K
Karuna
Guest
Bahia
I
Es war am späten Nachmittag, als Diogo und Angela, endlich, nach einer langen Fahrt, Canavieras erreichten. Der Bus hielt mitten im Ort am Hafen, wo ein paar Männer vor einer Kneipe versammelt, laut diskutierten.
„Das war eine lange Reise.“ Angela kletterte steif aus dem Bus.
Diogo folgte ihr. Neugierig schauten die Männer zu ihnen herüber. Diogo nahm seinen Rucksack und bedeutete Angela ihm zu folgen.
„Alô“, grüβte er.
„Boa tarde“, kam es brummend zurück. Es waren alte Männer mit dunkler Haut. Einer von ihnen stand auf und kam wankend auf sie zu.
Die abseits stehenden Männer verfolgten währenddessen begierig das Gespräch. Ein Farbiger mit aufgedunsenem Gesicht und glasigen Augen stierte zu Angela und begutachtete ihren Körper selig von oben bis unten. Da war erst einmal ihr knappes T-Shirt mit Spagetti Trägern, welches verheiβungsvolle Wonnen ihm offenbarte. Nachdem er sich an den Andeutungen ihres Busens genügend aufgegeilt hatte, wanderten seine Augen hinab zu ihren kurzen Shorts, die ihre Beine ganz frei gaben.
„Ich suche das Haus von Mariazinha Santos“, erklang Diogos Stimme ziemlich ungeduldig, lieβ den Gaffer zusammenzucken.
„Hm.“ Der alte, der aufgestanden war, hatte eine Alkoholfahne und sah Diogo neugierig an. „Mariazinha Santos?“ Er kratzte sich am Kopf. “Kennst du sie?”
Diogo wich einen kleinen Schritt zurück und nickte. „Sie ist meine Groβmutter.“
Allgemeines Beifallgemurmel. „Ah, deine Groβmutter“, wiederholte der alte Mann grinsend und zeigte dabei seinen fast zahnlosen Mund. „Mariazinha wohnt dort hinüber, ganz am Rande des Ortes.“ Er zeigte nach links. „Du musst einfach diese Straβe weitergehen und dann, beim Ende den Erdweg nach links. Ihre Hütte ist die ganz hinten, am Rande vom Palmenhain.“
„Danke Compadre. Das war sehr freundlich.“
„Du bist also der Enkel.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ja, es ist zwanzig Jahre her, als dein Vater von hier fortreiste. Er war ein guter Mann, ich kannte Francisco gut.“ Dann deutete er auf Angela. „Und wer ist die Ausländerin?“
„Oh, sie ist meine Freundin und ich will sie meiner Groβmutter vorstellen.“
Die übrigen Männer nickten wohlwollend und zwinkerten Diogo fachmännisch zu.
„Dann habt noch einen schönen Tag und danke erst einmal“, rief er ihnen zu und machte sich mit Angela auf den Weg.
Canavieras bestand aus alten Kolonialhäuschen in bunten Farben.
„Das waren einmal die Paläste der Coronels“, meinte Diogo abschätzend.
„Coronels?“ fragte Angela. „Was sind Coronels?“
Das war in den dreiβiger Jahren, als der Kakaohandel blühte, man nannte sie auch die Kakaobarone. Canavieras war damals einer der wichtigsten Kakaohäfen der Welt. Diese verdammten Coronels schwammen nur so im Geld und tranken Champagner lieβen Tänzerinnen aus Paris einfliegen.“ Diogo schnaubte verächtlich. Und meine Urgrosseltern wurden damals noch wie die Sklaven ausgebeutet. Mein Vater erzählte mir diese Geschichte mal.“ Er seufzte. „Mein Groβvater zog es vor mit den Fischern hinaus zu fahren, als sich auf den Plantagen abzuplagen.“
Sie waren bereits ein gutes Stück Weg gegangen und kamen an einem Lebensmittelgeschäft und dann an der Schule vorbei. Diogo konnte es kaum erwarten seine Groβmutter endlich zu sehen und humpelte bereits voraus, während Angela müde hinterher trottete.
Rechterhand glitzerte das Meer in der kleinen Fischerbucht, wo Boote lustig in der Nachmittagsbrise schaukelten. Dann wurde die Gegend immer einsamer, der Weg führte an Kokospalmen entlang und man hörte nur das Rauschen des Windes in den Wipfeln.
