Die Nacht in der Wüste

K

KameltreiberAli

Guest
diese Geschichte schrieb ich heute Nachmittag
sie könnte sich sogar so zugetragen haben
im Februar
als ich mich im Oman aufhielt
in der Ramlat Al-Wahiba
südlich von der Stadt Muscat...


Es war weit nach Mitternacht, als sie die Tür leise hinter sich zuzog um sich schnellen Schrittes aus dem Wüstencamp zu entfernen. Es gab nur eine einfache Einzäunung aus Maschendraht und Palmenblättern, welche dazu diente den Wind abzuhalten, aber der Eingang zum Camp, den sie gerade hinter sich lieβ, blieb immer offen.
Wozu auch Sicherheitsmaβnahmen?, dachte sie und atmete die Luft der Wüste tief in sich ein.
Der Oman ist ein sicheres Land, keine Kriminalität, die Grenzen zum Yemen und Saudi Arabien sind geschlossen und Terrorismus gibt es hier nicht.
Der Mond tauchte die riesigen Dünen der Al-Wahiba Sands in silbriges, kaltes Licht, zauberte endlos lange Schatten auf den Sand. Ja, das liebte sie, die Wüste, diesen irrealen Zustand ein Gefühl des sich Verlierens im Nirgendwo, im Nichts.
Die Düne vor ihr war mindestens zweihundert Meter hoch und sehr steil, sie musste sich anstrengen, der Sand so fein, dass man immer wieder darin versank.
Aber es war dieses Gefühl von Freiheit welches sie in sich und um sich fühlte, welches sie glücklich machte und sie auflachen lieβ, als sie endlich erschöpft oben anlangte und sich hinsetzte um sich dem Anblick der Millionen Sterne über ihr am Himmel hinzugeben. Sie lachte immer noch und streckte die Hand nach oben zum Himmel empor, wie um nach einem Stern zu schnappen.

Tausende von Kilometern flog ich um jetzt hier zu sitzen, was für ein Gefühl. Eigentlich aufregend, aber seltsam ein groβer Friede nimmt von mir Besitz. Bin ich endlich bei mir selbst angelangt?
Da hörte sie ein leises Geräusch hinter sich und zuckte zusammen. Und tatsächlich, ein junger Mann stand plötzlich vor ihr. Sein weiβer Dishdasha kontrastierte stark zu den dunklen Schatten der Dünen, er trug wie alle Omanis eine Kinah auf dem Kopf, es musste sich somit um einen Einheimischen handeln.
„Salam aleikum“, grüsste er leise und setzte sich mit einem gebührenden Abstand neben sie.
Er war, wie alle Omanis von dunkler Hautfarbe und hatte eine ausgeprägte Hakennase. Seine Lippen waren schmal und ein kleiner Schnurrbart verlieh ihm jene ehrenhafte Bedeutsamkeit, auf welche Omanis grossen Wert legen. Aber es waren seine Augen, dunkle sanfte Augen, die ihr jegliche Angst nahmen.
„Aleikum salam,“ antwortete sie höflich. „Woher des Weges mitten in der Nacht?“
„Ich komme oft und blicke hinauf zu den Sternen.“
„Aha“, meinte sie und wartete ab, was der Fremde ihr noch alles so für Überraschungen bieten würde.
„Ich heiβe Omar und komme aus Muscat. In den Ferien verdiene ich mir ein paar Ryials als Führer durch die Wüste. – Aber es ist mehr wegen der Wüste, dass ich komme.“
„Bisher erlebte ich die Omanis sehr zurückhaltend gegenüber Frauen, wie kommt es dass du eine so offene Einstellung hast?“
„Meine Familie lebt in Muscat, aber ich studiere seit drei Jahren in Boston, du verstehst?“
Oh, er hat ein verschmitztes Lächeln, welches mich alles mehr oder weniger verstehen lässt. Mitten in der Wüste neben einem fremden Omani zu sitzen, und es obendrein auch noch zu verstehen… Sie schwieg eine Weile.
„Ich heiβe Marisa“, sprach sie endlich in eine Stille, die nicht mehr von dieser Welt schien, denn die Nähe des Omani hatte irgendwas verändert. Diese Wüste war geheimnisvoll in ihrer Leere, aber jetzt kam noch Magie hinzu, die alles um sie her verzauberte. Die Sterne begannen auf einmal zu tanzen und der Wind sang ein leises melancholisches Lied.
„Ich weiβ“, sagte er. „Auch warum du kamst, Marisa.“
Sie blickte ihn an, blickte in diese Augen voller Sanftmut und sie verstand.
„Ich habe eine Frage an dich, Marisa.“ Er schwieg.
„Ja, Omar?“
„Glaubst du nun frei zu sein? Und was bedeutet frei zu sein?“
„Ich weiβ es nicht, Omar.“ Ich bin immer noch verwirrt, so wie nach einer mühsamen Reise durch schillernde Fata Morganas, ich sah sie nicht in der Ferne, Omar. Ich war mitten drin, in den Fata Morgans und versuchte mich da raus zu holen. Ich befand mich inmitten meiner Sehnsucht und kaum war ich drauβen, war ich schon wieder in der nächsten… lauter spiegelnde, sich ständig verschiebende Flächen wie aus Glas. Ich konnte nicht Fuβ fassen, wollte dem entkommen und schaffte es nicht. Es war ein Aufschrei nach Freiheit, die Freiheit jedoch entfernte sich nur mehr und mehr und rückte in unnahbare Ferne…“ Sie schwieg. „Die Freiheit wurde schlieβlich zu einer Fata Morgana.“

