Mir ist gerade eine Stelle aus aus dem zweiten Band von Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, in die Hände gekommen - ich finde, das hat was
"Wie könnte man einen Menschen vergessen, den man von jeher liebt!
… denn die Vorstellung, die man sich lange Zeit von einer Person gemacht hat, verschließt einem Augen und Ohren.
Ich sagte zu meiner Großmutter, ich sähe nicht gut, und sie gab mir ihr Opernglas. Wenn man aber an die Wirklichkeit der Dinge glaubt, bewirkt ihre Verdeutlichung durch ein künstliches Mittel noch lange nicht, dass man sich ihnen auch nahe fühlt. Ich vermeinte nun, nicht mehr die Berma vor mir zu haben, sondern ihr Bild in einem Vergrößerungsglas. Ich legte das Instrument wieder weg; vielleicht war aber das durch die Entfernung verkleinerte Bild, das mein Auge erreichte, auch nicht genauer; welche der beiden Bermas war nun die echte?
Theoretisch weiß man, dass die Erde sich dreht, tatsächlich aber merkt man es nicht; der Boden, auf dem man schreitet, scheint sich nicht zu rühren, und so lebt man ruhig vor sich hin. Genauso ist es im Leben mit der Zeit.
Wie speziell es auch sein mag, all das Tönen, das aus dem Mund menschlicher Wesen kommt, ist flüchtig und lebt nicht länger als sie.
Ein starker Gedanke teilt was mit. Da er ein Teil der Wirkwelt des Geistes ist, schiebt er sich, pflanzt er sich auch im Geist des Gegners zwischen verwandte Gedanken ein, mit deren Hilfe dieser nun das gegnerische Argument, indem er eine gute Seite davon aufgreift, vervollständig oder richtig stellt, so dass schließlich das Endurteil gewissermaßen das Werk beider Kontrahenten ist.
… vielleicht gibt es überhaupt nur einen Geist, an dem jeder einzelne von uns teilhat, einen Geist, auf den jeder in seinem eigenen Körper befangen die Blicke geheftet hält, so wie im Theater, wo zwar jeder seinen gesonderten Platz hat, doch nur eine einzige Bühne existiert.
… denn der Geneigtheit geistig hoch stehender Menschen steht kompensierend das Unverständnis und die Ablehnung der mittelmäßigen gegenüber.
Dreiviertel der Leiden, die intelligente Menschen befallen, kommen von ihrer Intelligenz.
Ruhe. In der Liebe gibt es sie nicht, da das, was man erlangt, immer nur der Ausgangspunkt für neue Wünsche ist.
Was so glücklich macht, ist etwas Instabiles im Herzen, das man immer zu erhalten versucht und das man kaum noch wahrnimmt, solange es sich nicht verschiebt. Tatsächlich liegt in der Liebe beständiges Leiden …
Wir alle müssen, um die Wirklichkeit für uns erträglich zu machen, ein paar kleine Torheiten in uns nähren."