Wantingpeace
Neues Mitglied
Hallo Ihr Lieben!
Erstmal vorweg: mein Computer blockiert, wenn ich versuche Smileys einzufuegen. Ich hoffe, mein laaaanges Posting, das nun folgt, wird trotzdem nicht zu langweilig.
Es geht um zwei Grundfragen:
Was wuerdet Ihr an meiner Stelle tun?
Ihr haettet acht Jahre lang bis heute vergeblich an einer Doktorarbeit geschrieben, aus Verzweiflung Statistiken gefaelscht, eine andere Studentin gegen Bezahlung fuer Euch an Eurer Promotion arbeiten lassen... und jetzt waere Eure Arbeit, trotz allem, fast fertig.
Und bin ich ein schlechter Mensch? (ich wuerde am liebsten ueber das, was ich gemacht habe, die ganze Zeit weinen)
Hier kommt nun meine Geschichte und wie alles anfing:
Mein Leben begann glanzvoll und privilegiert.
Als Nesthaeckchen von drei Schwestern wurde ich Anfang der 70er Jahre in eine sehr heile Welt geboren, zumindest dem Anschein nach: mein Vater erfolgreich und angehender Unternehmer, meine Mutter Hausfrau, die die Seitenspruenge meines Vaters tolerierte, weil sie nicht den Lebensstandard aufgeben wollte, der an meinen Vater gekoppelt war.
An uns Maedels hing mein Vater sehr, vor allem an mir.
Dennoch begleitet mich bis zum heutigen Tage ein Gefuehl der Minderwertigkeit.
Waehrend meine beiden Schwestern (Einser-Schuelerinnen) fuer ihre jeweiligen Traumberufe studierten, versperrte mir meine bescheidene Abiturnote (schlechter als eine 3) den Weg zu so ziemlich allem, was mit Universitaet zu tun hatte.
Meine durchschnittliche Note war nicht nur aber auch der Tatsache zuzuschreiben, dass ich sehr schuechtern war (und zum Teil noch bin) und mich nicht traute mich am Unterricht zu beteiligen.
So erhielt ich mein Abi mit zwei Jahren Verspaetung und da ich keinerlei Vertrauen in meine eigenen Faehigkeiten besass, folgte ich dem Rat einer Freundin, die eine Ausbildung zur Krankengymnastin begonnen hatte und meinte, dieser Beruf sei die Erfuellung schlechthin.
Da ich es nicht fuer moeglich hielt ueberhaupt irgendetwas zu koennen, folgte ich ihrem Rat, denn es war ja eh alles egal.
Ich wuerde schon bei Zeiten feststellen, dass ich sowohl physisch als auch verbal zu ungeschickt fuer diesen Beruf bin.
... Ich hatte Angst vor jeden Tag und ging jeden Tag weinend nach Hause. Ich hasste mich fuer meine Schuechternheit und es tat weh zu sehen, wie erfolgreich meine Schwestern in ihrem Studium waren.
“Mache eine Ausbildung im kaufmaennischen Bereich”, “fuer den Umgang mit Patienten bist Du viel zu schuechtern”, “studiere irgendetwas, aber halte Dich fern von Patienten”… diese und andere “guten” Ratschlaege von Ausbildern und Mitschuelern wollten nicht verstummen.
Doch ich biss mich durch, zwang mich dazu aufgeschlossener zu werden; und eines Tages bekam ich mein erstes Lob: “Sie sind nett, die Patienten moegen Sie, nur Sie geben einfach nicht genug auf sich”, sagte eine der Pflegerinnen der Reha-Klinik, in der ich derzeit arbeitete und lernte, zu mir.
Von da an ging es bergauf und ich glaubte zu wissen: meine Zukunft lag in der Krankengymnastik. Ich begann das, was ich tat, zu lieben.
Nachdem ich meine Ausbildung beendete, bekam ich sofort eine Stelle angeboten, aber ich schaffte es einfach nicht den Weg zu gehen, der mir wohl bestimmt war.
Stattdessen blickte ich innerlich staendig auf meine studierten Schwestern. War ich wirklich duemmer als sie?