Ich bin gespannt auf die alte Frau, dachte Angela. Wie Diogo es angedeutet hat, soll sie hellseherische Fähigkeiten besitzen. Sie ist eine Mãe de Santo, eine Candomblé Priesterin. Diogo will sie unbedingt sehen. Nach dem Besuch seiner Mãe de Santo in Jacarepaguá, sprach er nur noch davon, denn er hat Angst vor bösem Zauber und sie soll ihn davon befreien. Es ist sein Aberglauben, der bisher unüberwindbar zwischen uns steht. Claudia ist da ganz anders, aber Claudia wuchs in Brasilien auf. Da verkaffert man wahrscheinlich ein bisschen. Sie atmete einmal tief ein. Die Luft roch nach Meer und nach der Erde hier. Es war dunkelrote Erde, fruchtbare Erde. Hier wir der Kakao angebaut, vor hundert Jahren war noch dichter Urwald, und nicht weit von hier, im Hinterland, gibt es ihn noch immer meilenweit. Darum haben mich diese Hinterwäldler auch so angegafft, überlegte sie. Wir sind hier so ziemlich am Ende der Welt.
„Angela, wo bleibst du?“, rief ihr Diogo zu. Sie schrak aus ihren Gedanken. Er war bestimmt zwanzig Meter vor ihr und wartete bereits.
„Wir sind hier zwar im Nirgendwo, aber es ist paradiesisch, Diogo.“
Sie marschierten tapfer die Landstraβe, auf der der Abendwind rote Staubwolken aufwirbelte.
„Paradiesisch? Dieses Land hier nennt man das Land ohne Ende, so erzählten meine Eltern. Blutdurchtränkte Erde, von den zahllosen Menschen, die ihre Leben lassen mussten.“
Dann sahen sie die Hütte. Sie stand ein wenig abseits, am Rande von einem Palmenhain. Genau wie der Fischer es beschrieben hatte und vor der Tür wartete eine dicke Negerin und winkte. „Das ist sie“, murmelte Diogo. „Das ist meine Groβmutter.“
Angela nickte. Und dann hinkte Diogo zu ihr.
„Avô! Avô!“ rief er und fiel ihr in die Arme.
text von Karuna
auszug aus Maracanã
I
Es war am späten Nachmittag, als Diogo und Angela, endlich, nach einer langen Fahrt, Canavieras erreichten. Der Bus hielt mitten im Ort am Hafen, wo ein paar Männer vor einer Kneipe versammelt, laut diskutierten.
„Das war eine lange Reise.“ Angela kletterte steif aus dem Bus.
Diogo folgte ihr. Neugierig schauten die Männer zu ihnen herüber. Diogo nahm seinen Rucksack und bedeutete Angela ihm zu folgen.
„Alô“, grüβte er.
„Boa tarde“, kam es brummend zurück. Es waren alte Männer mit dunkler Haut. Einer von ihnen stand auf und kam wankend auf sie zu.
Die abseits stehenden Männer verfolgten währenddessen begierig das Gespräch. Ein Farbiger mit aufgedunsenem Gesicht und glasigen Augen stierte zu Angela und begutachtete ihren Körper selig von oben bis unten. Da war erst einmal ihr knappes T-Shirt mit Spagetti Trägern, welches verheiβungsvolle Wonnen ihm offenbarte. Nachdem er sich an den Andeutungen ihres Busens genügend aufgegeilt hatte, wanderten seine Augen hinab zu ihren kurzen Shorts, die ihre Beine ganz frei gaben.
„Ich suche das Haus von Mariazinha Santos“, erklang Diogos Stimme ziemlich ungeduldig, lieβ den Gaffer zusammenzucken.
„Hm.“ Der alte, der aufgestanden war, hatte eine Alkoholfahne und sah Diogo neugierig an. „Mariazinha Santos?“ Er kratzte sich am Kopf. “Kennst du sie?”
