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jesus
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Gespräch von Claus Diem mit Peter Duesberg
Diem: Schildern Sie uns bitte, wie Sie zum Thema AIDS kamen!
Duesberg: Ich kam vor 35 Jahren an die University of California in Berkeley. Dort habe ich mich entschieden, Virologie zu machen und habe mich auf Retroviren konzentriert. Normale Viren töten befallene Zellen innerhalb kurzer Zeit, vielleicht in 8 Stunden. Retroviren hingegen sind Viren, die Zellen nicht töten. Sie sind in dem Sinn Vegetarier. Die meisten Viren sind Fleischfresser, die fressen die Zellen auf, machen sie kaputt. Aber die Retroviren nicht, diese koexistieren mit ihnen, ohne sie zu töten. Deshalb wurden sie damals als mögliche Krebserreger untersucht.
Diem: Retroviren bauen ihr genetisches Material in die DNA der Zelle ein. Heißt das, solange das Gen aktiv ist, produziert die Zelle fleißig Viren?
Duesberg: Fleißig kaum, in den meisten Fällen so wenig, dass es nicht einmal nachweisbar ist. Im Menschen hat man noch nie freie Retroviren nachgewiesen.
Diem: Zellen mit aktiven Retrovirengenen werden vom Immunsystem erkannt?
Duesberg: Ja, die Zelle wird dann mit den Antikörpern inaktiviert. Bevor dies passiert, findet man manchmal wohl ein freies Virus, jedenfalls sagen sie das. Ein Bild davon hat man nie gesehen.
Diem: Erfüllt denn eine Zelle, wenn sie von einem Retrovirus infiziert ist, noch ihre normale Funktion?
Duesberg: Ja, ganz normal. Wir Retrovirologen haben immer nach Relevanz gesucht, aber nie gefunden; erst später dann bei Krebs. Aber es gelang nicht, Retroviren für tödlichen Krebs verantwortlich zu machen. Dann kam AIDS. Und dann kam der Retter Gallo und hat gesagt: Lasst es mal mit dem Krebs, es ist jetzt wenigstens AIDS, jetzt verursacht HIV - ein Retrovirus - AIDS. Da lagen sofort zwei Probleme auf der Hand, die bei der sehr populären Pressekonferenz2 unterschlagen wurden. Das Erste ist, dass ein Retrovirus ja eigentlich keine Zelle töten kann. Das ist ja genau ihre Art, praktisch ihre Definition. Das Zweite ist, dass dieses Virus, dem eine tödliche Krankheit nachgesagt wurde, im Patienten praktisch unentdeckbar war. Besonders von Gallo. Das wurde ja der Skandal von Gallo: Er hatte in hunderten Patienten versucht, das Virus zu finden, und am Schluss ist es ihm nur in der Post vom Kollegen Montagnier gelungen.3 Deshalb haben sich die Forscher und die Doktoren und die Durban-Declarater darauf festgelegt, Antikörper zu jagen, anstatt Viren. Das ist nicht gerade das Selbe. Im Gegenteil! Viren lahmlegen, fesseln und neutralisieren, dies ist die Funktion der Antikörper. Danach zu suchen, als einen Grund für eine zukünftige Gefahr, ist zumindest ungewöhnlich. Also von vorne herein war die Hypothese von Gallo mit zwei erheblichen Problemen belastet, deren Lösung mindestens einen oder zwei Nobelpreise verdient hätte. Aber ungelöst ist es einfach nur eine wertlose Hypothese geblieben, so wie viele andere Hypothesen von Gallo, die sowohl vorher als auch nachher gekommen sind. So habe ich gedacht, dass wir hier mit ziemlicher Sicherheit auf der Spur einer neuen Gallo-Boom-und-Bust-Hypothese sind. Ich dachte, jetzt kommt die übliche Diskussion, und die werden mir sagen, »das war ein Irrtum« oder »wir wissen jetzt, wie man das beantwortet«. Aber hier sind wir nun, 16 Jahre später, und die Antwort steht aus. Neue Fragen sind auch unbeantwortet.