Waren meine schlechten Noten in der Schule nicht ganz einfach nur die Folge von Schuechternheit und einer Entwicklungsverzoegerung? Ich wollte es wissen!
Wer weiss, vielleicht koennte ich eines Tages die Nachfolge meines Vaters in seinem Unternehmen antreten, wenn ich nur die notwendigen Fertigkeiten entwickeln wuerde. Meine Schwestern wollten diese Verantwortung nicht und waren andere Wege gegangen.
Mein BWL-Studium war mir eine Qual, genauso wie damals der Anfang meiner Ausbildung zur Krankengymnastin. Ich hatte mich daran gewoehnt mich zu quaelen und vieles war sogar leichter als in der Ausbildung.
Kein Dozent interessierte sich fuer mich, niemand schimpfte mich aus.
Ich war eine Immatrikulationsnummer, mehr nicht.
Teilweise schmerzte diese Tatsache, denn ich sehnte mich danach gebraucht zu werden und nach Anerkennung, die ich nun allerdings von ganz anderer Seite bekam: meine Familie war unglaublich stolz auf mich, vor allem als ich nach Beendigung meines Studiums in Deutschland in ein angesehenes MBA Programm an einer renommierten Uni in den USA aufgenommen wurde (noch nicht sehr bekannt: ein MBA ist ein zweijaehriger Magisterstudiengang in Business).
Ja… ich hatte tatsaechlich Faehigkeiten entwickelt, die ich mir in meinen kuehnsten Traumen nicht zuzusprechen getraut haette.
Zwar interessierte mich das Fach, das ich studierte, nicht, aber ich hielt mich an die Devise “durchhalten” und “mich nicht von Schwaechen unterkriegen lassen.”
Da ich mich minderwertig fuehlte, wollte ich es der Welt und mir selber beweisen.
Die Fallstudien im MBA Programm, in denen ich Projekte mit anderen Studenten in Teamarbeit loesen musste, waren mir ein Graus, denn letzten Endes war ich noch immer das stille, schuechterne Maedel, das zu nah am Wasser gebaut war.
Als ich mein MBA Zeugnis in der Hand hielt, sagte ich zu meinen Eltern: “ es tut mir sehr Leid, aber ich glaube, ich bin nicht dafuer gemacht ein Unternehmen zu fuehren.”
Bei dem Gedanken einen Posten in der Wirtschaft ausserhalb des Familienunternehmens zu uebernehmen, zog sich mein Magen zusammen.
Ich gehoerte in die Krankengymnastik, nicht in die Wirtschaft.
Das war mir mittlerweile klar, aber mir fehlte der Mut nach all dem Geld, das man in mich investiert hatte, zu sagen: “all das, was ich gemacht habe, war umsonst.”
Vor allem meiner Mutter haette es das Herz gebrochen, deshalb sagte ich: “mein Platz ist in der Wissenschaft. Ich moechte promovieren und dann, eines Tages, Professorin werden.” Damit waren meine Eltern zwar weniger gluecklich als haette ich gesagt “ich werde Papas Nachfolgerin”, doch sie waren zufrieden.
Meine Promotion in Wirtschaftswissenschaften fuehrte mich zurueck in die Vereinigten Staaten, wo ich auch jetzt lebe.
Die notwendigen Kurse absolvierte ich ohne Freude, aber mit Erfolg, doch der Beginn meiner eigentlichen Doktorarbeit sollte einen Lebensabschnitt einleiten, der durch Isolation, Panikattacken und Depression gekennzeichnet war und nicht nur das.
Auch koerperlich erkrankte ich schwer.
Als ich meiner Mutter nach vier Jahren Promotion (ohne ein Ende in Sicht) am Telefon beichtete, dass ich meine Doktorarbeit lieber beenden moechte, reagierte diese hysterisch und meinte, man muss das, was man begonnen hat, auch zuende bringen. Mein Vater stand mittlerweile unter der Kontrolle meiner Mutter und tutete in dasselbe Horn. Abgesehen von seinen Seitenspruengen hatte er das perfekte Leben gefuehrt, doch jetzt war er alt, schwach und verbittert.
