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Der Unterschied zwischen dem Hinayana und dem Mahayana - Teil 1
Durch die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Wegen zur Buddhaschaft (Paccekabuddha, Savakabuddha, Sammasambuddha (Bodhisatta)), auf die ich später noch einmal eingehen möchte, stellte ich mir die Frage, wo eigentlich die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Hinayana und dem Mahayana sind, wie der Mahayana sich überhaupt entwickelte und was eigentlich unter dem "Mittleren Weg" zu verstehen ist, der ja bei der Entstehung des Mahayana eine sehr entscheidende Rolle gespielte.
Ein wichtiger Unterschied im Buddhismus besteht zwischen dem Hinayana und dem Mahayana. Der Hinayana (Theravada) ist die älteste und einzige noch ursprüngliche Form des Buddhismus. Er beruft sich auf die Lehren Buddhas. Der Hinayana-Buddhismus beruft sich vor allen Dingen auf den südbuddhistischen Kanon (Kanon - d.h. die Schriften, der Dreierkorb (Tripitaka), wurde vom buddhistischen Konzil anerkannt). Der süddbuddhistische Kanon wurde in der Sprache Pali, einem Vetterndialekt des Sanskrit, verfasst. Buddhhas Muttersprache dagegen war Magadhi, der Dialekt der Provinz Magadha (Bihar), in der Buddha aufgewachsen und 40 Jahre lang seine Lehre verkündete. Der Ausdruck südbuddhistischer Palikanon ist übrigens nur insofern gerechtfertigt, weil dieser Kanon sich besonders bei den Buddhisten in Südindien, Ceylon (Sri Lanka), Birma und Siam verbreitete. Die dem Palikanon zugrunde legenden Texte aber haben keinerlei Beziehung zum Süden, sie haben nicht einmal Kenntnis von Südindien oder Ceylon. Alles deutet darauf hin, dass die altbuddhistischen Palitexte in Nordindien entstanden und dann durch den Bruder König Asokas, nach anderer Überlieferung vom Sohn König Asokas, nach Ceylon gebracht wurden und dort ihre Verbreitung fanden. Der Palikanon ist wesentlich älter als der nordbuddhistische Sanskrit-Kanon, auf den sich der Mahayana-Buddhismus beruft.
Der Palikanon wurde in drei Konzilen, die im 5., 4. und 3. Jahrhundert vor Christus stattfanden, verabschiedet. Buddha lebte vermutlich zwischen 563 - 483 v. Chr.. Das 1. buddhistische Konzil fand kurz nach Buddhas Tod im Jahre 473 v. Chr. in Rajagriha statt. Im antiken Indien war Rajagriha (Pali: Rajagraha, heute: Rajgir) die Hauptstadt des Königreichs Magadha. Nach dem ersten buddhistischen Konzil löste Pataliputra (Pali: Pataliputta, heute: Patna) Rajagriha als Hauptstadt ab. Das 2. buddhistische Konzil fand 383 v. Chr. in Veasali (Indien) statt. Das 3. buddhistische Konzil fand 253 v. Chr. in Pataliputta (Indien) statt.
Der südbuddhistische Palikanon wurde zunächst nur mündlich überliefert. Erst der singhalesische König Vattagamani (die Singhalesen sind die größte ethnische Gruppe in Sri Lanka) ließ den Palikanon im 1. Jahrhundert v. Chr. Niederschreiben. Der Hinayana-Buddhismus bestand einst aus insgesamt 18 Schulen, von denen heute nur noch der Theravada-Buddhismus existiert.
Der nordbuddhistische Sanskrit-Kanon ist dagegen der wesentlich jüngere Kanon. Er entstand erst im 1. Jahrhundert n. Chr.. Der Sanskritkanon trägt genenüber dem wesentlich älterem Palikanon wesentlich sekundärere Züge. Die eingestreuten Palismen beweisen, dass der südbuddhistische Palikanon die Grundlage für den nordbuddhistischen Sanskritkanon war. Der nordbuddhistische Kanon hat sich vor allen Dingen zunächst in den Himalaya-Ländern, zunächst in Nepal und Tibet verbreitet, dann aber auch in der Mongolei, China und Japan.