Diem: Die Pressekonferenz, auf der Gallo das Virus HIV vorgestellt hat, stand ja im Zeichen dieses neuen Syndroms, genannt AIDS. Können Sie erläutern, was sich hinter diesem Syndrom AIDS verbirgt und woher der Begriff AIDS kommt?
Duesberg: Der Name des Syndroms, Aquired Immune Deficiency Syndrome, ist etwas täuschend, vereinfacht, als wären alle diese Krankheiten Immunschwächekrankheiten. Das ist nicht ganz ehrlich. Denn von vorne herein war die Signalkrankheit von AIDS, d.h. die auffälligste und spezifischste, das Kaposi Sarkom. Dies ist ein Tumor, der fast nur bei Homosexuellen vorkam und auch heute fast nur bei denen diagnostiziert wird. Es gibt inzwischen viele andere Arten von AIDS-Patienten, unter anderem intravenöse Drogenbenutzer, Hämophile (Bluter) und sogar ein paar Frauen. Aber die kriegen alle kein Kaposi. Das sind immer nur die Homosexuellen. Und Krebs ist keine Immunschwächekrankheit. Das Immunsystem ist nicht aktiv gegen Krebs. Außerdem war Dementia (Schwachsinn) sowie Lymphom, das ist eine Art Leukämie, dabei. Das sind keine Immunschwächekrankheiten. Also: Die vereinfachende Gleichung, dass AIDS eine Immunschwächekrankheit ist, war von Beginn an nicht ganz richtig. Andere AIDS-Krankheiten wie Pilzerkrankungen, Pneumocystis, Lungenentzündung und Candida sind hingegen Immunschwächekrankheiten.
Diem: Nach der Entdeckung von HIV hat man eine Korrelation zwischen einer HIV-Infektion und den AIDS-Krankheiten gefunden.
Duesberg: Ich glaube, man könnte sehr gut andere Korrelationen finden. Die zensieren ja vieles weg. Ich habe bis 1993, als noch HIV-freie AIDS-Fälle gemeldet wurden, diese mal gesammelt, und da habe ich in der Literatur über 4.000 Fälle gefunden, die als AIDS diagnostiziert und beschrieben waren, die aber HIV-frei waren. Und bei denen wurden andere Viren verantwortlich gemacht: Cytomegalo-, Hepatitis-Viren. 1983 wurde von Gallo HTLV-I, ein Retrovirus, angeboten, das 1984 durch ein anderes, nämlich HIV, ersetzt wurde. Das sind alles seltene Viren, die in den Risikogruppen häufiger vorkommen. Die könnte man alle nehmen.
Diem: Und es gibt Korrelationen zwischen diesen Viren und den AIDS-Krankheiten, die genau so gut sind wie die Korrelation mit HIV?
Duesberg: Ja, in der gleichen Preislage. So gute Korrelationen, dass sie zum Teil dafür verantwortlich gemacht werden.
Diem: Und weshalb hat man dann gerade HIV für AIDS verantwortlich gemacht?
