Tageslosung vom 28.09.20009
Psalm 103:12 (eigene Übersetzung) schrieb:
So entfernt ist das Aufsteigen vom Niedersinken
wie er von uns entfernt unsere Überschreitungen.
hey, cool, ich muß mich mal loben. Das leben, laben, loben, lieben sind ja alles so Wörter, die sehr verwandt miteinander sind, und zum Selbstlieben gehört also auch auf einer Schwingungsebene ein Selbstloben. Vokale lassen ja die Konsonanten mit-schwingen, mit-klingen (con-sonare).
jedenfalls übersetzte ich gerade diesen Vers, in Unkenntnis von Bubers Übersetzung an dieser Stelle, und schaute gerade nach Bubers Übersetzung (das erste mal in all diesen letzten Tagen), und fand bemerkenswerte Ähnlichkeit:
Psalm 103:12 (Buber) schrieb:
wie fern Aufgang von Abend, entfernt er von uns unsre Abtrünnigkeiten.
Andere übersetzen:
Psalm 103:12 (Elberfelder Übersetzung schrieb:
So weit der Osten ist vom Westen, hat er von uns entfernt unsere Übertretungen.
Psalm 103:12 (Lutherbibel schrieb:
So fern der Morgen ist vom Abend, läßt er unsre Übertretungen von uns sein.
Psalm 103:12 (Jerusalemer) schrieb:
So weit der Aufgang vom Niedergang, soweit entfernt er von uns die Schuld.
Ich mag jetzt nicht alle hinschreiben, die ich hier habe, aber einfach mal so zum Gefühl kriegen, wie weit die Übersetzungen übereinstimmen und inwieweit sie unterschiedlich sind. Bubers Übersetzung des Alten Testaments schätze ich besonders, weil er den Geist der hebräischen Sprache versucht hat zu überbringen. Es ist eine poetische Sprache, und gerade in den Psalmen, die voller Poesie sind, ist es die Übersetzung, die ich am meisten schätze.
Ja, wenn man so Gedanken zur Tageslosung aufschreibt, sind es natürlich auch "über-setzungen". Man setzt über. Es ist ein Strom da, ein breiter Strom, oder sogar ein Meer an Tiefe im Wort. Und man setzt über, man geht von der einen Seite auf die andere. Worte sind wie die Grenze zwischen dem Unfaßbaren, Unbeschreiblichen, und dem Konkreten, Faßbaren.
Poesie ist wie ein Gemälde, das sowohl der konkreten Struktur von Strand oder Ufer gerecht wird, als auch dem Gewässer, das es in Farben erstrahlen läßt.
Ja, soweit entfernen mich gerade die Gedanken, die mir kommen von der Tageslosung. Ist ja auch schon von gestern. Schon untergegangen, vergangen, versunken in der Vergangenheit. Schon bald vergessen. Wer wüßte noch die Tageslosung von vor fünf Tagen? Ich nicht mehr...
Es strömt durch mich hindurch, wie der Fluß durchs Gelände, und formend ist der Fluß, und Wasser gebend seinen Ufern, doch vom eigentlichen des Flusses bleibt nichts. Der Fluß kehrt ständig in neuer Form wieder. So kehren auch die Tageslosungen in ständig neuer Form wieder. Eigentlich sind es immer dieselben Themen. Und doch bewegt dasselbe Wasser immer wieder andere Schwebstoffe, andere Tiere, andere Kiesel, die es rollt. Rundet die Steine in seinem Lauf.
Unser heutiger Text hat viele Schönheiten, mal sehen wie weit ich komme. Es fängt an mit "so weit entfernt". Hebräisch ist das "kirechoq", kommt von "rachaq", "entfernen", und kirechoq schreibt sich "kaph+resch+cheth+qoph", in Zahlen "20+200+8+100", insgesamt 328.
Es ist interessant zu beobachten, daß diese "Entfernung", dieses "so weit entfernt sein" genau dasselbe Gesamtgewicht wie das Wort "choschek" hat, "Finsternis". "choschek" schreibt sich "cheth+schin+kaph", in Zahlen "8+300+20".
Und in der Tat ist der Begriff von "Finsternis" am besten beschreibbar als ein "weit weg von der Quelle sein", weit weg vom Empfinden dessen, was Gott ist. Gott ist Liebe, Gott ist Licht. Und was ist weiter entfernt vom Licht als die empfundene Finsternis? Völlige Dunkelheit ist sicher die weiteste Entfernung von dem Empfinden des Lichts, die möglich ist.
