber auch einen Unterschied in unseren Positionen. Ich will deine Position damit jetzt nicht kritisieren, sondern ich möchte einfach einmal zurück fragen, ob Du das auch so siehst, dass wir uns hier etwas unterschiedlich erklären/sehen.
Ich werde einfach mal ein paar Punkte nennen und meine Position noch einmal kurz erläutern, vielleicht kannst Du ja dann etwas jeweils dazu sagen.
1. Sexsucht als Produkt der Sozialisation
Wir haben das ähnlich beschrieben, dass die Menschen in einer Sexsucht gefangen sind. Ich habe das vor allem auf die Sozialisation zurückgeführt - glaube jedoch auch, dass es dabei nicht nur um eine "Sexsucht", sondern um eine Sucht-Konstitution generell geht, die aus der Nicht-Verarbeitung von psychischen Traumata, Neurosen etc. folgt - und ich könnte mir durchaus "vorstellen", als Idee und Traum vielleicht auch, dass irgendwann die Menschen ihre Kinder von klein auf zu Buddhas erziehen werden, dass diese Sucht also gar nicht erst entstehen wird, sondern dass die Kinder von Beginn an die Reinheit der Enthaltsamkeit spüren werden. Es findet dann nicht dieser für unsere Gesellschaft typische Prozess der Vergiftung und eventuellen Entgiftung (Beginn des spirituellen Weges) statt, sondern der Weg führt gleich in die Freiheit - und es kommt dann auch nicht zu den typischen krisenhaften, sozialisationsbedingten Aufstieg- Abstieg-Problemen.
Aus dieser Sicht gibt es also keine a priori anthropologische Sexsucht, sondern sie ist sozialisationsbedingt, wobei ich natürlich eingestehe, dass es eine hohe Anforderung für die Gesellschaft bzw. die sozio-kulturelle Evolution darstellt, die Menschen
spirituell und frei zu sozialisieren.
2. Sexuelle Energie und spirituelle Energie
Du hast früher schon manchmal geschrieben, wenn ich das richtig erinnere, dass es für dich die Kundalini nicht gibt und auch das Wurzel-Chakra. Aus meiner sicht gibt es beides. Allerdings glaube ich auch, dass es zu Nibbana auch auf zahlreichen anderen Wegen ohne Kundalini kommen kann. Für dich ist der zentrale energetische Prozess, dass die sexuelle Energie (der Samen oder die Energie des Samens [Du hattest oben in Klammern diesen Unterschied bei der Übersetzung gemacht]) in spirituelle Energie umgewandelt wird, indem er/sie aufsteigt.
Ich habe meine Bedenken, was diese "sexuelle Energie" des Samens angeht und ich glaube, dass jedes Chakra durch eine spezifische Energie ausgezeichnet ist, sowohl das Sexual-Chakra als auch das Wurzel-, Bauch-, Herz- etc. Chakra.
Aus meiner Sicht kommt der Sexualität bzw. dem Sexual-Chakra hier kein ausgezeichnete, kein besonderer Stellenwert zu, sondern sie/es hat genauso eine Kraft und Energie wie die anderen Chakren auch. Wichtig ist natürlich, dass das Sexual-Chakra eines der unteren Chakren ist, die anderen also folglich darauf aufbauen. Ohne Urvertrauen (Wurzel-Chakra) oder ohne inneren Frieden (Sexual-Chakra) ist kein stabiler Aufstieg möglich.
Außerdem hast Du auch verdeutlicht, dass in zahlreichen Religionen Enthaltsamkeit praktiziert wird, deren spirituelle Praktiken die anderen Chakren nicht immer miteinbeziehen. (Wobei ich darauf hinweisen möchte, dass z.B. Weihrauch das Kronen-Chakra aktiviert).
Wie beurteilst du die Energie der anderen Chakren ? Was zeichnet die sexuelle Energie aus ?
3. Zwei Wege zur Enthaltsamkeit ?
Wenn ich deine Position richtig verstehe, dann betonst Du immer wieder, dass dieser Weg der Enthaltsamkeit dadurch eingeschlagen wird, dass man sich wirklich vollkommen geistig und körperlich enthält. Du hast dann zugestanden, dass es schon der inneren Einsicht und des Willens bedarf, um diesen Weg einzuschlagen, dass es nicht alleine von außen kommen darf, weil sonst zu starke Probleme auftreten können.
Ich habe heute auf einer "deutschen" Yoga-Seite den folgenden Text gefunden:
In der Auffassung des Yoga bedeutet 'Brahmacharya' Kontinenz, Kontrolle, Zurückhaltung (auch im Sinne der Enthaltsamkeit, Abstinenz), spirituelle Orientierung, die Transmutation und Sublimierung der sexuellen Energie (sowohl beim Mann als auch bei der Frau) in höhere, subtilere, spirituelle Bereiche. Kurz gefasst, bezweckt man durch Brahmacharya eine perfekte Kontrolle der sexuellen Energie zu erreichen, ohne aber die Möglichkeit der Ausübung der sexuellen Tätigkeit auszuschließen. Dem Yogi stehen somit zwei Möglichkeiten zur Verfügung:
1. auf die sexuelle Tätigkeit gänzlich zu verzichten, jedoch darauf zu achten, dass durch bestimmte Yoga-Techniken das sexuelle Potential in höhere Energieformen (wie z.B. Vitalität, innere Kraft, reine Liebe, mentale Kraft, Spiritualität) umgewandelt wird. Diese Techniken schließen folglich alle erotischen oder sexuellen Erlebnisse aus.
2. die sexuelle und erotische Tätigkeit von einem neuen Standpunkt aus zu betrachten und durchzuführen, indem man die vollkommene Kontrolle oder Kontinenz der sexuellen Funktion durch intelligente Ausübung dieser anstrebt.
Grundsätzlich verfolgt man den Orgasmus von der Ejakulation zu trennen, wobei die Ejakulation beliebig lange hinausgezögert wird, unabhängig von der Dauer, Intensität und Anzahl der sexuellen Kontakte. Die Ejakulation ist nur dann erwünscht wenn das Paar ein Kind bekommen möchte.
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann gestehst Du dem zweiten Weg auch eine Berechtigung, aber Du hältst ihn für den schwierigeren ? Und wie beurteilst Du diesen Text (Zitat) ?
Liebe Grüße
Energeia