Mein Hauptproblem war, dass meine wissenschaftlichen Faehigkeiten mit einer Promotion (in englischer Sprache) ueberfordert waren.
Dazu kam: man sollte niemals eine Entscheidung aus Minderwertigkeitsgefuehlen heraus faellen und den Mut haben, bei Zeiten eine Kurskorrektur einzuleiten, wenn einem der Bauch sagt: "hierhin gehoerst Du nicht."
Einmal hatte ich den Mut zu einer Kurskorrektur und bewarb mich heimlich um Jobs als Krankengymnastin, - ohne Erfolg.
Wer will schon eine Moechtegern-Doktorin einstellen, von der man glaubt, sie wuerde im Grunde viel lieber in Harvard unterrichten als eine “normale” Taetigkeit auszufuehren?
Dabei will ich unter gar keinen Umstaenden in die trockene und emotionslose Welt der Wissenschaft.
Auch muss ich zugeben: nach all den Jahren an der Uni haette ich meine Bewerbungen engagierter angehen muessen, denn vielleicht scheiterten sie letzten Endes daran, dass ich zu lange aus der Krankengymnastik raus war.
... so nahm das Drama seinen Lauf.
Depressiv, koerperlich krank und komplett ueberfordert mit meiner Situation fing ich an eine andere Doktorandin fuer mich arbeiten zu lassen, die ich jetzt einfach mal Betty nenne.
Die mutige Betty war ueberaus begabt, aber eines Tages sagte sie, dass sie endlich leben wolle; und so schmiss sie ihre Promotion vorzeitig hin und nahm einen Job in einer Organisation an, die sich fuer Menschenrechte einsetzt. Da sie erst einmal ganz unten anfangen musste und NGOs in den USA (so wie anderswo) meist nicht soviel Geld haben wie Firmen, musste Betty sich mit Nebenjobs ihre Miete und ihre warmen Mahlzeiten erarbeiten.
Sie war keine Freundin von mir, aber eine gute Bekannte und ich bot ihr –zuerst nur aus Spass- einen verhaengnisvollen Deal an: “Du schreibst meine Doktorarbeit fuer mich; dann hast Du nur noch einen Nebenjob.”
Zu meiner Ueberraschung ging Betty auf das, was eigentlich als Scherz gemeint war, ein. Sie wusste, dass ich aus einer wohlhabenden Familie in Deutschland kam.
Betty wurde sozusagen meine ganz persoenliche akademische Ghostwriterin, die mir etwa die Haelfte meiner Arbeit abnahm.
Und alles, was von Betty kam, war besser als meine eigenen Schoepfungen.
Ich hatte schreckliche Gewissensbisse, aber gleichzeitig Angst davor nach Deutschland zurueckzukehren und als Versagerin darzustehen. Diese Angst begleitete mich Tag fuer Tag, Jahr fuer Jahr.
Sie verleitete mich dazu Dinge zu tun, die ich mir selber niemals zugetraut haette.
Da meine Forschungen fuer meine Promotion keine Ergebnisse ans Licht brachten, faelschte ich diese.
Aber wann immer ich auf meine gefaelschten Statistiken blickte, wurde mir schlecht.
Also musste wieder meine Ghostwriterin ran; und als Folge davon, ging es mir noch viel schlechter. Ein Teufelskreis, der kein Ende nahm.
Meine Promotion begann vor acht Jahren, in denen nicht nur die Haeufigkeit meiner Panikattacken, sondern auch mein schlechtes Gewissen stetig zunahm.
Die andere Seite in mir sagte mir jedoch wieder und wieder: “mach Dir nicht soviel daraus. Eine Doktorarbeit liest sowieso niemand, und kein Mensch kommt durch Dein Schummeln zu Schaden…und sollen all die (acht) Jahre umsonst gewesen sein?”
Ich weiss, dass ich viel, viel eher haette aufhoeren sollen, aber ich war wie gelaehmt. Nach meinem vergeblichen Versuch wieder den Einstieg in die Krankengymnastik zu schaffen, hatte ich resigniert.