"mizrach", das "Aufgehen, Aufsteigen, der Sonnenaufgang", kommt vom Verb "zarach", "aufsteigen, hervortreten, sichtbar werden". "mizrach" schreibt sich "majim+sajin+resch+cheth", in Zahlen "40+7+200+8", insgesamt 255. Die 255 ist nun wirklich eine bemerkenswerte Zahl. Computerprogrammierer kennen sie eher als andere Menschen. 255 ist nämlich der höchste Wert, den ein Byte annehmen kann. 2^8-1=(dual)11111111. Acht Einsen, alle acht Ebenen der Dualität positiv besetzt. Und das Wort heißt auch noch "Aufgehen, Aufsteigen". Es ist also ein Momentum darinnen, eine Bewegung, die noch mehr verheißt. Das ist erst der Anfang. Das ist schon sehr viel, völlige Fülle, 2^7+2^6+2^5+2^4+2^3+2^2+2^1+2^0. Ein Ausbreiten auf den sieben sichtbaren Ebenen und auf der einen unsichtbaren Ebene. Und nun ein Aufgehen, ein Hinübergehen in eine noch ganz andere, neue Welt. Es ist, als wenn Gott uns sagt: "Du hast die Erde geerbt und ein Raumschiff. Wohin möchtest du nun?"
Man kann dableiben, und die Fülle genießen, oder sich noch ganz neuen Welten zuwenden. Diesen Sonnenaufgang des Herzens schenkt uns Gott, wenn wir uns ihm zuwenden. Fülle, unbeschreibliche Fülle.
Aber nicht nur das. Es ist eine Tiefe da. Vergleichbar der Tiefe des Weltalls. Diese Tiefe, die bis in die entfernteste Finsternis reicht. Gott schenkt nicht nur dieses unvorstellbare Licht, er läßt es auch leuchten bis in die entferntes Finsternis. Aus seiner Sicht gibt es keine Finsternis. Gott ist Licht. In ihm ist alles Licht, selbst die Finsternis erleuchtet er und ist in ihr anwesend.
Das ist ein tieferes Begreifen. Gott schenkt nicht nur den Aufgang, die Fülle, er schenkt auch unvorstellbare Tiefe, in die das Licht scheinen kann. Die gesamte Polarität, das Sein und das Nicht-Sein.
"mimmaarav" ist "vom Untergang, vom Niedersinken, vom Abend". Es kommt vom hebräischen Verb "arav", das viele Bedeutungen in sich vereint. Vieles ist da "vermischt", in ähnlicher Weise wie der Abend eben auch die Zeit der Mischung des Lichts ist. Gerade im sich-mischen des Lichtes scheint es noch einmal seine Farben stärker leuchten zu lassen, gleich dem Herbst, der dem grünen Wald eine grün-gelb-rot-golden-braune Gewandung verleiht.
"arav" ist "tauschen, bürgen, sich mischen, süß sein, untergehen, verschwinden", und der Stamm von Hauptwörtern wie "Mischgewebe, Völkergemisch, Araber, Süßigkeit, Rabe, Hundsfliege, Euphratpappel, Steppe, Wüste, Bürgschaft, Pfand, Unterpfand". Also ein breites Spektrum, so wie das Licht, wenn es sich bricht, alle möglichen Farben aufweist, bunt schillernd.
Das ist also das niedersinkende Licht, das sich brechende Licht, das sowohl reizvolles wie auch abstoßendes enthält. Freud und Leid dieser Welt. Man kann Spaß haben, aber es ist vergänglich.
Der Abend als solcher ist ja nicht schlecht, er kann sehr süß sein, lieblich, wenn man draußen sitzt bei einem Glas Wein, sinnierend, den Grillen zuhörend, die Farbspiele des Himmels betrachtend. Es ist auch die Süßigkeit des Untergangs. Man kann sogar den Untergang zelebrieren. Selbst die Schadenfreude steckt hier mit drin. Denn es ist eigentlich Freude, daß man gerade inmitten dieser Polarität zu den "Gewinnern" gehört. Man hats gerade einmal gut, und blendet das andere aus. Wer will sich schon die gemütliche Stimmung mit dem Gedanken verderben, daß woanders gerade Krieg geführt wird, gefoltert und vergewaltigt wird, Menschen an schweren Krankheiten versterben, entsetzliche Verbrechen begangen werden, kurz, daß die gesamte Polarität um einen herum tobt und eben nicht nur süß ist.
Dieses Gegensatzpaar "Aufgang - Niedergang" hat aber noch etwas interessantes in sich. Im Prinzip ist es nur die Richtung, die sich ändert. Dieselbe Situation könnte gerade - je nachdem ob der Film vorwärts oder rückwärts läuft - der Aufgang oder der Niedergang sein. Man kann bergauf oder bergab gehen. Mehr an Höhe gewinnen oder in die Tiefe, in die Niederungen gehen. Mehr Licht oder weniger Licht. Das halbleere oder das halbvolle Glas. Optimismus versus Pessimismus.
Gott schenkt uns im Herzen dieses Licht, das zunächst einfach ein Optimismus ist. Es ist noch kein Wunder da. Es ist noch nicht alles in Butter. Die Probleme sind ja gleich, und doch... es ist dieses seltsame Licht im Herzen, das strahlt. Was mich gerade noch verzweifeln ließ, nun läßt er mich hoffen. Von den Tränen der Trauer zu den Tränen der Freude. Eine Wandlung.
