... so fragte einmal ein Mönch den berühmten Zen-Meister Dscho-Dschu :
“Hat ein Hund Buddha-Natur ?”
“Nein, nichts!”, antwortete Dscho-Dschu.
Diese Antwort musste dem Praktizierenden sehr zweifelhaft erscheinen, denn sie stand in deutlichem Gegensatz zu der Aussage des Buddha, dass allen Lebewesen die Buddha-Natur innewohne. Der Kern des Zweifels in diesem Gong-An liegt also in der Frage, warum Zen-Meister Dscho-Dschu, der selbst ein Schüler des Buddha war, das Gegenteil behauptete.
Natürlich hat die Antwort eines Zen-Meisters für Zen-Praktizierende große Gültigkeit, ebenso wie die Worte des Buddha. Der Praktizierende gerät hier also gewissermaßen in die Klemme zwischen Dscho-Dschu und Buddha. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als die Haltung des sich Anlehnens an vorgegebene Lehrsätze aufzugeben und den Sinn von Dscho-Dschu's Worten aus eigener Kraft zu ergründen. Warum hat Dscho-Dschu gesagt, der Hund habe keine Buddha-Natur? Indem er sich diese Frage stellt, tritt der Praktizierende in die Welt des Zweifels ein. Ein solcher innerer Zweifel wird Gong-An genannt.
Die Gong-An's sind so beschaffen, dass sie niemals auf intellektuellem Wege durch weltliches Wissen oder mit gesundem Menschenverstand gelöst werden können. Das zu versuchen wäre so, als ob jemand auf einer Kuh reitend überall in der Welt nach jener Kuh sucht, auf der er die ganze Zeit reitet.
Das Gong-An zu erforschen bedeutet also alle Vernunft, alle Logik und alles bisherige Wissen aufzugeben, um sich ganz und gar auf den großen Zweifel des Gong-An's einzulassen.
Warum hat Dscho-Dschu gesagt, ein Hund habe keine Buddha-Natur? Die Praktizierenden sollten diese Frage ununterbrochen und konsequent aufrechterhalten. Die Antwort darauf können sie weder durch den Rat eines anderen, noch durch das Lesen von Büchern finden. Nur durch Selbsterkenntnis kann das Gong-An durchbrochen werden.
Hat ein Schüler eine Antwort auf die Gong-An-Frage gefunden, so sollte er oder sie unbedingt zu einem Zen-Meister gehen, um sich die Richtigkeit der Lösung bestätigen zu lassen.
Die Welt, in der wir leben, ist voller Rätsel. Wer bin ich ? Woher kam ich bevor ich geboren wurde? Wohin werde ich nach meinem Tod gehen? Wie ist das Universum entstanden und was hat es mit mir zu tun? Warum lebe ich überhaupt? Warum sterbe ich? All diese Fragen sind kontinuierlicher Zweifel.
Wir Menschen sind gefangen im Schleier dieser für uns scheinbar unlösbaren Geheimnisse, und dabei wagen wir es in der Regel nicht einmal uns solche Fragen überhaupt zu stellen.
Nach buddhistischer Auffassung sind aber die Umstände unserer Existenz etwas, das wir selbst erzeugen. Die großen Rätsel unseres Lebens können daher nur in uns selbst erlebt und gelöst werden. Wenn das Gong-An durch intensive Zen-Praxis durchbrochen wird, lösen sich alle Rätsel und Fragen auf, so wie sich Rauch verzieht. Dann kommt das Selbst in seinem reinen Sosein klar zum Vorschein.
Dieser Vorgang wird wachgerufen und in Gang gehalten durch einen fragenden, suchenden Geisteszustand. Deswegen ist es für die Seon-Praxis von so großer Bedeutung, sich die essentiellen Fragen des eigenen Lebens auch wirklich zu stellen. Für Praktizierende, die keinen Zweifel haben, gibt es keine Motivation und letztlich auch keinen Fortschritt.
Das Gong-An ist die treibende Kraft zur Erleuchtung. Die Arbeit mit dem Gong-An setzt einen Prozess in Gang, in dem die umherwandernden Gedanken in einer wesentlichen Frage aufgelöst werden. Auf diese Weise können die Rastlosigkeit des Verstandes, alles Leiden und alle Ängste überwunden werden.
Wer mit einem Gong-An arbeiten möchte, muss zu aller erst einen Zen-Meister aufsuchen. Von diesem wird er ein passendes Gong-An erhalten. Danach sollte er mit aller Kraft versuchen einen Zweifel über die Gong-An-Frage zu erzeugen und diesen ununterbrochen wach zu halten. Das Gong-An sollte für den Praktizierenden zu einer Art Lebensquelle werden. Wenn ein Schüler dagegen sein Gong-An aus den Augen verliert, bedeutet dies, dass sein Geist unkonzentriert und unruhig ist.
Das Seon im Sitzen ist besonders gut geeignet konstante Aufmerksamkeit zu entwickeln. Darüber hinaus geht es in der Gong-An-Seon-Praxis aber darum, die korrekte geistige Haltung fortwährend, in jeder Situation zu bewahren; sei es beim Seon im Sitzen, bei der Arbeit, in der Pause, in Leid und Einsamkeit oder wann auch immer. Auf diese Weise können sich die Seon-Praktizierenden letzten Endes von allem Leiden und sogar von Leben und Tod selbst befreien.