Meine Schummelei (gepaart mit viel tatsaechlicher und eigener Arbeit) hat mich nun soweit gebracht, dass sie nun fast fertig ist.
Lediglich Kleinigkeiten muss ich noch veraendern.
In vier Monaten waere es also soweit und ich wuerde meine Arbeit einreichen.
Ich spiele mit dem Gedanken, mich einige Jahre danach selbstaendig zu machen (in der Krankengymnastik oder als Heilpraktikerin), und da waere ein Doktortitel vielleicht nicht schlecht. Das sagt mir die Vernunft (oder die Eitelkeit?).
Meine Angst sagt mir “reiche die Arbeit auf jeden Fall ein, denn sonst stehst Du da und hast nichts.”
Meine Eltern wuerden mich unterstuetzen, wenn ich eine Praxis eroeffnen und/oder eine Ausbildung zur Heilpraktikerin beginnen wuerde, aber sie drohten mir, mich zu enterben, wenn ich meine Promotion hinschmeisse, und sie meinen das ernst.
Auch auf deren sonstige finanzielle Unterstuetzung kann ich nicht mehr bauen, wenn ich meinen Doktor vorschnell beende (auch wenn man acht Jahre wohl kaum als schnell bezeichnen kann). Alle Versuche mit meinen Eltern zu reden (oder ihnen meine Situation in einem Brief zu verdeutlichen) waren nutzlos.
Ich habe Angst in Hartz IV abzurutschen. Ich habe Angst vor den Sticheleien meiner Verwandten und dem Urteil meiner Freunde und Schwestern, die ein erfolgreiches Leben fuehren, mit Liebe, Karriere und Spass. Mich hat bisher noch kein Mann richtig geliebt. Auf meinem bisherigen Lebensweg liegt nur eine einzige, triste Beziehung.
Der Titel ist jetzt (endlich) nicht mehr fern.
Doch was passiert, wenn ich meine Arbeit einreiche?
Wird dann nicht die eine Angst durch eine andere ersetzt, naemlich die, dass es irgendwann auffliegen koennte, dass mein Doktortitel zum Teil ein Resultat aus Faelschungen (von Statistiken) und einer Hilfe ist, die ich nicht in Anspruch haette nehmen duerfen (der von Betty)?
Werde ich mich fuer immer so fuehlen als haette ich eine Leiche im Keller, die irgendwann erwacht, mich bloss stellt und mir meinen Titel wieder nimmt?
Ich kenne Betty nicht gut genug um zu sagen, wie schweigsam sie auf Dauer wirklich sein wird.
Werde ich mit meinem schlechten Gewissen leben koennen?
Oder wird irgendwann diese eine meiner inneren Stimmen siegen, die mir sagt: “das, was Du getan hast, war falsch. Aber Du hast dadurch keinem Menschen Leid zugefuegt und die Dinge, die Betty ihrem Freund und ihrer Familie erzaehlen mag, werden nicht so schnell den Weg nach Deutschland finden.”
Dennoch habe ich das Gefuehl, dass ich ein ganz schlechter Mensch bin.
Auch habe ich Angst davor, mein Karma zu verschlechtern (ich glaube an Reinkarnation) und dass ich das, was ich in diesem Leben verbockt habe, in meinem naechsten Leben wieder gut machen muss.
Gleichzeitig habe ich Angst vor dem mir bevorstehenden Absturz, wenn ich meinen Doktor nicht beende.
Angst vor der Reaktion meiner Familie, Angst vor der Enterbung, Angst vor der Zukunft ohne mir ein Fundament dafuer erarbeitet zu haben… Angst vor dem Nichts.
Was wuerdet Ihr an meiner Stelle machen?
Ich muss zugeben, dass ich mich davor fuerchte, in diesem Forum verurteilt zu werden, aber das waere mir lieber als gar kein Feedback.
Wenn sich die/der eine oder andere zu Wort melden wuerde, waere ich auf jeden Fall sehr dankbar.