Diogo wich einen kleinen Schritt zurück und nickte. „Sie ist meine Groβmutter.“
Allgemeines Beifallgemurmel. „Ah, deine Groβmutter“, wiederholte der alte Mann grinsend und zeigte dabei seinen fast zahnlosen Mund. „Mariazinha wohnt dort hinüber, ganz am Rande des Ortes.“ Er zeigte nach links. „Du musst einfach diese Straβe weitergehen und dann, beim Ende den Erdweg nach links. Ihre Hütte ist die ganz hinten, am Rande vom Palmenhain.“
„Danke Compadre. Das war sehr freundlich.“
„Du bist also der Enkel.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ja, es ist zwanzig Jahre her, als dein Vater von hier fortreiste. Er war ein guter Mann, ich kannte Francisco gut.“ Dann deutete er auf Angela. „Und wer ist die Ausländerin?“
„Oh, sie ist meine Freundin und ich will sie meiner Groβmutter vorstellen.“
Die übrigen Männer nickten wohlwollend und zwinkerten Diogo fachmännisch zu.
„Dann habt noch einen schönen Tag und danke erst einmal“, rief er ihnen zu und machte sich mit Angela auf den Weg.
Canavieras bestand aus alten Kolonialhäuschen in bunten Farben.
„Das waren einmal die Paläste der Coronels“, meinte Diogo abschätzend.
„Coronels?“ fragte Angela. „Was sind Coronels?“
Das war in den dreiβiger Jahren, als der Kakaohandel blühte, man nannte sie auch die Kakaobarone. Canavieras war damals einer der wichtigsten Kakaohäfen der Welt. Diese verdammten Coronels schwammen nur so im Geld und tranken Champagner lieβen Tänzerinnen aus Paris einfliegen.“ Diogo schnaubte verächtlich. Und meine Urgrosseltern wurden damals noch wie die Sklaven ausgebeutet. Mein Vater erzählte mir diese Geschichte mal.“ Er seufzte. „Mein Groβvater zog es vor mit den Fischern hinaus zu fahren, als sich auf den Plantagen abzuplagen.“
Sie waren bereits ein gutes Stück Weg gegangen und kamen an einem Lebensmittelgeschäft und dann an der Schule vorbei. Diogo konnte es kaum erwarten seine Groβmutter endlich zu sehen und humpelte bereits voraus, während Angela müde hinterher trottete.
Rechterhand glitzerte das Meer in der kleinen Fischerbucht, wo Boote lustig in der Nachmittagsbrise schaukelten. Dann wurde die Gegend immer einsamer, der Weg führte an Kokospalmen entlang und man hörte nur das Rauschen des Windes in den Wipfeln.
Ich bin gespannt auf die alte Frau, dachte Angela. Wie Diogo es angedeutet hat, soll sie hellseherische Fähigkeiten besitzen. Sie ist eine Mãe de Santo, eine Candomblé Priesterin. Diogo will sie unbedingt sehen. Nach dem Besuch seiner Mãe de Santo in Jacarepaguá, sprach er nur noch davon, denn er hat Angst vor bösem Zauber und sie soll ihn davon befreien. Es ist sein Aberglauben, der bisher unüberwindbar zwischen uns steht. Claudia ist da ganz anders, aber Claudia wuchs in Brasilien auf. Da verkaffert man wahrscheinlich ein bisschen. Sie atmete einmal tief ein. Die Luft roch nach Meer und nach der Erde hier. Es war dunkelrote Erde, fruchtbare Erde. Hier wir der Kakao angebaut, vor hundert Jahren war noch dichter Urwald, und nicht weit von hier, im Hinterland, gibt es ihn noch immer meilenweit. Darum haben mich diese Hinterwäldler auch so angegafft, überlegte sie. Wir sind hier so ziemlich am Ende der Welt.
„Angela, wo bleibst du?“, rief ihr Diogo zu. Sie schrak aus ihren Gedanken. Er war bestimmt zwanzig Meter vor ihr und wartete bereits.
„Wir sind hier zwar im Nirgendwo, aber es ist paradiesisch, Diogo.“
Sie marschierten tapfer die Landstraβe, auf der der Abendwind rote Staubwolken aufwirbelte.
„Paradiesisch? Dieses Land hier nennt man das Land ohne Ende, so erzählten meine Eltern. Blutdurchtränkte Erde, von den zahllosen Menschen, die ihre Leben lassen mussten.“
Dann sahen sie die Hütte. Sie stand ein wenig abseits, am Rande von einem Palmenhain. Genau wie der Fischer es beschrieben hatte und vor der Tür wartete eine dicke Negerin und winkte. „Das ist sie“, murmelte Diogo. „Das ist meine Groβmutter.“
Angela nickte. Und dann hinkte Diogo zu ihr.
„Avô! Avô!“ rief er und fiel ihr in die Arme.
text von Karuna
auszug aus Maracanã