Jüngstes Gericht
(in Anlehnung an Esslemont "Bahá'u'lláh und das Neue Zeitalter")
Das biblische Wort "Tag" in Ausdrücken, wie "Tag Gottes" und "letzter Tag" bedeutet aus Bahá'í-Sicht "Sendung" und "den ganzen Zyklus eines Offenbarers". Der Würde-Titel "Bahá'u'lláh" ist das arabische Wort für "Herrlichkeit Gottes". Dieser Titel wird häufig von den hebräischen Propheten für den Verheißenen gebraucht, der in den "letzten Tagen" erscheinen werde (z.B. Jesaja 40, 1-5). Der "Tag" der allerhöchsten Manifestation Gottes (Bahá'u'lláh) ist der "letzte Tag", weil es ein "Tag" ist, der nimmer enden und nicht von der (geistigen) Nacht überwältigt werden soll.
Der Ausdruck "Ende der Welt", wie er in der Bibel gebraucht wird, hat viele Christen veranlasst, am Tag des "Jüngsten Gerichts" die Zerstörung der Erde, das "Ende der Welt" zu erwarten.
Foto zum Thema "Jüngstes Gericht"Für Bahá'í bedeutet das "Jüngste Gericht" jedoch kein "Ende der Welt", keinen "physischen Weltuntergang", auch wenn die drohenden Klima- und Umweltkatastrophen, militärischen Konflikte und sozialen Unruhen in vielen Teilen der Welt eine Apokalypse durchaus als "möglich" erscheinen lassen.
Das "Jüngste Gericht" weist für Bahá'í vielmehr auf eine "neue Ausrichtung des menschlichen Bewusstseins" hin, eine "Neu-Orientierung der Menschheit" nach erfolgter neuer Gottesoffenbarung, quasi eine "Wiedergeburt in einem neuen Geist bzw. Bewusstsein". Mit jeder neuen Ausgießung des Heiligen Geistes öffnet Gott ein "neues Zeitfenster", eröffnet Gott ein "neues Zeitalter", setzt Gott tiefgründige Wandlungs- und Wachstumsimpulse frei.
So gesehen, bedeutet "Weltuntergang" den "Untergang einer alten Weltordnung" und das "Ende eines alten Bewusstseins". Von diesem Untergang ist in der Tat alles betroffen, was sich der göttlichen Aufforderung zur Wandlung widersetzt und nicht begreifen will, dass der Allmächtige selbst diesen globalen Wandel eingeleitet hat. Für viele Menschen, die mit ganzer Kraft am Alten festhalten und haften wollen, bedeutet eine neue Gottesoffenbarung tatsächlich eine Bedrohung ihres alten Bewusstseins, ihrer alten Welt und insoweit einen "Weltuntergang". "Weltuntergang" meint den "Untergang alter Gedankenmuster, alter Weltvorstellungen, alter Wertmaßstäbe". "Weltuntergang" weist auch auf den Untergang alter Vorurteile hin, die in der von Gott eröffneten "neuen Welt" fehl am Platz sind. Selbst bei Wissenschaftlern hat seit Bahá'u'lláhs Erscheinen schon mehrmals ein "Weltuntergang" stattgefunden, indem alte Theorien und Arbeitshypothesen nach neuen Erkenntnissen aufgegeben werden mussten.
Der "Weltuntergang" trifft insbesondere die etablierten Institutionen der alten Religionen sehr schmerzlich, da mit Bahá'u'lláh erstmals in der Religionsgeschichte alte religiöse Texte richtig, tief greifend und umfassend interpretiert wurden. Erst nach dem zweiten Erscheinen Christi kann das Christentum nunmehr - befreit von alten und neueren Missverständnissen - so verstanden werden, wie es Christus bei Seinem ersten Kommen ursprünglich zum Ausdruck brachte.