Duesberg: Es musste wohl ein Retrovirus sein. Die anderen waren längst ausreichend bekannt und deren Pathologie war bekannt. Es ist schwer, ein etabliertes Pathogen umzubuchen. Das lassen sich die Orthodoxien nicht gerne bieten. Es steht dann auch in den Lehrbüchern, dass das Virus dies und jenes macht. Dass es dann was anderes macht, ist schwer durchzusetzen. Aber bei einem, das noch unbekannt ist, hat man erst einmal freie Wahl. Und diese Art von Retroviren waren unbekannt, weil sie unentdeckbar waren. Die sind so selten, und selbst wenn sie vorkommen sind sie so inaktiv, in so geringer Zahl vorhanden, dass die Mittel nicht vorhanden waren, sie zu sehen. Heute kann man Sterne mit dem Hubble-Teleskop sehen, die man früher mit keinem Teleskop sehen konnte, weil sie so weit weg und so klein sind. Und so ist es auch in der Virologie. Man kann heute Viren sehen, die früher unmöglich entdeckbar waren, weil sie unter normalen Umständen nie etwas machen können, was man jemals finden würde. Aber das war nun gelungen, die Technologie war gerade zu diesem Zeitpunkt an einem Punkt angelangt, wo man ein völlig latentes Virus finden konnte. Und dann war natürlich die Versuchung unter den Virologen groß zu sagen: »Wir haben ein Fossil gefunden, einen Stern, der 50 Millionen Lichtjahre weg ist, den man mit dem bloßen Auge gar nicht sehen kann, von dem du einen tödlichen Sonnenbrand kriegen kannst. Wir haben natürlich einen tödlichen Virus gefunden!« Heutzutage ist AIDS ja so definiert, dass der Patient eine von 30 Krankheiten unter der Anwesenheit von HIV-Antikörpern hat. Damit hat man automatisch eine 100-prozentige Korrelation. Diese Korrelation ist nicht natürlich, sondern künstlich. Die sagen: Wenn Du Kaposi hast, dann hast Du nur dann AIDS, wenn Du Antikörper gegen HIV hast. Wenn Du Kaposi hast, 33 Jahre alt und homosexuell bist und in Soho in New York lebst und so und so viele Risikofaktoren sonst noch hast, wenn Du kein HIV dabei hast, dann interessierst Du uns nicht. Dann gehst Du nach nebenan zu den Kaposi-Leuten. Dann bist Du kein AIDS-Fall für uns. Und damit ist die Korrelation 100%. Das ist eigentlich keine Wissenschaft, das ist Wishful-Thinking, Täuschung.
Diem: Klassischer Weise gilt eine Mikrobe dann als Verursacher für eine Krankheit, wenn die Kochschen Postulate erfüllt sind. Diese lauten folgendermaßen: 1. Die Mikrobe muss in allen Patienten und in allem kranken Gewebe gefunden werden - und zwar in ausreichendem Maß zur Erklärung der Krankheit. 2. Die gereinigte Mikrobe muss isoliert werden und im Labor gezüchtet werden. 3. Die gereinigte Mikrobe muss die Krankheit in einem anderen Wirt auslösen. Im Aufsatz »The Evidence that HIV causes AIDS«4 (im Folgenden abgekürzt mit »Evidence«), herausgegeben vom NIH und anderen Organisationen des U.S. Department of Health and Human Services, wird behauptet, HIV erfülle diese Postulate.
Duesberg: Um das erste Postulat zu überprüfen, müsste man AIDS klinisch diagnostizieren, ohne Virologie. Und dann testet man auf das Virus.
Diem: In »Evidence« wird behauptet, »moderne Kultivierungsmethoden« hätten es erlaubt, HIV von so gut wie allen AIDS-Patienten zu isolieren.
Duesberg: Dies ist in meinen Augen ein Eingeständnis der Tatsache, dass das Virus in den meisten Fällen kaum nachweisbar ist.
Diem: Weiter heißt es, Polymerase Kettenreaktion (PCR) und andere »sophisticated molecular techniques« hätten es erlaubt, die Anwesenheit von HIV-Genen in so gut wie allen AIDS-Patienten festzustellen.
Duesberg: »Sophisticated« war wirklich nicht das, an was Koch gedacht hatte. Er hat ausdrücklich verlangt, dass das Virus in »ausreichendem Maße zur Erklärung der Krankheit« vorhanden sei.
Diem: Es heißt, HIV infiziere und zerstöre gerade die so genannten T-Zellen. Dadurch breche schließlich AIDS aus.
