Dunkle Nacht der Seele
Als hätte man eine schwarze Mütze über die Augen gezogen; eisenblaue Müdigkeit; verzweifelt und erschöpft wie tot daliegen: Depression eine aktuelle Zeitkrankheit!
Der große spanische Mystiker Johannes vom Kreuz (16. Jh.) könnte der Schutzpatron aller Schwermütigen sein. Dunkle Nacht nennt er eines seiner Hauptwerke, einen Klassiker geistlicher Erfahrungen. Er entzieht sich jedoch psychiatrischer Deutung ebenso wie dem Zugriff eines Durchschnittsfrommen.
Wer das Werk beschaulich liest ob im Strandkorb oder in einer Klosterzelle spürt, dass er nichts weiß, solange ihm dieser Gang durchs Dunkel "erspart" geblieben ist.
Durch die Hölle gehen
Johannes vom Kreuz ist keine Hineinschlüpffigur, mit der wir uns identifizieren könnten im Sinne von: ja, das kenne ich auch, diesen Trübsinn, habe ich auch erlebt, diesen Zustand innerer Trockenheit und seelischer Flaute, ich weiß, was eisige Leere und einsame Nächte sind.
Die Dunkelerfahrungen großer Mystiker sind uns fremd, wie sich uns ja auch das Ausmaß ihrer Gottinnigkeit entzieht. Wer wie sie im Lichte Gottes gestanden hat, erlebt das Dunkel der Gottverlassenheit in einer anderen Dimension: ein höllischer Trennungsschmerz, der nur mit den Qualen Hiobs in der Asche und dem Schrei Jesu am Kreuz vergleichbar ist.
Wer mit dem Himmel vermählt ist, schreibt andere Klagebücher und singt andere Lieder, andere "geistliche Gesänge": Johannes vom Kreuz verfasste sie im Kerker von Toledo. Auch sie bleiben dem Anfänger geistlichen Lebens fremd. Es wäre nicht ehrlich, sie nachzusingen. Unser gläubig ungläubiges Leben gart auf kleinerer Flamme.
Wer könnte sich mit den Worten der von Gott "Um"-Geformten schmücken, die dem Licht und dem Dunkel eine Sprache gegeben haben?
Unsere geistliche Heimat ist in der Regel weder das mystische Licht noch das mystische Dunkel. Deshalb kennt unsere gläubige Lebensspannung weder dieses Ausmaß himmlischen Beziehungsglücks noch die höllischen Leiden dieser Gottverbundenen in Zeiten grauenhafter Einsamkeit ohne Gott. Wir würden anders leben anders sein.
Gott stellt seine Auserwählten ins Dunkel
Der ausbalancierte und gut situierte Bürger hat seine seelischen Dürreperioden, seine depressiven Schübe, sein "Down -Syndrom", seine psychischen Krisen und Beziehungskonflikte. Vielleicht erlebt er eine Enttäuschung nach der anderen oder taumelt von Unglück zu Unglück.
Die metaphysische Isolation, die Gott seinen Auserwählten zumutet, ist anders. Er selbst stellt seine "Gerechten" ins Dunkel, schickt sie in die "Wüste" und setzt ihren Glauben wie schon bei Abraham extremen Zerreißproben aus. Es sind gerade nicht die Leiden der lauen Christen in Zeiten innerer Verödung, oberflächlichen Dahinlebens und mangelnder Tiefe, also nicht Signale lascher Frömmigkeit und nachlassender religiöser Praxis, kein vorübergehender seelischer Stau, den man mit etwas mehr Gebetskultur wieder auflösen könnte.
Gott stellt die spirituell Fortgeschrittenen auf ihrem geistlichen Wege.
Je größer das Dunkel umso heller das Licht
Diese Wege Gottes ins Dunkel sind eine letzte Phase der Läuterung, die für die Schau des göttlichen Lichtes bereitmachen soll. Was Johannes vom Kreuz u. a. ( Theresia von Lisieux, Edith Stein ) erleben, ist "nichts als Nacht", das "reine Nichts ", das totale Dunkel einer Nacht der Sinne, des Geistes und des Glaubens: alles, was inneren Halt geben könnte, ist weg gebrochen, einem letzten Brennprozess der "Vernichtung" unterworfen und "gestorben", auch jede Gottesvorstellung !
Leer für die Fülle Gottes!
Nichts für erlebnishungrige Fromme oder religiös Erfahrungssüchtige, aber auch nichts für Philosophen, die in Gott ein Produkt menschlicher Wunschphantasien sehen.
Schon Hiob erklärte seinen Freunden mit ihren traditionellen Glaubensvorstellungen und Ratschlägen: Gott ist anders, ist ein anderer, "bisher kannte ich ihn nur vom Hörensagen".
Der Sturz ins Glaubensdunkel wird denen zugemutet, die ein intensives geistliches Leben führen, - "Fortgeschrittenen" auf dem geistlichen Wege, die einer letzten "Umformung" in Gott bedürfen (Transformatión en Dios). Sie erleiden die "Erfahrung der Nichterfahrbarkeit Gottes".
Theresia von Lisieux schreibt:
"Man muss durch den finsteren Tunnel gewandert sein, um zu wissen, wie dunkel er ist,...wie schwarz die Nacht meiner Seele ist," und: "Wenn Sie wüssten, in welche Finsternis ich versunken bin! Ich glaube nicht an das ewige Leben:"
Eine heilige Kirchenlehrerin !
"Was bedeutet es denn, schöne Sachen über das Leiden geschrieben zu haben! Nichts! Nichts! Man muss mitten drin stecken, um zu wissen, was solche Ergüsse wert sind."
Die Reise aus der Nacht der Seele in einen neuen Tag liegt nicht in unserer Hand. Die großen Erfahrenen bezeugen jedoch: Gott stellt ins Dunkel, aber er holt auch wieder ans Licht. Die Stunde der Finsternis, die Zeit der Nacht ist begrenzt. Drei Tage sagt die Schrift lässt der Herr seine Auserwählten "im Tode". Dann holt er sie wieder ins "Land der Lebenden":
Herr, ich schreie zu dir, meine Zuflucht bist du, mein Anteil im Land der Lebenden (Ps 142,6)