Foto zum Thema "Jüngstes Gericht"Auch wenn dies zunächst wenig glaubhaft scheint, hat Gott selbst die Kirchen und anderen religiösen Institutionen weltweit einem enormen Wandlungsdruck ausgesetzt, der mit fundamentalen Erschütterungen und einem "Weltuntergang" einhergeht. Nichts kann sich der gigantischen Erneuerungskraft Gottes entgegen stellen. Die "Kirche von morgen", die "Theologie von morgen" und alle anderen religiösen Vertreter bestehender Glaubensrichtungen stehen unfreiwillig vor der großen Herausforderung, auf die historisch jüngste Gottesoffenbarung konstruktiv zu reagieren.
Mit der Wiederkunft Christi wurde eine Wandlungsintensität eingeleitet, wie sie die Menschheit bislang noch nicht erlebt hat. Jedem einsichtigen Gläubigen wird es unschwer einleuchten, dass die Wiederkunft Christi "auf der Stufe des Vaters" mit einer wesentlich größeren Schöpfungs- und Schwungkraft verbunden ist, als sie "auf der Stufe des Sohnes" zum Auswirkung kam.
Bahá'u'lláh ist jener "Christus in der Herrlichkeit des Vaters", der die "Religion der Zukunft" in diese irdische Wirklichkeit brachte und damit den "Weltuntergang" der "alten Welt" einleitete. Jeder einzelne Mensch dieser Erde ist aufgerufen, vorurteilsfrei zu prüfen, ob die neue Religion Gottes eine "wahre Religion", eine "echte Religion" ist. Wer dies wirklich ernsthaft prüfen will, findet unzählige Kriterien und Wege, sich davon zu überzeugen, ob der Anspruch Bahá'u'lláhs gerechtfertig ist oder nicht.
Den Geistlichen der Welt kommt hierbei eine überaus große Verantwortung zu, da unzählige Gläubige ihren Worten folgen. Solange die Geistlichen nicht in aller Klarheit und Eindeutigkeit auf den neuen Weg und Tag Gottes hinweisen, werden große Teile der Menschheit die neue frohe Botschaft Gottes nicht vernehmen.
Foto zum Thema "Jüngstes Gericht"Die Erde muss also nicht vernichtet, sondern erneuert und wiedergeboren werden. Dies ist die tiefere Bedeutung des "Jüngsten Gerichts". Der Tag des "Jüngsten Gerichts", von welchem Christus sprach, ist mit dem Kommen des Herrn der Heerscharen, des Vaters (wie es von Jesaja und andern Propheten des Alten Testaments prophezeit wurde) gemeint, wohl eine Zeit schrecklicher Strafe für die Gottlosen, aber eine Zeit, in welcher Gerechtigkeit geschaffen wird und Rechtschaffenheit herrschen soll, auf Erden wie im Himmel.
Der Posaunenruf, von dem Christus, Muhammad und viele andere Propheten sprachen, bedeutet den Ruf der göttlichen Manifestation, der erschallen wird für alle, die im Himmel und auf Erden sind, d.h. für die diesseitigen und jenseitigen Menschen.
Schließlich sei das Missverständnis vom "Auferstehungstag" nach dem "Weltuntergang" angesprochen: "Auferstehung" hat für Bahá'í nichts mit dem physischen Körper zu tun. Dieser Körper zerfällt mit seiner Auflösung in seine Atome, die niemals wieder zum gleichen Körper zusammengesetzt werden. "Auferstehung" ist vielmehr die Geburt des einzelnen Menschen zu geistigem Leben, dies durch die Gabe des Heiligen Geistes, übermittelt durch den Offenbarer Gottes. Das Grab, von welchem er sich erhebt, ist das "Grab der Unwissenheit und Nachlässigkeit Gott gegenüber". Der Schlaf, aus welchem der Mensch erwacht, ist kein körperlicher, sondern der "geistige Schlafzustand", in dem viele das Dämmern des Tages Gottes erwarten.
Die "Dämmerung des Tages Gottes" gibt allen Menschen Licht, unabhängig davon, ob sie sich im Körper oder außerhalb des Körpers befinden. Doch jene, die geistig blind sind, können sie nicht begreifen. Der Auferstehungstag ist kein normaler Tag (vierundzwanzig Stunden); er ist ein Zeitalter, das mit Bahá'u'lláhs Kommen begonnen hat und dauern wird, solange der durch Bahá'u'lláh eingeleiteten Weltzyklus dauert.