Duesberg: HIV infiziert nie mehr als etwa eine von 500 T-Zellen. Selbst wenn es diese »zerstört«, bleiben 499 von 500 von HIV unzerstört. D.h., etwas anderes als HIV muss die große Mehrheit der von AIDS Patienten verlorenen T-Zellen zerstören. Außerdem infiziert HIV Darmzellen, Monozyten, Fibroblasten, B-Zellen, dentritische Zellen sowie Affenzellen usw., das HI-Virus wird ja nach dem Patent von Gallo in T-Zellen und anderen Zellen produziert. Und diese Zellen leben seit 15 Jahren und produzieren viel mehr Viren als je im Menschen gefunden wurde, und es geht ihnen seht gut. Das ist gerade das, was Gallo vor dem Patentbüro beschworen hat, dass seine Zellen nie sterben.
Diem: Zum 3. Postulat.
Duesberg: Das gereinigte Virus müsste in einem Tier oder einem Menschen die Krankheit auslösen. Man hat die Tierversuche gemacht. Man hat Schimpansen infiziert - und keiner von denen hat bisher AIDS bekommen. Sie sind asymptomatisch.
Diem: Nun steht in der Durban-Declaration, dass es ein so genanntes »Affen-AIDS« gibt, also einen anderen Virus, der AIDS bei Affen auslöse.
Duesberg: Eigentlich sollte man das von vorne herein rausschmeißen als indiskutabel. Das ist nicht im Rahmen von Kochschen Postulaten. Ein anderes Virus in einem anderen Wirt ist nur noch eine Analogie. Und mit Analogien kann man eigentlich nichts beweisen.
Diem: Welche Krankheiten löst dieses Virus denn aus?
Duesberg: Das wird dabei nie gesagt. Das hat noch nie eine der typischen AIDS-Krankheiten gemacht. Typischerweise bekommen die Affen Fieber und Gewichtsverlust.
Diem: Die Frage ist auch, ob die Krankheiten auftraten, als der Virus aktiv oder latent war.
Duesberg: Die Fälle, die ich gesehen habe, waren akute Virusinfektionen. Ein neugeborenes Tier, das noch keine Antikörper herstellt, wird infiziert - und das Virus kann sich dann sehr leicht darin vermehren. Und was dabei nie gesagt wird: 50% dieser Affenart sind in der Natur mit diesem Virus infiziert - und die haben alle keine Krankheiten. Ein in der Gefangenschaft als Baby infiziertes Tier ist ein sehr künstliches Modell. Man kann das 3. Postulat auch epidemologisch untersuchen. Da braucht man sich ja nur genügend viele noch unsymptomatische Infizierte vornehmen und diese untersuchen und beobachten, wie häufig und wie schnell die AIDS bekommen. Das wäre das leichteste und billigste Experiment. Ich habe das auch Präsident Mbeki vorgeschlagen: einfach Positive überwachen. Nimmt er Drogen, hat er einen anderen Risikofaktor, ist er positiv, wann kriegt er AIDS? Die haben ja die Latenzperiode immer weiter herrausgeschoben. Das ist auch ein totales Artefakt. Da gibt es keine Logik zwischen einer Virusinfektion heute und einer Krankheit 10 Jahre später.
Diem: Außer, wenn das Immunsystem sehr geschwächt ist.
Duesberg: Nein, das ist etwas anderes, wenn der Virus etwas gleich macht und nachher wieder macht. Das gibt es. Es gibt primäre und dann sekundäre Infektionen, weil der Virus nicht völlig eliminiert wird, sondern latent werden kann - und dann reaktiviert wird. Aber es gibt kein Beispiel für einen Virus, der stets erst 10 Jahre nach der Infektion ein Phänomen hervorruft.
Diem: Und wenn das Immunsystem zerstört ist?
Duesberg: Wenn das Immunsystem schon zerstört ist, kann eine Krankheit manchmal auch zum ersten Mal ausbrechen. Hinzu kommt noch, dass die AIDS Patienten gar keine akute Infektion haben, sondern nur latente Viren oder sogar nur Antikörper. Aber allein die Latenzperiode ist ein totales Artefakt. Das basiert auf völlig wilden Annahmen.
