Ich erzähl mal von Zuhause, wie man hier so sagt. Meine Mutter (79) hat sich über Jahre hinweg in die Pflegebedürftigkeit manövriert, angefangen mit der Weigerung selber zu gehen, und mittlerweile ist sie praktisch bettlägerig. Ihr Mann (84) kümmert sich und leistet ihr Gesellschaft, morgens und abends kommt jemand vom Pflegedienst, wäscht sie, wickelt ihre Beine, zieht sie an. Was im Haushalt und an Besorgungen etc zu tun ist, mache ich. Ich wohne wieder mit im Haus, seit ich mitbekommen habe, daß die Beiden nicht mehr klarkommen.
Meine Mutter war nie für Bewegung oder gar Sport. Sie hat lieber am Küchentisch gesessen und täglich reichlich Kuchen gegessen. Jeder Hinweis (von Bekannten oder auch von mir) das wäre nicht gut für sie, verpuffte, und so nahm das Unvermeidliche seinen Lauf. Sie hat jetzt ein sehr schwaches Herz und kaum noch Muskulatur, so daß sie tatsächlich nur noch einige Schritte schafft, und sie läßt sich rundum bedienen. Man muß auch alles anreichen, selbst wenn es direkt vor ihr liegt, weil sie es angeblich nicht sieht (manche erlebte Szenen lassen diese Beeinträchtigung als Lüge auffliegen). "Vielleicht gibt es ja mal eine Tablette, daß ich wieder laufen kann." (Zitat) Die behindertengerechte Toilette benutzt sie nicht, sondern einen Toilettenstuhl auf Rollen, und zwar wo sie gerade ist, also am Küchentisch oder im Schlafzimmer. Mein Vater leert die Schüssel ins Klo, putzt sie ab und zieht ihr die Hose wieder hoch. Ob ihr das möglicherweise eine gewisse Genugtuung bringt, sei dahingestellt. Könnte durchaus sein. Die Ehe war nicht grad harmonisch all die Jahre. Mein Vater ist auch sehr schwierig. "Fette Sau" und ähnliche Sachen gehörten zum täglichen Rumschrei-Repertoire, als ich zur Kinder- und Jugendzeit noch zuhause lebte. Viel besser war´s wohl später auch nicht, nehme ich an.
Ich habe dafür gesorgt, daß alles da ist, aber ich kann der Frau weder Essen noch Wasser aufzwingen, und ich habe immer wieder -so wenig belehrend wie möglich- darauf hingewiesen, daß sie bitte essen und vor allem Wasser trinken soll. Sie hat zuletzt sogar die Tabletten, die ich ihr morgens und abends bringe, trocken schlucken wollen, so daß ich sagen mußte, sie möge Wasser hinterhertrinken. Seit sie vor 6 Wochen aus dem Krankenhaus und anschließender Reha nach Hause gekommen ist, hat sie kaum noch gegessen und immer viel zu wenig getrunken, so daß sie nun seit vorgestern mit akutem Nierenversagen wieder im Krankenhaus ist, diesmal auf der Intensivstation zur 72 Stunden Dialyse.
Was macht man mit so einem Menschen? Ein ganzer Stab von Leuten kümmert sich, weil sie alle Viere von sich streckt und sagt "ich kann nich, macht ihr." Wie gesagt, es gab keine medizinische Ursache für ihre Unbeweglichkeit. Sie hat das komplett selbst herbeigeführt. Und weil man hierzulande einen hilflosen Menschen nicht einfach verrecken läßt, müssen nun halt alle springen - und wehe, es geht mal was nicht schnell genug! Warum das alles so geworden ist? Weil Frau Gräfin es nicht nötig hat, etwas selber zu tun, und was soll sie denn im Wald? "Da sind doch bloß Bäume!" (Zitat aus jungen Jahren) Sie hat, soweit es unbedingt sein mußte, ihr Erwachsenenleben mit Haushalt, Ehemann und einem Kind in angenehmem Wohlstand durchgezogen, und sobald irgend möglich, hat sie sich nur noch den Arsch platt und den Rücken krumm gesessen. So ist´s, auch wenn sich das nicht nett anhört.
Die vermeintlich tolle Superlösung des Alten- oder Pflegeheimes hat übrigens leider einen Haken: das kostet richtig Geld, und das hat leider nicht jeder in solchem Ausmaß. Die beträchtliche monatliche eigene Zuzahlung auf unbestimmte Dauer ist nicht drin. So ist also pöhse Realität angesagt, mit dem Geruch von flüssiger Kacke und Miefluft, weil ständig auf mindestens 30 Grad hochgeheizt werden muß und nur im absoluten Ausnahmefall ein Fenster geöffnet werden darf.
Ich mache mir keine Gedanken mehr darüber, wieso sie so geworden ist. Ich schätze, im Wesentlichen ist sie bereits mit diesen Anlagen auf die Welt gekommen.
Ich wünsche ihr, daß sie in nicht allzu ferner Zeit einen friedlichen Herztod sterben darf, damit sie die sonst unweigerlich noch auf sie zukommenden Leiden nicht ertragen muß.
Mehr kann ich dazu kaum noch sagen, weil es einen sprachlos macht. Mein Leben wird derzeit zwar von ihrer Story beeinträchtigt, aber so ist das eben. Alles hat mal ein Ende.