Während sich aus dem südbuddhistischem Palikanon der Hinayana entwickelte, der sich auf die ursprüngliche Lehre Buddhas beruft, und der die Sprache des Pali beibehielt, ist der Sanskritkanon in die Sprachen seiner Heimatländer übersetzt worden. Aus dem Sanskritkanon ging dann der Mahayana hervor.
Aus dem Mahayana heraus entwickelte sich später der Vairayana, der im allgemeinen auch als tibetischer Buddhismus oder als tantrischer Buddhismus bezeichnet wird, der chinesische Chan-Buddhismus und der japanische Zen-Buddhismus. Der Vajrayana wird neben dem Hinayama und dem Mahayana als die dritte Hauptrichtung des Buddhismus betrachtet. Der Vajranaya stützt sich auf die philosophischen Grundlagen des Mahayana, auf den Mittleren Weg. Der Mittlere Weg beruht auf der Philosophie Nagarjunas, der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebte und der die Leere (Shunjata) in den Mittelpunkt seiner Philosophie stellte.
Quelle: Prof. Dr. habil Kurt Leider - Buddha
Die Philosophien der Sarvastivadin und der Sautrantikas
Um die Leerheit zu verstehen, muss man wissen, dass es zur Lebenszeit Nagarjunas zwei extreme Philosophien gab, die einerseits von den Sarvastivadin und andererseits von den Sautrantrikas vertreten wurden, die unterschiedliche Auffassung in den Grundelementen der Daseinsfaktoren (Daseinsfaktoren: 1. Körper, 2. Gefühl, 3. Wahrnehmung, 4. Wille, 5. Bewusstsein) hatten. Sowohl die Sarvastivadin als auch Sautrantrikas waren Vorläufer der Mahayana-Buddhismus. Die Sarvastavadin hatten sich nach dem 3. Konzil um 250 v. Chr. wegen Meinungsverschiedenheiten von den Tharavada-Buddhisten getrennt. Ihre Lehre bildete einen Übergang vom frühbuddhistischen Hinayana zum Mahayana. Die Sautrantrikas wiederum hatten sich um 150 v. Chr. von den Sarvastavadin getrennt. Beide Schulen gingen im 11./12. Jahrhundert n. Chr. mit dem Niedergang des Buddhismus und dem Aufkommen des Islam in Indien unter.
Die Sarvastivadins vertraten die Auffassung, dass er möglich war, die Daseinsfaktoren unmittelbar und direkt wahrzunehmen. Sie unterschieden 4 Stadien, die den Prozess der Vergänglichkeit durchliefen:
1. Entstehung
2. Dasein
3. Verfall
4. Zerstörung
Da die Existenz der Daseinsfaktoren stets mehrere Augenblicke andauerten, müssten sie auch in den Vergangenheit und Zukunft existent sein. Der heutige Zustand ist also auf bestimmte Bedingungen, die in der Vergangenheit auftraten, zurückzuführen. Und die heutigen Bedingungen bestimmen somit die Zukunft. Es gab den Sarvastivadin zufolge, eine direkte kausale Verbindung zwischen den Daseinsfaktoren und der Zeit. Damit sprachen sie den Daseinsfaktoren eine dauerhafte Eigenexistenz, eine Seele, zu. Die Daseinsfaktoren hatten also eine ewige Existenz und wechselten ihrer Auffassung nach, aus einem Zustand der Latenz, in der sie sich, je nach ihrer karmischen Bedingung, entweder in einem himmlischen Paradies oder einer Hölle aufhielten, wieder in die menschliche Existenz. Nachdem die Daseinsfaktoren für die Zeit des menschlichen Lebens wieder eine Bindung mit dem Leben eingehen, verlöschen sie mit dem Tode des Menschen nicht, sondern bleiben solange in ihrem Potentialität erhalten, bis sie erneut aktiviert werden. Erlösung entspricht im Sarvastivada dem Zustand, indem kein Daseinsfaktor mehr aktiviert wird. Damit kommt der Lebensstrom des Erlösten zum Stillstand, der als Nirvana bezeichnet wird. Die Sarvastivadin sprachen den Daseinsfaktoren also eine Eigenexistenz" zu (d. h., dass sie aus sich selbst heraus existieren können) und betrachteten sie als höchste Wirklichkeit (Gott). Mit anderen Worten kann also gesagt werden, dass die Sarastivadin der Reinkarnationslehre anhingen, während die Sautrantiker die Reinkarnationslehre ablehnten.