Diem: Schildern Sie uns bitte, wie Sie zum Thema AIDS kamen!
Duesberg: Ich kam vor 35 Jahren an die University of California in Berkeley. Dort habe ich mich entschieden, Virologie zu machen und habe mich auf Retroviren konzentriert. Normale Viren töten befallene Zellen innerhalb kurzer Zeit, vielleicht in 8 Stunden. Retroviren hingegen sind Viren, die Zellen nicht töten. Sie sind in dem Sinn Vegetarier. Die meisten Viren sind Fleischfresser, die fressen die Zellen auf, machen sie kaputt. Aber die Retroviren nicht, diese koexistieren mit ihnen, ohne sie zu töten. Deshalb wurden sie damals als mögliche Krebserreger untersucht.
Diem: Retroviren bauen ihr genetisches Material in die DNA der Zelle ein. Heißt das, solange das Gen aktiv ist, produziert die Zelle fleißig Viren?
Duesberg: Fleißig kaum, in den meisten Fällen so wenig, dass es nicht einmal nachweisbar ist. Im Menschen hat man noch nie freie Retroviren nachgewiesen.
Diem: Zellen mit aktiven Retrovirengenen werden vom Immunsystem erkannt?
Duesberg: Ja, die Zelle wird dann mit den Antikörpern inaktiviert. Bevor dies passiert, findet man manchmal wohl ein freies Virus, jedenfalls sagen sie das. Ein Bild davon hat man nie gesehen.
Diem: Erfüllt denn eine Zelle, wenn sie von einem Retrovirus infiziert ist, noch ihre normale Funktion?
Duesberg: Ja, ganz normal. Wir Retrovirologen haben immer nach Relevanz gesucht, aber nie gefunden; erst später dann bei Krebs. Aber es gelang nicht, Retroviren für tödlichen Krebs verantwortlich zu machen. Dann kam AIDS. Und dann kam der Retter Gallo und hat gesagt: Lasst es mal mit dem Krebs, es ist jetzt wenigstens AIDS, jetzt verursacht HIV - ein Retrovirus - AIDS. Da lagen sofort zwei Probleme auf der Hand, die bei der sehr populären Pressekonferenz2 unterschlagen wurden. Das Erste ist, dass ein Retrovirus ja eigentlich keine Zelle töten kann. Das ist ja genau ihre Art, praktisch ihre Definition. Das Zweite ist, dass dieses Virus, dem eine tödliche Krankheit nachgesagt wurde, im Patienten praktisch unentdeckbar war. Besonders von Gallo. Das wurde ja der Skandal von Gallo: Er hatte in hunderten Patienten versucht, das Virus zu finden, und am Schluss ist es ihm nur in der Post vom Kollegen Montagnier gelungen.3 Deshalb haben sich die Forscher und die Doktoren und die Durban-Declarater darauf festgelegt, Antikörper zu jagen, anstatt Viren. Das ist nicht gerade das Selbe. Im Gegenteil! Viren lahmlegen, fesseln und neutralisieren, dies ist die Funktion der Antikörper. Danach zu suchen, als einen Grund für eine zukünftige Gefahr, ist zumindest ungewöhnlich. Also von vorne herein war die Hypothese von Gallo mit zwei erheblichen Problemen belastet, deren Lösung mindestens einen oder zwei Nobelpreise verdient hätte. Aber ungelöst ist es einfach nur eine wertlose Hypothese geblieben, so wie viele andere Hypothesen von Gallo, die sowohl vorher als auch nachher gekommen sind. So habe ich gedacht, dass wir hier mit ziemlicher Sicherheit auf der Spur einer neuen Gallo-Boom-und-Bust-Hypothese sind. Ich dachte, jetzt kommt die übliche Diskussion, und die werden mir sagen, »das war ein Irrtum« oder »wir wissen jetzt, wie man das beantwortet«. Aber hier sind wir nun, 16 Jahre später, und die Antwort steht aus. Neue Fragen sind auch unbeantwortet.
