[A] Unser Erstbeleg zu Gutmensch stammt aus dem Jahr 1985: In der US-amerikanischen Zeitschrift Forbes wurdeGutmensch auf den damaligen Gewerkschaftsführer Franz Steinkühler (IG Metall) bezogen. Im Englischen existiertgoodman als Familienname und Allgemeinbezeichnung, auch im ironischen Sinne (so Webster‘s New Universal Unabridged Dictionary, 1979). Es wäre aber spekulativ, hier eine direkte Verbindung zum deutschen Sprachgebrauch zu sehen, da das grammatische Muster »ungebeugtes Adjektiv + Substantiv« im Deutschen seit Jahrhunderten existiert und viele Komposita hervorgebracht hat – man denke nur an Gutgeld, ‑jahr, ‑leute, ‑schein, ‑tat oder ‑willeoder an Gutmann (dieses Substantiv tritt auch als Familienname auf). Bei ‑mensch treten allerdings nur selten Adjektive als Kompositionsglied auf (Edel-, Halbmensch), zumeist sind es Substantive (Augen-, Büro-, Gefühls-, Nacht-,Steinzeit‑, Tatmensch) oder Partikeln (Über-, Un-, Urmensch). So mag die Bildung Gutmensch stilistisch auffällig sein.
Weithin bekannt wurde Gutmensch durch das sprachkritische Wörterbuch des Gutmenschen aus dem Jahr 1994, herausgegeben von Klaus Bittermann. Das Buch wandte sich gegen »Betroffenheitsjargon und Gesinnungskitsch«. Im Nachwort erinnert Bittermann – wen wundert es? – an die seinerzeit einflussreiche sprachkritische Schrift Aus dem Wörterbuch des Unmenschen von Sternberger/Storz/Süskind (zuerst 1957), und er erläutert – in Anlehnung an Horst Eberhard Richter –, was unter Gutmensch zu verstehen sei (S. 241, 244): Ein Gutmensch gleiche einem Besorgten. »Die Besorgten [sehen sich] als geduldige, aber empfindsame Menschen. Sie verspüren innerlich intensiv, was von außen her auf sie einwirkt. Aber zugleich kümmern sie sich aktiv um das Leben außerhalb. Häufiger als der Durchschnitt machen sie sich Sorgen um andere Menschen. […] Wichtig ist ihnen aber auch ihre Innenwelt. […]« Zu Recht erkennt Bittermann die Veränderung, die schon innerhalb weniger Jahre eingetreten ist und deren Folgen heute spürbar sind: »Die Gutmenschensprache hat ihren spezifischen Ort verloren, aus dem heraus sie entstanden ist: den Ort des Protestes. […]« Sie habe »die Massen ergriffen, aber sie hat nicht zur Volksaufklärung beigetragen.
Sie ist in die Alltagssprache eingesickert und hat sich als Erkennungsmerkmal der Guten im Lande selbst erledigt.« Dies mochte 1994 so sein. Seit einigen Jahren wird, wenn unsere Beobachtungen nicht täuschen, Gutmenschdurchweg distanziert und kritisch, ja abschätzig und polemisch verwendet (so z. B. schon von Michael Bonder, Ein Gespenst geht um die Welt: Political Correctness, 1995, S. 51, 55, Kapitelüberschrift »Die Republik als ideelle Gesamtcouch«).
Mit dem Jahr 1994 setzen denn auch die von uns gesammelten Wortbelege reichlich ein. Im Sprachdienst-Beitrag »Wörter des Jahres 1997« wurde Gutmensch beschrieben und dabei als »Schmähwort«, als »Schlagwort zur Stigmatisierung des Protests, zur Diffamierung des moralischen Arguments« charakterisiert (Heft 2/1998, S. 53 f.).