Die Sautrantikas kritisierten die Vorstellung einer (göttlichen) Eigenexistenz, die die Sarvastivadin den Darseinsfaktoren zusprachen. Dies war für die Sautrantikas ein Verstoß gegen Buddhas Anatta-Lehre (Nicht-Selbst), die die Existenz eines unveränderlichen Selbsts, einer Seele, ablehnte. Die Sautrantikas vertraten in Übereinstimmung mit den Theravadins eine Lehre der Augenblicklichkeit, demzufolge die Daseinsfaktoren im selben Moment entstehen und vergehen. Demnach besitzen die Daseinsfaktoren also weder zeitliche noch räumliche Ausdehnung und unterliegen keinem linearen Ursache-Wirkungs-Prinzip. Vor ihrem Entstehen waren sie nichtexistent und nach dem Erlöschen besitzen sie ebenfalls keine Existenz. Da die Daseinsfaktoren so kurzlebig sind, dass sie nicht unmittelbar wahrgenommen werden können, rückten sie das Bewusstsein ins Zentrum ihrer Analyse. Sie stellten sich einen Bewusstseinsstrom vor, in dem die Eindrücke der Daseinsfaktoren wahrgenommen und bewertet wurden. Erlösung bedeutete für die Sautrantikas, das Abreißen dieses Bewusstseinsstroms.
Man kann sich dieses vielleicht in etwa wie folgt vorstellen. Der Mensch erfährt durch die Wahrnehmungsfaktoren Angst, Leid und Schmerz, aber auch Lust und Freude. Sie entstehen und vergehen gewissermaßen gleichzeitig. Dadurch ergibt sich ein Bewusstseinsstrom, der die Empfindungen wahrnimmt und sie beurteilt. Erlösung stellt sich in dem Moment ein, indem man sich aus diesem Bewusstseinsstrom löst. Damit löst man sich sowohl von der Verhaftung an Leid und Schmerz, aber auch an die Verhaftungen von Lust und Freude. Alle diese emotionalen Zustände bestehen zwar weiterhin und man empfindet sie auch, aber man verhaftet sich nicht daran. Sie werden gewissermaßen als neutrale Empfindungen wahrgenommen.
Mir persönlich ist diese Betrachtung der Sautrantikas etwas zu theoretisch. Geht es im Endeffekt nicht darum, das Leid aus seinem Leben zu verbannen? Ich halte die Lebensfreude für etwas ganz natürliches, solange man nicht darin verhaftet. Ein gesunder Mensch wird eine ganze Menge Lebensfreude erfahren. Mir fallen in diesem Zusammenhang immer die Zugvögel ein. Wenn man sich einmal den Gesang der Zugvögel anhört, wenn sie nach dem Winter wieder aus dem Süden zu uns zurückkehren, so ist ihr Zwitschern von einer Lebensfreude geprägt, die man nur mit Seligkeit bezeichenen kann. Schaut man sich weiter an, mit welchem Übermut besonders junge Tiere den lieben langen Tag verbringen, so erkennt man, dass sie ebenfalls voller Lebensfreude sind. Die gleiche Wonne und Zufriedenheit kann man bei kleineren Kindern sehen. Sie strahlen vor Glück. Man muss sie einfach gerne haben.