Die Sterne kamen in ihrem Tanz immer näher, unsagbar schöne Farben explodierten und von den Sternen tönten Melodien. Jeder Stern besaβ eine andere Melodie, welche sich in kosmischer Harmonie mit allen vereinigte und eine Symphonie erschuf, die unvorstellbar ergreifend war. Marisa begann zu weinen.
„Was macht dich so traurig?“ Er nahm sie in den Arm und wiegte sie sanft. „Du selbst hast dir diese ganzen Schmerzen zugeführt, weil du die Bindung nicht annehmen wolltest.“ Er strich ihr beruhigend übers Haar und drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. „Freiheit kann nur durch Bindung entstehen. Und diejenigen, die sich frei wähnen, sehen ihre eigenen Ketten nicht.“ Er seufzte und sah sie ernst an. „Erst in deiner Wehrlosigkeit findest du deine Sicherheit!“
„Erst in meiner Wehrlosigkeit finde ich meine Sicherheit“, wieder holte sie nachdenklich seine Worte, lauschte dabei der groβen Symphonie des Universums zu. „Danke, Omar“, rief sie freudig aus. „Endlich habe ich verstanden!“ Er nahm ihre Hand und schenkte ihr zum Abschied ein Lächeln. „ Salam, Marisa. Ich werde jetzt gehen. Irgendwann, irgendwo sehen wir uns vielleicht mal wieder.“ Dann war er verschwunden.
Während Marisa langsam die Düne hinunter glitt, machte sich eine Freude in ihr breit. Die Sterne waren längst verstummt und an ihren gewohnten Platz zurückgekehrt. Aber in ihrem Herzen, da erklang die Sternensymphonie und erfüllte ihr ganzes Sein. Sie warf sich in den Sand und rutschte und warf den Sand um sich. Ausgelassen schlug sie Purzelbäume und wirbelte den Sand herum, bis sie rutschend und völlig auβer Atem unten ankam. Jetzt hab ich es, rief sie hinaus in die Nacht.

Text von Ali Juli 2007



Ali:liebe1: :liebe1: :liebe1:

 
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Hallo Ali!

Das mit den Sternen kann ich verstehen.
Die Wüste vergisst man nicht mehr, wenn man sie einmal erleben durfte und Ihren Nachthimmel sah..(seufz).
Die Länder des sogenannten Nahen Ostens, ich liebe sie sehr.
Bereist habe ich sie leider nur mit Einschränkung...
Wäre diese Welt nicht diese Welt, (doppelseufz), ich würde wohl irgendwo dort meine Zelte aufschlagen
(aber nicht ohne einem edlen Pferd davor (lach),
das mich bewacht
und sacht
zu neuen Ufern trägt)...

und auch das
„Erst in deiner Wehrlosigkeit findest du deine Sicherheit!“
verstehe ich sehr gut (zwinker)
das was man zutiefst fürchtet, dem muss man sich stellen, immer wieder, nur so wird man wirklich frei.
Es zu vermeiden führt am Ende nur in immer größere Abhängigkeit und der Illusion einer Art Pseudofreiheit.
Freiheit bedeutet aber NICHTS zu fürchten.
Nicht die Freiheit und nicht die Gefangenschaft....
Wirklich frei zu sein, bedeutet, dass es keinen Unterschied mehr macht..
Das bedeutet Freiheit zumindest für mich...

LG


Regina

"Wer eine Stute zu Ehren Allahs hält, dem schenkt er reichen Lohn und Segen."
(Mohammed)

"Ich will nicht reiten das Rennkamel,
ich will auf der Stute zum Ghazu.
Oh wie herrlich eine edle Stute zu reiten!
Wie stolz tänzelt sie einher!
Wenn unsere große Schar angreift,
bäumt sie sich auf wie ein Löwe
und der Feind wird Ihre Schläge verspühren."