Das sich im Innern ausbreitende Licht, dieser innere Sonnenaufgang, egal ob es draußen grad finster oder hell ist, führt zu einer stillen Heiterkeit, einer stillen Gelassenheit, ein ruhiges Vertrauen, einem in-mir-Ruhen. Es ist eine große innere Stärke, die da heranwächst. Bis ich erkenne, daß Gott es in Allem immer nur gut mit mir macht. Egal was kommt. Paulus schreibt das so: "Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Guten dienen."
Man kann mit diesem inneren Sonnenlicht mit dem Wind des Lebens segeln oder gegen ihn kreuzen. Man kommt so oder so voran. Manchmal sogar schneller, wenn man Gegenwind bekommt. Ja, Gott schenkt uns ein Segel. Vorher war es nur eigene Kraft, nur rudern, und das oft genug gegen den Strom und gegen den Wind.
Noch ein kurzer Gedanke zu "von uns". Er entfernt diese Überschreitungen ja "von uns". Doch man kann das hebräische "mimmännu" auch anders lesen als "aus seinem Man". Gott entfernt unsere Übertretungen aus seinem "man", aus seinem Fragen "Was?" Gott fragt nicht nach unseren Übertretungen mehr, wenn wir umgekehrt sind. Es ist ein einmaliger Prozeß des Um-denkens, der meta-noia. Ich denke nun anders darüber. Und Gott denkt gar nicht mehr darüber nach. In anderen Bildern ist dieses nicht-mehr-der-Sünde-gedenken so dargestellt, daß Gott unsere Sünden ins Meer wirft. Im Meer versinken sie und werden nicht mehr angeschaut.
Also in dieser Weise des aufgehenden Sonnenlichts entfernt er von uns unsere Übertretungen. Was sind diese "Übertretungen"? Der Wortstamm ist das hebräische Verb "pascha", und es bedeutet ein Überschreiten der Grenze. Es ist verwand mit "pessa", mit "Schritt". Jeder Schritt ist eigentlich ein Über-schreiten von unsichtbaren Grenzen, an die ich gelangt bin. Doch bei den Grenz-überschreitungen war es wohl ein Schritt zu weit. oder mehrere Schritte. Da hab ich nicht aufgepaßt. Da habe ich mich nicht im Griff gehabt. Oder ich wußte es einfach nicht besser.
Das Verb "pascha" schreibt sich "phe+schin+ajin", in Zahlen "80+300+70", im Gesamtgewicht 450. Nun ist der Mensch, Adam, in Zahlen "1+4+40" geschrieben, also im Gesamtgewicht 45. Der Mensch ist einer, der einfach ... menschlich ist. Es ist so menschlich, Grenzen zu überschreiten. Zu schauen, was dahinter liegt. Und wenn es verboten ist, reizt es besonders. Der Mensch steht im Zeichen der Frage "Was?", hebräisch "mah?", die sich in Zahlen "40+5" schreibt. Der Mensch möchte es gerne wissen. Es ist die Natur des Menschen zu fragen, weiterzuschreiten, noch weiter als alle seine Vorgänger.
Natürlich entfernt er sich dabei zwangsläufig häufig von der Quelle, vom Licht. Er möchte ja auch gerne wissen wie dunkel, wie finster es werden kann. Und Gott läßt ihm diesen Spiel-raum, diese große Spiel-wiese von Erfahrungen. Er läßt ihn soweit in die Finsternis gehen wie der Mensch möchte. Und wenn der Mensch satt ist, genug an leiden hat, dann kommt diese unhörbare Stimme im Herzen. Dann wird sie lauter. Und dann kommt es zum "umdrehen". Die Perspektive wechseln. Anstatt noch weiter wegzulaufen, anstatt sich weiter mit den Schweinen um den Schweinefraß zu kloppen wie der verlorene Sohn, wendet sich das Herz. Ich möchte doch schauen, ob ich nicht wenigstens ein Knecht meines Vaters werden kann. Sohn... hab ich schon längst verspielt. Aber wenigstens einer seiner geringsten Sklaven. Die Erzählung ist bekannt.
Ja, und alles, was dann passiert ist diese Wende. Dieses "schuv", "umdrehen, umkehren, umwenden". Anstatt weiter ins Dunkel zu schauen und zu laufen, sich umdrehen und ins Licht gehen. Den inneren Sonnenaufgang erleben. Mehr Wärme spüren. Mehr Klarheit bekommen. Und die ganze Freude des Heimkommens, des Nach-hause-kommens. Und der Vater freut sich, er kommt dem Sohn entgegen. Wieso ließ er mich eigentlich so weit weggehen? Wieso hat er das zugelassen?
Weil es meine Natur ist, Grenzen zu überschreiten. Und weil er mir die Freude des Heimkommens schenken kann. In der jüdischen Überlieferung heißt es zu der Frage, weshalb Gott die Sünde und den Fall des Menschen zuläßt: "Weil der Weg zurück so schön ist."