Darum halte ich Glück und Zufriedenheit für etwas vollkommen normales. Das Problem ist das Leid, welches sich im Laufe unseres Lebens einschleicht und immer mehr Besitz von uns ergreift, bis es schließlich die Oberhand gewinnt und unser Lebensglück vertreibt. Dadurch verändert sich natürlich unser Empfinden, unser Bewusstseinstrom. War er ursprünglich gekennzeit von Lebensfreude, so ist er in späteren Lebensjahren oft vom Leid geprägt. Depressionen, psychosomatische Erkrankungen, Schmerz und Angst bestimmen dann vielfach unser Leben.
Was ist also zu tun? Wir müssen uns bemühen, die Ursachen des Leides zu beseitigen. Das meiste Leid wird in der Regel dadurch verursacht, dass wir uns durch unsere permanente sexuelle Aktivität der Lebensenergie berauben, die uns die Seligkeit bescherte, die wir einst besaßen. Unser sexuelles Verhalten, welches vielfach einen Suchtcharakter trägt, ist zwar nicht die alleinige Ursache für unser Unglücklichsein, aber sie ist die Hauptursache für unser Unglücklichsein. Daneben sind es die vielen emotionalen Verletzungen, die uns im Laufe des Leben zugefügt wurden, denen wir uns nicht gestellt haben und die deshalb nun aus dem Unterbewusstsein auf uns einwirken, die unser Unglücklichsein bedingen. Will man sich von diesen emotionalen Verletzungen befreien, dann muss man bereit sein, sich mit ihnen auseinander zu setzen. Das erfordert enorm viel Mut und Kraft, zumal man alles das, was man bisher hinuntergeschluckt hat, wieder an sich herankommen lassen muss. Man wird die Wut, die Trauer, die Verzweiflung erneut empfinden, die man seinerzeit hinunter geschluckt hat und man muss Wege finden, den Hass und die Tränen in die richtigen Kanäle zu leiten, um sie abzulegen.
Quelle: Sarvastivada
Quelle: Sautrantika
Durch die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Wegen zur Buddhaschaft (Paccekabuddha, Savakabuddha, Sammasambuddha (Bodhisatta)), auf die ich später noch einmal eingehen möchte, stellte ich mir die Frage, wo eigentlich die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Hinayana und dem Mahayana sind, wie der Mahayana sich überhaupt entwickelte und was eigentlich unter dem "Mittleren Weg" zu verstehen ist, der ja bei der Entstehung des Mahayana eine sehr entscheidende Rolle gespielte.
Ein wichtiger Unterschied im Buddhismus besteht zwischen dem Hinayana und dem Mahayana. Der Hinayana (Theravada) ist die älteste und einzige noch ursprüngliche Form des Buddhismus. Er beruft sich auf die Lehren Buddhas. Der Hinayana-Buddhismus beruft sich vor allen Dingen auf den südbuddhistischen Kanon (Kanon - d.h. die Schriften, der Dreierkorb (Tripitaka), wurde vom buddhistischen Konzil anerkannt). Der süddbuddhistische Kanon wurde in der Sprache Pali, einem Vetterndialekt des Sanskrit, verfasst. Buddhhas Muttersprache dagegen war Magadhi, der Dialekt der Provinz Magadha (Bihar), in der Buddha aufgewachsen und 40 Jahre lang seine Lehre verkündete. Der Ausdruck südbuddhistischer Palikanon ist übrigens nur insofern gerechtfertigt, weil dieser Kanon sich besonders bei den Buddhisten in Südindien, Ceylon (Sri Lanka), Birma und Siam verbreitete. Die dem Palikanon zugrunde legenden Texte aber haben keinerlei Beziehung zum Süden, sie haben nicht einmal Kenntnis von Südindien oder Ceylon. Alles deutet darauf hin, dass die altbuddhistischen Palitexte in Nordindien entstanden und dann durch den Bruder König Asokas, nach anderer Überlieferung vom Sohn König Asokas, nach Ceylon gebracht wurden und dort ihre Verbreitung fanden. Der Palikanon ist wesentlich älter als der nordbuddhistische Sanskrit-Kanon, auf den sich der Mahayana-Buddhismus beruft.