(Beduinenlied)


LG


Regina
 
Regina:Freiheit bedeutet aber NICHTS zu fürchten.
Nicht die Freiheit und nicht die Gefangenschaft....
Wirklich frei zu sein, bedeutet, dass es keinen Unterschied mehr macht..
Das bedeutet Freiheit zumindest für mich...

danke dir
du wunderbare Menschin
ich liebe deine Texte:liebe1:

du bist eine Poetin
so wie auch Alice Im Wunderland:liebe1:

und das Beduinengedicht
hat mir Schauer über den Rücken
wallen lassen...


ja... ich liebe die Wüste



Ali:liebe1: :liebe1: :liebe1:
 
:liebe1: hach, mehr davon, Ali,

dein Buch hat schon Lust auf mehr davon gemacht:)
ja, in der Wehrlosigkeit steckt Sicherheit....Freiheit, genau!
danke dafür!

antana:liebe1:
 
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Die Sonne stand bereits tief am Horizont, über einer endlosen Landschaft aus Sanddünen, der eine geheimnisvolle Ruhe innewohnte. Am Fuβ der Düne, weit in der Ferne knieten einige Beduinen auf ihren Gebetsteppichen und beteten zu Allah.
Sie saβ schon eine geraume Weile hier oben, ihre Seele nahm mehr und mehr diese feierliche Stille in sich auf, wie man sie nur in der Wüste erleben konnte.
Sie schaute hinauf in die Unendlichkeit des Himmels. Am Horizont verblasste ein sanftes Orange, wurde immer zarter, bis es verschwunden war. Wie bei einem Regenbogen folgten Nuancen von Hellrosa Grün und Gold. Es glühte nochmals auf, um dann zu einem opalisierenden Grau zu werden, dem rasch die Dämmerung folgte.

Marisa begann zu weinen. Dieser Augenblick des sterbenden Lichtes, welches der Dunkelheit Raum gab, lieβ immer wieder eine unerklärliche Traurigkeit in ihr hoch kommen.
Unten hatten die Beduinen inzwischen eine Feuerstelle errichtet und angezündet. Man hörte ihre Zurufe und ihr Lachen bis hier oben.
Sie trocknete sich ihre Tränen und blickte hinauf in das unendliche Blau des Himmels, wo sich unbemerkt die ersten Sterne angekündigt hatten.
Und wenn es doch nur Illusion ist?, fragte sie sich laut. Habe ich mich verirrt, verrannt und verkörpere nur statt zu sein?
„Ach du bist es, Omar.“ Marisa musste lächeln. Omar kam und ging, seit dem sie in dieser Wüste weilte. Sie sah ihn fragend an. „Du hast sicher meine Zweifel gehört?“ Omar nickte.
„Es geht darum, warum du Zweifel hast, Marisa.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiβ es nicht…“
Omar blickte sie eindringlich an. Seine Augen hatten dabei die gewohnte Sanftheit, die ihr jegliche Angst nahmen; und in diesen Augen sah sie sich auf einmal selbst. Seine Augen waren tiefer als der Nachthimmel und Erinnerungen durchfluteten ihr ganzes Sein, nahmen ihr alle Ängste.
Marisa schwieg zutiefst bewegt. Sie vermochte weder einen Gedanken fassen, noch ein Wort auszusprechen, während die Liebe aus ihrem Herzen strömte und den Raum in ihr ausfüllte, der ihr jene Gewissheit gab, die ihr niemand mehr nehmen konnte.
„Komm, lass uns hinunter zu den anderen gehen.“ Omar stand auf und zog sie hoch. Schweigend gingen sie die Dünen hinunter und setzten sich ein wenig abseits an die Feuerstelle, von der, der süβe Duft von Sandelholz und Weihrauch entstieg.
Die Beduinen hatten sich hier versammelt. Teilten gemeinsam das Brot und ihre Geschichten. Geschichten ihrer Ahnen, die sie von ihren Müttern und Vätern schon erzählt bekamen.
Marisa dachte an die lange Durststrecke die sie ab morgen vor sich haben würde. Wasser aus dem Brunnen konnte sie schöpfen, aber nicht immer gab es Wasser, und das würde nicht leicht. Aber sie wusste wo die Reise hinführte, und sie hatte die Beduinen, die sie sicher durch alle Gefahren geleiten täten.
Einer der Beduinen hatte ein trauriges Lied angestimmt, und begleitete seinen Gesang mit einer Trommel, die anderen stimmten in seinen Gesang mit ein. Auch eine Flöte erklang, vermischte sich mit dem kehligen, arabischen Lauten von den Söhnen der Wüste. Marisa verstand nichts von ihren Worten, aber immer wieder einmal hörte sie das Wort „habibi“. Liebe! Sie lächelte und dachte an ihre groβe Liebe, die weit, weit weg war und doch so nah. Zusammen mit dem Lied der Beduinen kam die Nacht mit den Sternen. Millionen Sterne, die ihr Licht in die Dunkelheit strahlten. Und sie wusste, dass sie unendlich geliebt wurde und sie unendlich liebte.
Oh Allah! Sie legte sich hin und zog ihre Decke hoch bis ans Kinn. Dann schlief sie erschöpft ein. Das Lied der Beduinen über die Liebe, begleitetes sie noch eine Weile, bis es schlieβlich auch verstummte und sie in jene Stille hinein gleiten lieβ, wo es keine Zeit, keinen Raum und keine Getrenntheit mehr gab.
Text v. Ali Juli 2007



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