Diem: Die Pressekonferenz, auf der Gallo das Virus HIV vorgestellt hat, stand ja im Zeichen dieses neuen Syndroms, genannt AIDS. Können Sie erläutern, was sich hinter diesem Syndrom AIDS verbirgt und woher der Begriff AIDS kommt?
Duesberg: Der Name des Syndroms, Aquired Immune Deficiency Syndrome, ist etwas täuschend, vereinfacht, als wären alle diese Krankheiten Immunschwächekrankheiten. Das ist nicht ganz ehrlich. Denn von vorne herein war die Signalkrankheit von AIDS, d.h. die auffälligste und spezifischste, das Kaposi Sarkom. Dies ist ein Tumor, der fast nur bei Homosexuellen vorkam und auch heute fast nur bei denen diagnostiziert wird. Es gibt inzwischen viele andere Arten von AIDS-Patienten, unter anderem intravenöse Drogenbenutzer, Hämophile (Bluter) und sogar ein paar Frauen. Aber die kriegen alle kein Kaposi. Das sind immer nur die Homosexuellen. Und Krebs ist keine Immunschwächekrankheit. Das Immunsystem ist nicht aktiv gegen Krebs. Außerdem war Dementia (Schwachsinn) sowie Lymphom, das ist eine Art Leukämie, dabei. Das sind keine Immunschwächekrankheiten. Also: Die vereinfachende Gleichung, dass AIDS eine Immunschwächekrankheit ist, war von Beginn an nicht ganz richtig. Andere AIDS-Krankheiten wie Pilzerkrankungen, Pneumocystis, Lungenentzündung und Candida sind hingegen Immunschwächekrankheiten.
Diem: Nach der Entdeckung von HIV hat man eine Korrelation zwischen einer HIV-Infektion und den AIDS-Krankheiten gefunden.
Duesberg: Ich glaube, man könnte sehr gut andere Korrelationen finden. Die zensieren ja vieles weg. Ich habe bis 1993, als noch HIV-freie AIDS-Fälle gemeldet wurden, diese mal gesammelt, und da habe ich in der Literatur über 4.000 Fälle gefunden, die als AIDS diagnostiziert und beschrieben waren, die aber HIV-frei waren. Und bei denen wurden andere Viren verantwortlich gemacht: Cytomegalo-, Hepatitis-Viren. 1983 wurde von Gallo HTLV-I, ein Retrovirus, angeboten, das 1984 durch ein anderes, nämlich HIV, ersetzt wurde. Das sind alles seltene Viren, die in den Risikogruppen häufiger vorkommen. Die könnte man alle nehmen.
Diem: Und es gibt Korrelationen zwischen diesen Viren und den AIDS-Krankheiten, die genau so gut sind wie die Korrelation mit HIV?
Duesberg: Ja, in der gleichen Preislage. So gute Korrelationen, dass sie zum Teil dafür verantwortlich gemacht werden.
Diem: Und weshalb hat man dann gerade HIV für AIDS verantwortlich gemacht?