Liebe Gruesse an Euch alle!
Erstmal vorweg: mein Computer blockiert, wenn ich versuche Smileys einzufuegen. Ich hoffe, mein laaaanges Posting, das nun folgt, wird trotzdem nicht zu langweilig.
Es geht um zwei Grundfragen:
Was wuerdet Ihr an meiner Stelle tun?
Ihr haettet acht Jahre lang bis heute vergeblich an einer Doktorarbeit geschrieben, aus Verzweiflung Statistiken gefaelscht, eine andere Studentin gegen Bezahlung fuer Euch an Eurer Promotion arbeiten lassen... und jetzt waere Eure Arbeit, trotz allem, fast fertig.
Und bin ich ein schlechter Mensch? (ich wuerde am liebsten ueber das, was ich gemacht habe, die ganze Zeit weinen)
Hier kommt nun meine Geschichte und wie alles anfing:
Mein Leben begann glanzvoll und privilegiert.
Als Nesthaeckchen von drei Schwestern wurde ich Anfang der 70er Jahre in eine sehr heile Welt geboren, zumindest dem Anschein nach: mein Vater erfolgreich und angehender Unternehmer, meine Mutter Hausfrau, die die Seitenspruenge meines Vaters tolerierte, weil sie nicht den Lebensstandard aufgeben wollte, der an meinen Vater gekoppelt war.
An uns Maedels hing mein Vater sehr, vor allem an mir.
Dennoch begleitet mich bis zum heutigen Tage ein Gefuehl der Minderwertigkeit.
Waehrend meine beiden Schwestern (Einser-Schuelerinnen) fuer ihre jeweiligen Traumberufe studierten, versperrte mir meine bescheidene Abiturnote (schlechter als eine 3) den Weg zu so ziemlich allem, was mit Universitaet zu tun hatte.
Meine durchschnittliche Note war nicht nur aber auch der Tatsache zuzuschreiben, dass ich sehr schuechtern war (und zum Teil noch bin) und mich nicht traute mich am Unterricht zu beteiligen.
So erhielt ich mein Abi mit zwei Jahren Verspaetung und da ich keinerlei Vertrauen in meine eigenen Faehigkeiten besass, folgte ich dem Rat einer Freundin, die eine Ausbildung zur Krankengymnastin begonnen hatte und meinte, dieser Beruf sei die Erfuellung schlechthin.
Da ich es nicht fuer moeglich hielt ueberhaupt irgendetwas zu koennen, folgte ich ihrem Rat, denn es war ja eh alles egal.
Ich wuerde schon bei Zeiten feststellen, dass ich sowohl physisch als auch verbal zu ungeschickt fuer diesen Beruf bin.
... Ich hatte Angst vor jeden Tag und ging jeden Tag weinend nach Hause. Ich hasste mich fuer meine Schuechternheit und es tat weh zu sehen, wie erfolgreich meine Schwestern in ihrem Studium waren.
“Mache eine Ausbildung im kaufmaennischen Bereich”, “fuer den Umgang mit Patienten bist Du viel zu schuechtern”, “studiere irgendetwas, aber halte Dich fern von Patienten”… diese und andere “guten” Ratschlaege von Ausbildern und Mitschuelern wollten nicht verstummen.
Doch ich biss mich durch, zwang mich dazu aufgeschlossener zu werden; und eines Tages bekam ich mein erstes Lob: “Sie sind nett, die Patienten moegen Sie, nur Sie geben einfach nicht genug auf sich”, sagte eine der Pflegerinnen der Reha-Klinik, in der ich derzeit arbeitete und lernte, zu mir.
Von da an ging es bergauf und ich glaubte zu wissen: meine Zukunft lag in der Krankengymnastik. Ich begann das, was ich tat, zu lieben.
Nachdem ich meine Ausbildung beendete, bekam ich sofort eine Stelle angeboten, aber ich schaffte es einfach nicht den Weg zu gehen, der mir wohl bestimmt war.
Stattdessen blickte ich innerlich staendig auf meine studierten Schwestern. War ich wirklich duemmer als sie?