Der Palikanon wurde in drei Konzilen, die im 5., 4. und 3. Jahrhundert vor Christus stattfanden, verabschiedet. Buddha lebte vermutlich zwischen 563 - 483 v. Chr.. Das 1. buddhistische Konzil fand kurz nach Buddhas Tod im Jahre 473 v. Chr. in Rajagriha statt. Im antiken Indien war Rajagriha (Pali: Rajagraha, heute: Rajgir) die Hauptstadt des Königreichs Magadha. Nach dem ersten buddhistischen Konzil löste Pataliputra (Pali: Pataliputta, heute: Patna) Rajagriha als Hauptstadt ab. Das 2. buddhistische Konzil fand 383 v. Chr. in Veasali (Indien) statt. Das 3. buddhistische Konzil fand 253 v. Chr. in Pataliputta (Indien) statt.
Der südbuddhistische Palikanon wurde zunächst nur mündlich überliefert. Erst der singhalesische König Vattagamani (die Singhalesen sind die größte ethnische Gruppe in Sri Lanka) ließ den Palikanon im 1. Jahrhundert v. Chr. Niederschreiben. Der Hinayana-Buddhismus bestand einst aus insgesamt 18 Schulen, von denen heute nur noch der Theravada-Buddhismus existiert.
Der nordbuddhistische Sanskrit-Kanon ist dagegen der wesentlich jüngere Kanon. Er entstand erst im 1. Jahrhundert n. Chr.. Der Sanskritkanon trägt genenüber dem wesentlich älterem Palikanon wesentlich sekundärere Züge. Die eingestreuten Palismen beweisen, dass der südbuddhistische Palikanon die Grundlage für den nordbuddhistischen Sanskritkanon war. Der nordbuddhistische Kanon hat sich vor allen Dingen zunächst in den Himalaya-Ländern, zunächst in Nepal und Tibet verbreitet, dann aber auch in der Mongolei, China und Japan.
Während sich aus dem südbuddhistischem Palikanon der Hinayana entwickelte, der sich auf die ursprüngliche Lehre Buddhas beruft, und der die Sprache des Pali beibehielt, ist der Sanskritkanon in die Sprachen seiner Heimatländer übersetzt worden. Aus dem Sanskritkanon ging dann der Mahayana hervor.
Aus dem Mahayana heraus entwickelte sich später der Vairayana, der im allgemeinen auch als tibetischer Buddhismus oder als tantrischer Buddhismus bezeichnet wird, der chinesische Chan-Buddhismus und der japanische Zen-Buddhismus. Der Vajrayana wird neben dem Hinayama und dem Mahayana als die dritte Hauptrichtung des Buddhismus betrachtet. Der Vajranaya stützt sich auf die philosophischen Grundlagen des Mahayana, auf den Mittleren Weg. Der Mittlere Weg beruht auf der Philosophie Nagarjunas, der im 2. Jahrhundert n. Chr. lebte und der die Leere (Shunjata) in den Mittelpunkt seiner Philosophie stellte.
Quelle: Prof. Dr. habil Kurt Leider - Buddha
Die Philosophien der Sarvastivadin und der Sautrantikas
Um die Leerheit zu verstehen, muss man wissen, dass es zur Lebenszeit Nagarjunas zwei extreme Philosophien gab, die einerseits von den Sarvastivadin und andererseits von den Sautrantrikas vertreten wurden, die unterschiedliche Auffassung in den Grundelementen der Daseinsfaktoren (Daseinsfaktoren: 1. Körper, 2. Gefühl, 3. Wahrnehmung, 4. Wille, 5. Bewusstsein) hatten. Sowohl die Sarvastivadin als auch Sautrantrikas waren Vorläufer der Mahayana-Buddhismus. Die Sarvastavadin hatten sich nach dem 3. Konzil um 250 v. Chr. wegen Meinungsverschiedenheiten von den Tharavada-Buddhisten getrennt. Ihre Lehre bildete einen Übergang vom frühbuddhistischen Hinayana zum Mahayana. Die Sautrantrikas wiederum hatten sich um 150 v. Chr. von den Sarvastavadin getrennt. Beide Schulen gingen im 11./12. Jahrhundert n. Chr. mit dem Niedergang des Buddhismus und dem Aufkommen des Islam in Indien unter.
