Na, die Formulierung "wahres" Christentum lässt ja schon vermuten, dass du damit eine sehr spezielle Auslegung meinst.Diese Jesus-Aussagen zeigen den besonderen Anspruch des wahren Christentums und Auflösungen von Grundsätzen im AT.
Die Sache bei der Befolgung dieser ganzen Gebote mit Steinigungsaufforderung, die Grey oben ausschnittsweise zitiert hat, ist aber ja, dass es da nicht um die Auge-um-Auge-Geschichten geht, und auch nicht um persönliches Verzeihen. Es ist der Auftrag an die GESELLSCHAFT, Leute zu eliminieren, die andere Vorstellungen pflegen und andere Götter anbeten. Und diese gesellschaftlichen Richtlinien löst Jesus laut Bibelzitaten nirgends auf. Hab ich zumindest nirgends gesehen.
Es ist ja nicht so, dass generell das Töten von ihm verworfen wird. Wenn er Dinge kritisiert, sind das eigentlich immer nur diejenigen Handlungen, die vom Einzelnen aus beispielsweise persönlicher Wut ausgeübt werden. Was vernünftig ist. Aber es ändert eben nichts daran, dass immer noch ein klarer Auftrag besteht, Menschen umzubringen, solange das durch Richtlinien vorgegeben ist, und nicht aus persönlicher Rache geschieht. Womit man natürlich für Letztere immer noch genügend Grundlage behält.
Es wird nirgendwo der jüdischen Gesellschaft das Recht abgesprochen, Menschen zu töten, wenn diese es wagen, das Falsche zu glauben, oder? Bzw. gegen andere Vorschriften zu verstoßen, die zum Teil sozial betrachtet Sinn ergeben, zum Teil doch eher Willkür sind. Insofern sehe ich wirklich nicht, wo Jesus da hingehen würde und Grundsätze des AT auflösen würde. Der Einzelne wird aufgefordert, nicht aus persönlichen Gründen zu meucheln, und an den Einzelnen werden Ansprüche gestellt wie die, die Familie zu verlassen, die andere Wange hinzuhalten etc. Das sind aber keine Grundsätze, das sind bloß Details, die das persönliche Leben betreffen.
Wirklich fundamentale Änderungen auf einer Grundsatzebene seh ich da von daher nicht. Und wenn die vorhanden gewesen wären, hätten die Chancen wohl auch gut gestanden, dass Jesus nicht lange genug tätig geblieben wäre, um zu einer Niederschrift von Teilen seiner Lehre überhaupt zu gelangen.
Das Christentum als Institution ist keine "Friedens"-Religion, es sei denn, man versteht darunter, dass Frieden dann vorherrschen würde, wenn allen Leuten, die andere Vorstellungen haben, erfolgreich der Schädel eingeschlagen ist. Was das Christentum, wenn überhaupt, in eine friedliche Position zwingt, ist, wie Grey schon geschrieben hat, eine Gesellschaft, die aufgrund ihrer aufgeklärten Sichtweise die ansonsten eigentlich gewünschte Gewalt nicht mehr gutheißt.
Wie ein Bekannter von mir mal in ähnlichem Sinne meinte: Töte einen Menschen und du bist ein Psychopath, töte hunderttausende und du bist ein Held. Die Aufforderung an den Einzelnen mag für das private Leben ja darin bestehen, nicht zu morden. Der Gesellschaft oder der Institution wird aber so eine Auflage nicht erteilt. Weswegen es zwar einem einzelnen Christen nicht ansteht, aus Rache zu töten; aber der Kirche eben schon, Kriege im Namen ihrer Vorstellungen zu führen.
Und Letzteres ist ja nun auch nicht sooo selten vorgekommen.
Wer davon dann die Einflüsse abzieht, die über die Aufklärung und Gesellschaft inzwischen im Christentum dafür sorgen, dass man gewisse Grundsätze so halt nicht mehr praktiziert, kommt eben da an, wo der Islam immer noch steht. Die paar Leute ausgenommen, die aber ebenfalls dank gesellschaftlicher Einflüsse inzwischen ähnlich weit von diesen Grundsätzen entfernt sind, wie das im Christentum zumindest hierzulande bei einer Mehrheit der Fall sein dürfte.
Wenn man eine der abrahamitischen Religionen als "friedlich" betrachten möchte, dann wäre das wohl das Judentum. Und das liegt auch schlicht und ergreifend daran, dass diese Religion eine Exklusive ist, soll heißen, man hineingeboren werden muss, um betroffen zu sein oder Mitglied werden zu können, je nach Sichtweise. Aber das liegt dann auch nicht daran, dass der Spaß so nett wäre. Sondern eben an der Exklusivität, die sowas wie gewaltsame Missionierung ziemlich sinnlos machen würde.
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