Waren meine schlechten Noten in der Schule nicht ganz einfach nur die Folge von Schuechternheit und einer Entwicklungsverzoegerung? Ich wollte es wissen!
Wer weiss, vielleicht koennte ich eines Tages die Nachfolge meines Vaters in seinem Unternehmen antreten, wenn ich nur die notwendigen Fertigkeiten entwickeln wuerde. Meine Schwestern wollten diese Verantwortung nicht und waren andere Wege gegangen.
Mein BWL-Studium war mir eine Qual, genauso wie damals der Anfang meiner Ausbildung zur Krankengymnastin. Ich hatte mich daran gewoehnt mich zu quaelen und vieles war sogar leichter als in der Ausbildung.
Kein Dozent interessierte sich fuer mich, niemand schimpfte mich aus.
Ich war eine Immatrikulationsnummer, mehr nicht.
Teilweise schmerzte diese Tatsache, denn ich sehnte mich danach gebraucht zu werden und nach Anerkennung, die ich nun allerdings von ganz anderer Seite bekam: meine Familie war unglaublich stolz auf mich, vor allem als ich nach Beendigung meines Studiums in Deutschland in ein angesehenes MBA Programm an einer renommierten Uni in den USA aufgenommen wurde (noch nicht sehr bekannt: ein MBA ist ein zweijaehriger Magisterstudiengang in Business).
Ja… ich hatte tatsaechlich Faehigkeiten entwickelt, die ich mir in meinen kuehnsten Traumen nicht zuzusprechen getraut haette.
Zwar interessierte mich das Fach, das ich studierte, nicht, aber ich hielt mich an die Devise “durchhalten” und “mich nicht von Schwaechen unterkriegen lassen.”
Da ich mich minderwertig fuehlte, wollte ich es der Welt und mir selber beweisen.
Die Fallstudien im MBA Programm, in denen ich Projekte mit anderen Studenten in Teamarbeit loesen musste, waren mir ein Graus, denn letzten Endes war ich noch immer das stille, schuechterne Maedel, das zu nah am Wasser gebaut war.
Als ich mein MBA Zeugnis in der Hand hielt, sagte ich zu meinen Eltern: “ es tut mir sehr Leid, aber ich glaube, ich bin nicht dafuer gemacht ein Unternehmen zu fuehren.”
Bei dem Gedanken einen Posten in der Wirtschaft ausserhalb des Familienunternehmens zu uebernehmen, zog sich mein Magen zusammen.
Ich gehoerte in die Krankengymnastik, nicht in die Wirtschaft.
Das war mir mittlerweile klar, aber mir fehlte der Mut nach all dem Geld, das man in mich investiert hatte, zu sagen: “all das, was ich gemacht habe, war umsonst.”
Vor allem meiner Mutter haette es das Herz gebrochen, deshalb sagte ich: “mein Platz ist in der Wissenschaft. Ich moechte promovieren und dann, eines Tages, Professorin werden.” Damit waren meine Eltern zwar weniger gluecklich als haette ich gesagt “ich werde Papas Nachfolgerin”, doch sie waren zufrieden.
Meine Promotion in Wirtschaftswissenschaften fuehrte mich zurueck in die Vereinigten Staaten, wo ich auch jetzt lebe.
Die notwendigen Kurse absolvierte ich ohne Freude, aber mit Erfolg, doch der Beginn meiner eigentlichen Doktorarbeit sollte einen Lebensabschnitt einleiten, der durch Isolation, Panikattacken und Depression gekennzeichnet war und nicht nur das.
Auch koerperlich erkrankte ich schwer.
Als ich meiner Mutter nach vier Jahren Promotion (ohne ein Ende in Sicht) am Telefon beichtete, dass ich meine Doktorarbeit lieber beenden moechte, reagierte diese hysterisch und meinte, man muss das, was man begonnen hat, auch zuende bringen. Mein Vater stand mittlerweile unter der Kontrolle meiner Mutter und tutete in dasselbe Horn. Abgesehen von seinen Seitenspruengen hatte er das perfekte Leben gefuehrt, doch jetzt war er alt, schwach und verbittert.