Duesberg: Es musste wohl ein Retrovirus sein. Die anderen waren längst ausreichend bekannt und deren Pathologie war bekannt. Es ist schwer, ein etabliertes Pathogen umzubuchen. Das lassen sich die Orthodoxien nicht gerne bieten. Es steht dann auch in den Lehrbüchern, dass das Virus dies und jenes macht. Dass es dann was anderes macht, ist schwer durchzusetzen. Aber bei einem, das noch unbekannt ist, hat man erst einmal freie Wahl. Und diese Art von Retroviren waren unbekannt, weil sie unentdeckbar waren. Die sind so selten, und selbst wenn sie vorkommen sind sie so inaktiv, in so geringer Zahl vorhanden, dass die Mittel nicht vorhanden waren, sie zu sehen. Heute kann man Sterne mit dem Hubble-Teleskop sehen, die man früher mit keinem Teleskop sehen konnte, weil sie so weit weg und so klein sind. Und so ist es auch in der Virologie. Man kann heute Viren sehen, die früher unmöglich entdeckbar waren, weil sie unter normalen Umständen nie etwas machen können, was man jemals finden würde. Aber das war nun gelungen, die Technologie war gerade zu diesem Zeitpunkt an einem Punkt angelangt, wo man ein völlig latentes Virus finden konnte. Und dann war natürlich die Versuchung unter den Virologen groß zu sagen: »Wir haben ein Fossil gefunden, einen Stern, der 50 Millionen Lichtjahre weg ist, den man mit dem bloßen Auge gar nicht sehen kann, von dem du einen tödlichen Sonnenbrand kriegen kannst. Wir haben natürlich einen tödlichen Virus gefunden!« Heutzutage ist AIDS ja so definiert, dass der Patient eine von 30 Krankheiten unter der Anwesenheit von HIV-Antikörpern hat. Damit hat man automatisch eine 100-prozentige Korrelation. Diese Korrelation ist nicht natürlich, sondern künstlich. Die sagen: Wenn Du Kaposi hast, dann hast Du nur dann AIDS, wenn Du Antikörper gegen HIV hast. Wenn Du Kaposi hast, 33 Jahre alt und homosexuell bist und in Soho in New York lebst und so und so viele Risikofaktoren sonst noch hast, wenn Du kein HIV dabei hast, dann interessierst Du uns nicht. Dann gehst Du nach nebenan zu den Kaposi-Leuten. Dann bist Du kein AIDS-Fall für uns. Und damit ist die Korrelation 100%. Das ist eigentlich keine Wissenschaft, das ist Wishful-Thinking, Täuschung.
Diem: Klassischer Weise gilt eine Mikrobe dann als Verursacher für eine Krankheit, wenn die Kochschen Postulate erfüllt sind. Diese lauten folgendermaßen: 1. Die Mikrobe muss in allen Patienten und in allem kranken Gewebe gefunden werden - und zwar in ausreichendem Maß zur Erklärung der Krankheit. 2. Die gereinigte Mikrobe muss isoliert werden und im Labor gezüchtet werden. 3. Die gereinigte Mikrobe muss die Krankheit in einem anderen Wirt auslösen. Im Aufsatz »The Evidence that HIV causes AIDS«4 (im Folgenden abgekürzt mit »Evidence«), herausgegeben vom NIH und anderen Organisationen des U.S. Department of Health and Human Services, wird behauptet, HIV erfülle diese Postulate.
Duesberg: Um das erste Postulat zu überprüfen, müsste man AIDS klinisch diagnostizieren, ohne Virologie. Und dann testet man auf das Virus.
Diem: In »Evidence« wird behauptet, »moderne Kultivierungsmethoden« hätten es erlaubt, HIV von so gut wie allen AIDS-Patienten zu isolieren.
Duesberg: Dies ist in meinen Augen ein Eingeständnis der Tatsache, dass das Virus in den meisten Fällen kaum nachweisbar ist.
Diem: Weiter heißt es, Polymerase Kettenreaktion (PCR) und andere »sophisticated molecular techniques« hätten es erlaubt, die Anwesenheit von HIV-Genen in so gut wie allen AIDS-Patienten festzustellen.
Duesberg: »Sophisticated« war wirklich nicht das, an was Koch gedacht hatte. Er hat ausdrücklich verlangt, dass das Virus in »ausreichendem Maße zur Erklärung der Krankheit« vorhanden sei.
Diem: Es heißt, HIV infiziere und zerstöre gerade die so genannten T-Zellen. Dadurch breche schließlich AIDS aus.