Die Sarvastivadins vertraten die Auffassung, dass er möglich war, die Daseinsfaktoren unmittelbar und direkt wahrzunehmen. Sie unterschieden 4 Stadien, die den Prozess der Vergänglichkeit durchliefen:
1. Entstehung
2. Dasein
3. Verfall
4. Zerstörung
Da die Existenz der Daseinsfaktoren stets mehrere Augenblicke andauerten, müssten sie auch in den Vergangenheit und Zukunft existent sein. Der heutige Zustand ist also auf bestimmte Bedingungen, die in der Vergangenheit auftraten, zurückzuführen. Und die heutigen Bedingungen bestimmen somit die Zukunft. Es gab den Sarvastivadin zufolge, eine direkte kausale Verbindung zwischen den Daseinsfaktoren und der Zeit. Damit sprachen sie den Daseinsfaktoren eine dauerhafte Eigenexistenz, eine Seele, zu. Die Daseinsfaktoren hatten also eine ewige Existenz und wechselten ihrer Auffassung nach, aus einem Zustand der Latenz, in der sie sich, je nach ihrer karmischen Bedingung, entweder in einem himmlischen Paradies oder einer Hölle aufhielten, wieder in die menschliche Existenz. Nachdem die Daseinsfaktoren für die Zeit des menschlichen Lebens wieder eine Bindung mit dem Leben eingehen, verlöschen sie mit dem Tode des Menschen nicht, sondern bleiben solange in ihrem Potentialität erhalten, bis sie erneut aktiviert werden. Erlösung entspricht im Sarvastivada dem Zustand, indem kein Daseinsfaktor mehr aktiviert wird. Damit kommt der Lebensstrom des Erlösten zum Stillstand, der als Nirvana bezeichnet wird. Die Sarvastivadin sprachen den Daseinsfaktoren also eine Eigenexistenz" zu (d. h., dass sie aus sich selbst heraus existieren können) und betrachteten sie als höchste Wirklichkeit (Gott). Mit anderen Worten kann also gesagt werden, dass die Sarastivadin der Reinkarnationslehre anhingen, während die Sautrantiker die Reinkarnationslehre ablehnten.
Die Sautrantikas kritisierten die Vorstellung einer (göttlichen) Eigenexistenz, die die Sarvastivadin den Darseinsfaktoren zusprachen. Dies war für die Sautrantikas ein Verstoß gegen Buddhas Anatta-Lehre (Nicht-Selbst), die die Existenz eines unveränderlichen Selbsts, einer Seele, ablehnte. Die Sautrantikas vertraten in Übereinstimmung mit den Theravadins eine Lehre der Augenblicklichkeit, demzufolge die Daseinsfaktoren im selben Moment entstehen und vergehen. Demnach besitzen die Daseinsfaktoren also weder zeitliche noch räumliche Ausdehnung und unterliegen keinem linearen Ursache-Wirkungs-Prinzip. Vor ihrem Entstehen waren sie nichtexistent und nach dem Erlöschen besitzen sie ebenfalls keine Existenz. Da die Daseinsfaktoren so kurzlebig sind, dass sie nicht unmittelbar wahrgenommen werden können, rückten sie das Bewusstsein ins Zentrum ihrer Analyse. Sie stellten sich einen Bewusstseinsstrom vor, in dem die Eindrücke der Daseinsfaktoren wahrgenommen und bewertet wurden. Erlösung bedeutete für die Sautrantikas, das Abreißen dieses Bewusstseinsstroms.