Mein Hauptproblem war, dass meine wissenschaftlichen Faehigkeiten mit einer Promotion (in englischer Sprache) ueberfordert waren.
Dazu kam: man sollte niemals eine Entscheidung aus Minderwertigkeitsgefuehlen heraus faellen und den Mut haben, bei Zeiten eine Kurskorrektur einzuleiten, wenn einem der Bauch sagt: "hierhin gehoerst Du nicht."
Einmal hatte ich den Mut zu einer Kurskorrektur und bewarb mich heimlich um Jobs als Krankengymnastin, - ohne Erfolg.
Wer will schon eine Moechtegern-Doktorin einstellen, von der man glaubt, sie wuerde im Grunde viel lieber in Harvard unterrichten als eine “normale” Taetigkeit auszufuehren?
Dabei will ich unter gar keinen Umstaenden in die trockene und emotionslose Welt der Wissenschaft.
Auch muss ich zugeben: nach all den Jahren an der Uni haette ich meine Bewerbungen engagierter angehen muessen, denn vielleicht scheiterten sie letzten Endes daran, dass ich zu lange aus der Krankengymnastik raus war.
... so nahm das Drama seinen Lauf.
Depressiv, koerperlich krank und komplett ueberfordert mit meiner Situation fing ich an eine andere Doktorandin fuer mich arbeiten zu lassen, die ich jetzt einfach mal Betty nenne.
Die mutige Betty war ueberaus begabt, aber eines Tages sagte sie, dass sie endlich leben wolle; und so schmiss sie ihre Promotion vorzeitig hin und nahm einen Job in einer Organisation an, die sich fuer Menschenrechte einsetzt. Da sie erst einmal ganz unten anfangen musste und NGOs in den USA (so wie anderswo) meist nicht soviel Geld haben wie Firmen, musste Betty sich mit Nebenjobs ihre Miete und ihre warmen Mahlzeiten erarbeiten.
Sie war keine Freundin von mir, aber eine gute Bekannte und ich bot ihr –zuerst nur aus Spass- einen verhaengnisvollen Deal an: “Du schreibst meine Doktorarbeit fuer mich; dann hast Du nur noch einen Nebenjob.”
Zu meiner Ueberraschung ging Betty auf das, was eigentlich als Scherz gemeint war, ein. Sie wusste, dass ich aus einer wohlhabenden Familie in Deutschland kam.
Betty wurde sozusagen meine ganz persoenliche akademische Ghostwriterin, die mir etwa die Haelfte meiner Arbeit abnahm.
Und alles, was von Betty kam, war besser als meine eigenen Schoepfungen.
Ich hatte schreckliche Gewissensbisse, aber gleichzeitig Angst davor nach Deutschland zurueckzukehren und als Versagerin darzustehen. Diese Angst begleitete mich Tag fuer Tag, Jahr fuer Jahr.
Sie verleitete mich dazu Dinge zu tun, die ich mir selber niemals zugetraut haette.
Da meine Forschungen fuer meine Promotion keine Ergebnisse ans Licht brachten, faelschte ich diese.
Aber wann immer ich auf meine gefaelschten Statistiken blickte, wurde mir schlecht.
Also musste wieder meine Ghostwriterin ran; und als Folge davon, ging es mir noch viel schlechter. Ein Teufelskreis, der kein Ende nahm.
Meine Promotion begann vor acht Jahren, in denen nicht nur die Haeufigkeit meiner Panikattacken, sondern auch mein schlechtes Gewissen stetig zunahm.
Die andere Seite in mir sagte mir jedoch wieder und wieder: “mach Dir nicht soviel daraus. Eine Doktorarbeit liest sowieso niemand, und kein Mensch kommt durch Dein Schummeln zu Schaden…und sollen all die (acht) Jahre umsonst gewesen sein?”
Ich weiss, dass ich viel, viel eher haette aufhoeren sollen, aber ich war wie gelaehmt. Nach meinem vergeblichen Versuch wieder den Einstieg in die Krankengymnastik zu schaffen, hatte ich resigniert.