Duesberg: HIV infiziert nie mehr als etwa eine von 500 T-Zellen. Selbst wenn es diese »zerstört«, bleiben 499 von 500 von HIV unzerstört. D.h., etwas anderes als HIV muss die große Mehrheit der von AIDS Patienten verlorenen T-Zellen zerstören. Außerdem infiziert HIV Darmzellen, Monozyten, Fibroblasten, B-Zellen, dentritische Zellen sowie Affenzellen usw., das HI-Virus wird ja nach dem Patent von Gallo in T-Zellen und anderen Zellen produziert. Und diese Zellen leben seit 15 Jahren und produzieren viel mehr Viren als je im Menschen gefunden wurde, und es geht ihnen seht gut. Das ist gerade das, was Gallo vor dem Patentbüro beschworen hat, dass seine Zellen nie sterben.
Diem: Zum 3. Postulat.
Duesberg: Das gereinigte Virus müsste in einem Tier oder einem Menschen die Krankheit auslösen. Man hat die Tierversuche gemacht. Man hat Schimpansen infiziert - und keiner von denen hat bisher AIDS bekommen. Sie sind asymptomatisch.
Diem: Nun steht in der Durban-Declaration, dass es ein so genanntes »Affen-AIDS« gibt, also einen anderen Virus, der AIDS bei Affen auslöse.
Duesberg: Eigentlich sollte man das von vorne herein rausschmeißen als indiskutabel. Das ist nicht im Rahmen von Kochschen Postulaten. Ein anderes Virus in einem anderen Wirt ist nur noch eine Analogie. Und mit Analogien kann man eigentlich nichts beweisen.
Diem: Welche Krankheiten löst dieses Virus denn aus?
Duesberg: Das wird dabei nie gesagt. Das hat noch nie eine der typischen AIDS-Krankheiten gemacht. Typischerweise bekommen die Affen Fieber und Gewichtsverlust.
Diem: Die Frage ist auch, ob die Krankheiten auftraten, als der Virus aktiv oder latent war.
Duesberg: Die Fälle, die ich gesehen habe, waren akute Virusinfektionen. Ein neugeborenes Tier, das noch keine Antikörper herstellt, wird infiziert - und das Virus kann sich dann sehr leicht darin vermehren. Und was dabei nie gesagt wird: 50% dieser Affenart sind in der Natur mit diesem Virus infiziert - und die haben alle keine Krankheiten. Ein in der Gefangenschaft als Baby infiziertes Tier ist ein sehr künstliches Modell. Man kann das 3. Postulat auch epidemologisch untersuchen. Da braucht man sich ja nur genügend viele noch unsymptomatische Infizierte vornehmen und diese untersuchen und beobachten, wie häufig und wie schnell die AIDS bekommen. Das wäre das leichteste und billigste Experiment. Ich habe das auch Präsident Mbeki vorgeschlagen: einfach Positive überwachen. Nimmt er Drogen, hat er einen anderen Risikofaktor, ist er positiv, wann kriegt er AIDS? Die haben ja die Latenzperiode immer weiter herrausgeschoben. Das ist auch ein totales Artefakt. Da gibt es keine Logik zwischen einer Virusinfektion heute und einer Krankheit 10 Jahre später.
Diem: Außer, wenn das Immunsystem sehr geschwächt ist.
Duesberg: Nein, das ist etwas anderes, wenn der Virus etwas gleich macht und nachher wieder macht. Das gibt es. Es gibt primäre und dann sekundäre Infektionen, weil der Virus nicht völlig eliminiert wird, sondern latent werden kann - und dann reaktiviert wird. Aber es gibt kein Beispiel für einen Virus, der stets erst 10 Jahre nach der Infektion ein Phänomen hervorruft.
Diem: Und wenn das Immunsystem zerstört ist?
Duesberg: Wenn das Immunsystem schon zerstört ist, kann eine Krankheit manchmal auch zum ersten Mal ausbrechen. Hinzu kommt noch, dass die AIDS Patienten gar keine akute Infektion haben, sondern nur latente Viren oder sogar nur Antikörper. Aber allein die Latenzperiode ist ein totales Artefakt. Das basiert auf völlig wilden Annahmen.