Man kann sich dieses vielleicht in etwa wie folgt vorstellen. Der Mensch erfährt durch die Wahrnehmungsfaktoren Angst, Leid und Schmerz, aber auch Lust und Freude. Sie entstehen und vergehen gewissermaßen gleichzeitig. Dadurch ergibt sich ein Bewusstseinsstrom, der die Empfindungen wahrnimmt und sie beurteilt. Erlösung stellt sich in dem Moment ein, indem man sich aus diesem Bewusstseinsstrom löst. Damit löst man sich sowohl von der Verhaftung an Leid und Schmerz, aber auch an die Verhaftungen von Lust und Freude. Alle diese emotionalen Zustände bestehen zwar weiterhin und man empfindet sie auch, aber man verhaftet sich nicht daran. Sie werden gewissermaßen als neutrale Empfindungen wahrgenommen.
Mir persönlich ist diese Betrachtung der Sautrantikas etwas zu theoretisch. Geht es im Endeffekt nicht darum, das Leid aus seinem Leben zu verbannen? Ich halte die Lebensfreude für etwas ganz natürliches, solange man nicht darin verhaftet. Ein gesunder Mensch wird eine ganze Menge Lebensfreude erfahren. Mir fallen in diesem Zusammenhang immer die Zugvögel ein. Wenn man sich einmal den Gesang der Zugvögel anhört, wenn sie nach dem Winter wieder aus dem Süden zu uns zurückkehren, so ist ihr Zwitschern von einer Lebensfreude geprägt, die man nur mit Seligkeit bezeichenen kann. Schaut man sich weiter an, mit welchem Übermut besonders junge Tiere den lieben langen Tag verbringen, so erkennt man, dass sie ebenfalls voller Lebensfreude sind. Die gleiche Wonne und Zufriedenheit kann man bei kleineren Kindern sehen. Sie strahlen vor Glück. Man muss sie einfach gerne haben.
Darum halte ich Glück und Zufriedenheit für etwas vollkommen normales. Das Problem ist das Leid, welches sich im Laufe unseres Lebens einschleicht und immer mehr Besitz von uns ergreift, bis es schließlich die Oberhand gewinnt und unser Lebensglück vertreibt. Dadurch verändert sich natürlich unser Empfinden, unser Bewusstseinstrom. War er ursprünglich gekennzeit von Lebensfreude, so ist er in späteren Lebensjahren oft vom Leid geprägt. Depressionen, psychosomatische Erkrankungen, Schmerz und Angst bestimmen dann vielfach unser Leben.
Was ist also zu tun? Wir müssen uns bemühen, die Ursachen des Leides zu beseitigen. Das meiste Leid wird in der Regel dadurch verursacht, dass wir uns durch unsere permanente sexuelle Aktivität der Lebensenergie berauben, die uns die Seligkeit bescherte, die wir einst besaßen. Unser sexuelles Verhalten, welches vielfach einen Suchtcharakter trägt, ist zwar nicht die alleinige Ursache für unser Unglücklichsein, aber sie ist die Hauptursache für unser Unglücklichsein. Daneben sind es die vielen emotionalen Verletzungen, die uns im Laufe des Leben zugefügt wurden, denen wir uns nicht gestellt haben und die deshalb nun aus dem Unterbewusstsein auf uns einwirken, die unser Unglücklichsein bedingen. Will man sich von diesen emotionalen Verletzungen befreien, dann muss man bereit sein, sich mit ihnen auseinander zu setzen. Das erfordert enorm viel Mut und Kraft, zumal man alles das, was man bisher hinuntergeschluckt hat, wieder an sich herankommen lassen muss. Man wird die Wut, die Trauer, die Verzweiflung erneut empfinden, die man seinerzeit hinunter geschluckt hat und man muss Wege finden, den Hass und die Tränen in die richtigen Kanäle zu leiten, um sie abzulegen.
Quelle: Sarvastivada
Quelle: Sautrantika