Meine Schummelei (gepaart mit viel tatsaechlicher und eigener Arbeit) hat mich nun soweit gebracht, dass sie nun fast fertig ist.
Lediglich Kleinigkeiten muss ich noch veraendern.
In vier Monaten waere es also soweit und ich wuerde meine Arbeit einreichen.
Ich spiele mit dem Gedanken, mich einige Jahre danach selbstaendig zu machen (in der Krankengymnastik oder als Heilpraktikerin), und da waere ein Doktortitel vielleicht nicht schlecht. Das sagt mir die Vernunft (oder die Eitelkeit?).
Meine Angst sagt mir “reiche die Arbeit auf jeden Fall ein, denn sonst stehst Du da und hast nichts.”
Meine Eltern wuerden mich unterstuetzen, wenn ich eine Praxis eroeffnen und/oder eine Ausbildung zur Heilpraktikerin beginnen wuerde, aber sie drohten mir, mich zu enterben, wenn ich meine Promotion hinschmeisse, und sie meinen das ernst.
Auch auf deren sonstige finanzielle Unterstuetzung kann ich nicht mehr bauen, wenn ich meinen Doktor vorschnell beende (auch wenn man acht Jahre wohl kaum als schnell bezeichnen kann). Alle Versuche mit meinen Eltern zu reden (oder ihnen meine Situation in einem Brief zu verdeutlichen) waren nutzlos.
Ich habe Angst in Hartz IV abzurutschen. Ich habe Angst vor den Sticheleien meiner Verwandten und dem Urteil meiner Freunde und Schwestern, die ein erfolgreiches Leben fuehren, mit Liebe, Karriere und Spass. Mich hat bisher noch kein Mann richtig geliebt. Auf meinem bisherigen Lebensweg liegt nur eine einzige, triste Beziehung.
Der Titel ist jetzt (endlich) nicht mehr fern.
Doch was passiert, wenn ich meine Arbeit einreiche?
Wird dann nicht die eine Angst durch eine andere ersetzt, naemlich die, dass es irgendwann auffliegen koennte, dass mein Doktortitel zum Teil ein Resultat aus Faelschungen (von Statistiken) und einer Hilfe ist, die ich nicht in Anspruch haette nehmen duerfen (der von Betty)?
Werde ich mich fuer immer so fuehlen als haette ich eine Leiche im Keller, die irgendwann erwacht, mich bloss stellt und mir meinen Titel wieder nimmt?
Ich kenne Betty nicht gut genug um zu sagen, wie schweigsam sie auf Dauer wirklich sein wird.
Werde ich mit meinem schlechten Gewissen leben koennen?
Oder wird irgendwann diese eine meiner inneren Stimmen siegen, die mir sagt: “das, was Du getan hast, war falsch. Aber Du hast dadurch keinem Menschen Leid zugefuegt und die Dinge, die Betty ihrem Freund und ihrer Familie erzaehlen mag, werden nicht so schnell den Weg nach Deutschland finden.”
Dennoch habe ich das Gefuehl, dass ich ein ganz schlechter Mensch bin.
Auch habe ich Angst davor, mein Karma zu verschlechtern (ich glaube an Reinkarnation) und dass ich das, was ich in diesem Leben verbockt habe, in meinem naechsten Leben wieder gut machen muss.
Gleichzeitig habe ich Angst vor dem mir bevorstehenden Absturz, wenn ich meinen Doktor nicht beende.
Angst vor der Reaktion meiner Familie, Angst vor der Enterbung, Angst vor der Zukunft ohne mir ein Fundament dafuer erarbeitet zu haben… Angst vor dem Nichts.
Was wuerdet Ihr an meiner Stelle machen?
Ich muss zugeben, dass ich mich davor fuerchte, in diesem Forum verurteilt zu werden, aber das waere mir lieber als gar kein Feedback.
Wenn sich die/der eine oder andere zu Wort melden wuerde, waere ich auf jeden Fall sehr dankbar.
Liebe Gruesse an Euch alle!