das sonntagsblatt ist natürlich eine kompetente quelle... na gut, aber der autor ist immerhin psychoanalytiker, wenn ich das richtig verstanden habe. und psychoanalytiker haben allen grund, hellinger gram zu sein... nicht nur, weil er sie immer wieder mal provokant apostrofiert, sondern weil da auch ein verfahren menschen in großen mengen bewegt, die es satt haben, dass ihnen psychoanalytiker einreden, es bedürfe jahrelanger und hochpreisiger therapeutischer prozesse, um lösungen zu erfahren. die klassische psychoanalyse wird hinsichtlich ihres verhältnisses von aufwand und effizienz von vielen unterschiedlichen seiten kritisiert, bei weitem nicht nur von hellinger.
aber bitte... ich habe nicht die absicht, zum x-ten mal auf sattsam bekanntes einzugehen; wir haben es ja auch mit denkenden menschen zu tun, die sich ihr eigenes bild machen und nicht auf vorverurteilungen durch kirchliche kampfblätter angewiesen sind. das sonntagsblatt wurde 2000 eingestellt, hellinger hat's überlebt...
wie groß ist die zahl der psychoanalytiker, deren klienten suicid begehen? dort geschieht der prozess allerdings in der regel im stillen kämmerlein und ist nicht öffentlich nachvollziehbar. bei hellinger wird ein (1!) beispiel wieder und wieder durchgekaut... und verschwiegen wird die große zahl jener ebenso dokumentierten, weil öffentlich aufgestellten beispiele, in denen klienten vom weg zum tod auf den weg ins leben zurückgefunden haben.
geradezu lachhaft wird es, wenn der vorwurf des zu vielen publizierens erhoben wird. wenige methoden sind so offenkundig in theorie und praxis dokumentiert, so transparent und offen der einsicht (wenn jemand dazu in der lage ist) und der kritik (wenn es jemand wichtig ist) ausgesetzt. und da geschieht ja auch eine ganze menge ... hellinger selbst hat keine schüler/innen, und im kreise derer, die "nach hellinger" ausbildungen erfahren haben oder selbst ausbilden oder mit supervisionen befasst sind, gilt hellinger ja keineswegs als evangelist ... so sehen ihn in erster linie jene gern, die ihre befriedigung in angriffen finden (es war immer schon so, dass es leichter erscheint, in den krieg zu ziehen, statt hinzusehen und vom anderen zu nehmen).
da findet sich in dem vielen geschriebenen zum beispiel ein dialog mit gabriele ten hövel. sie fragt:
ten hövel: auch sie haben eine bestimmte vorstellung von dem, was gut ist. auch wenn sie sagen: ich nehme die welt so, wie sie ist. wie vermeidet man es, sich besser zu fühlen? was ist "gut" für sie?
hellinger: das kriterium für gut ist: bringt es anderen eine erleichterung oder eine freude, oder lindert es eine not. ich sehe aber auch, dass es anderen oft besser geht, wenn ich mich zurückhalte, mich nicht in fremdes einmische. es geht also nicht nur um das gute tun, sondern auch um das gute lassen.
ten hövel: es gibt viel öffentliche diskussion über ihre arbeit. wie gehen sie mit den angriffen auf ihre aussagen um?
hellinger: ganz einfach: wenn jemand damit gutes bewirkt, stimme ich dem zu.
und noch einmal: systemische aufstellungen - nicht einmal familienaufstellungen - sind ein hellinger-privileg. diese gleichschaltung ist entbeder boshaft manipulativ oder aber durch ahnungslosigkeit begründet. hellinger hat eine sehr eigenständige, sehr wirkende und sehr gegen viele zeitströmungen/moden agierende art der aufstellung entwickelt und vorgestellt; viele andere haben sich das angesehen und - meistens aus einer kritischen position heraus - alternative verfahren des systemischen stellens entwickelt, etwa auch in der konstruktivistischen tradition der heidelberger schule oder vor dem hintergrund der lösungsorientierten kurzzeit-therapie von de shazer/berg oder mit einflüssen aus der hypnotherapie milton ericksons und dergl. mehr ... das instrument der systemischen aufstellung ist in weiten kreisen auch der kritischen, forschenden lehre ein gegenstand von entwicklung und erkenntnis und insgesamt eine sehr vitale angelegenheit. und darüber gibt es eine fülle von quellen nachzulesen, wenn sich jemand informieren möchte - einstiege sind z.b.
www.syst.info oder
www.hellinger.com ... es muss ja nicht immer das sonntagsblatt sein
die gute nachricht ist: die teilnahme an einer aufstellung ist völlig freiwillig. und welches andere therapeutische verfahren bietet wie das systemische stellen die möglichkeit, sich beliebig lang vorher als stellverteter ein bild von der methode zu machen, bevor man selbst entscheidet, ein anliegen aufzustellen? ich kann den aufsteller kennenlernen, ich kann das verfahren kennenlernen, ich kann mit den menschen reden, die aufstellungen gemacht haben und mir von ihnen über ihre erfahrungen berichten lassen und von den lösungen oder nicht-lösungen, die sie erlebt haben. so wie auch die arbeit hellingers selbst zu einem großen teil sehr öffentlich stattgefunden hat - sind die vielen menschen, die das beobachtet haben, lauter grenzdebile idioten, wenn sie trotz solcher fürchterlichkeiten, wie sie (nicht nur) das sonntagsblatt berichtet, nicht die flucht ergriffen haben?
ich vertraue meinem eigenen hinschauen, meinen eigenen als lösung erfahrenen bewegungen aus aufstellungen, den vielen anderen, die ich beobachten durfte... das hat erheblich mehr gewicht als die lust eines zynisch abfertigenden kritikers.
ich bin ja selber gern ein kritiker, und journalist war ich auch mal, ich weiß, wie solche artikel zu standen kommen und welche befriedigung sie einem verleihen, wenn sie das gefühl vermitteln "jetzt hab ich's ihm aber gegeben!".
hellinger kritisch überdenken - oh ja, viele seiner formulierungen kann ich auch nicht als allgemeingültige aussage nehmen, und ich habe auch meine schwierigkeiten mit etlichen seiner apodiktisch erscheinenden formulierungen. erst mal bleibe ich dabei, dass das meine schwierigkeiten sind, und viele seiner sätze lesen sich anders, als sie gesprochen in der konkreten situation einer aufstellung klingen.
mir kommt eine anekdote in den sinn: rudolf steiner soll die ehrenmitgliedschaft in der "anthroposophischen gesellschaft" verweigert haben mit der bemerkung, dort röche es ihm zu sehr nach sakristei.
es geht gewiss nicht darum, hellinger zu beweihräuchern. das ist ein bild aus einer gewissen tradition heraus, die offenbar die welt gern in zu beweihräuchernde und nicht zu beweihräuchernde einteilt, es hat aber nichts zu tun mit dem bemühen, das lebenswerk eines menschen (wie das eines jeden) mit achtsamkeit zu würdigen und zu sehen, was an gutem und lösendem ich daraus entnehmen kann. einsichten erschließen mir das, abfertigende kritiken verschließen mir das. zweifellos gibt es auch hellinger-adepten, die ihre eigene schwäche durch enge bindung an einen "meister" tarnen wollen. die sind eh bald von der wirklichkeit enttarnt und genauso schnell entlarvt wie ein psychoanalytiker, der die welt vor hellinger retten will, wenn die menschen offenbar zu dumm sind, seine eigenen segnungen zu begreifen und überzulaufen drohen. als ob es darum ginge...
schade um die zeit... ich wollte nur ganz kurz was dazu sagen und mich dann wesentlichem zuwenden...
alles liebe, jake