@fckw
Eine Frage an Dich ... Du arbeitest ja vedisch, also mit den Dashas und im Prinzip mit einer Astrologie, die den Mond in den Mittelpunkt stellt.
Wenn man Dir ein Horoskop mit standesamtlicher Uhrzeit gäbe, könntest Du bzw. würdest Du Dir zutrauen, die Phasen von Schul- und Berufsausbildung, Umzug, Partnerschaft/Heirat und Familiengründung sowie Partnerschaftstrennung herauszuarbeiten?
Bevor ich die Frage beantworte, zwei Anmerkungen:
Erstens hat meine Eingangsfrage, wie Astrologie denn eigentlich funktioniert, nichts mit vedisch vs westliche vs hellenistische oder sonstige Astrologie zu tun. Genauso wie Mathematik Mathematik bleibt, egal, ob sie in China oder Russland oder den USA oder Brasilien oder sonstwo ausgeführt wird.
Zweitens zielt meines Erachtens diese Frage in die falsche Richtung, weil ihr - höchstwahrscheinlich - eine Annahme zugrundeliegt, die ich selbst nicht treffe.
Ich glaube, Virvir hatte die Freundlichkeit gehabt, zwischen astronomischer Gegebenheit x und Ereignis z zu unterscheiden. Ich würde noch weiter gehen, und eine weitere Sache einführen: die Deutung y. Wir haben dann das Tripel:
1. Astronomische Gegebenheit x
2. Deutung y
3. Ereignis z
Wenn ich deine Frage richtig verstehe, dann zielt sie darauf ab, herauszufinden, ob ich mir zutraue, aus x -> z zu schliessen. Das Problem ist, dass hier die Deutung y übergangen wird. Ich verstehe meine Arbeit als Astrologe
nicht so, dass ich aus der astronomischen Gegebenheit x (oder noch genauer: der prognostizierten astronomischen Gegebenheit) auf ein Ereignis z schliesse. Meines Erachtens ist das ein Ding der Unmöglichkeit.
Mein Verständnis ist es hingegen, dass ich versuche, eine astronomische Gegebenheit x zu
deuten y . Die astronomische Gegebenheit x ist ein Raumzeitpunkt. Als solche hat sie, meinem Verständnis nach, wie jeder andere Raumzeitpunkt nicht bloss eine Quantität (also irgendeine Gradzahl, die sich auf irgendeinen Kontext bezieht), sondern obendrein eine
Qualität (q). Da sich die astronomische Gegebenheit x mathematisch äusserst präzise prognostizieren lässt, lässt sich auch die damit einhergehende Qualität äusserst präzise mathematisch prognostizieren.
Die Qualität wird dann ausgedrückt in Sätzen wie: "tUranus Konjunktion rVenus" (stillschweigend wird hier irgendein bestimmtes Chart als Bezugspunkt vorausgesetzt - was wiederum nichts anderes als eine Relation zwischen einem Raumzeitpunkt und einem anderen Raumzeitpunkt ist).
Das heisst: Damit ist die prognostische Arbeit vollständig abgeschlossen. Noch genauer kann ich nicht voraussagen/prognostizieren, was passieren wird, wenn dereinst der transitierende Uranus über irgendeine Radix-Venus-Position laufen wird. Letztlich ist das eine mathematische Aussage im Sinne von: "Der Festkörper U mit einer Geschwindigkeit von G und einer Umlaufbahn um die Sonne S bla bla bla passiert den Punkt am Himmel, wo zu einem Zeitpunkt sowieso der Festkörper V stand, der bla bla bla".
Das ist für mich eine Prognose, nichts anderes.
Es ist daher auch recht offensichtlich, dass die allerwenigsten Menschen (ausser paar Astrologen) damit überhaupt irgendwas anfangen können. Die Qualitäten von Raumzeitpunkten müssen erst
interpretiert werden, sie müssen
gedeutet werden, ungefähr so, wie man Symbolbilder in Sprache übersetzt. Die Deutung bezieht sich jedoch auf die
bereits abgeschlossene (!!!) Prognose. Mit der Deutung wird nichts Neues prognostiziert, was vorher durch "tUranus Konjunktion Venus" noch nicht prognostiziert wurde.
Die Deutung/Interpretation verwässert jetzt diese Prognose. Sie macht sie nicht präziser, sondern im Gegenteil unpräziser. Aber sie macht sie für uns Menschen einfacher fassbar. Aus all den beinahe unendlich vielen Möglichkeiten entscheide ich mich an der Stelle als Astrologe, auf welche irdische Erfahrungswelt ich nun die abstrakte Prognose "ummünzen" möchte. Ich übersetze jetzt diesen abstrakten prognostischen Sachverhalt in irgendwas, was für uns einfacher fassbar ist. Es ist damit aber auch vereinfacht, durch die Interpretation fallen unzählige Bedeutungsnuancen und -Ebenen weg. Wenn ich mich entscheide, diese astronomische Gegebenheit x auf die menschliche Psyche zu beziehen, dann benötige ich zuerst die Deutung y, um dann zu entscheiden, wie denn eine solche Deutung für einen bestimmten Menschen konkret in seiner Erfahrungswelt ausschauen könnte. Damit wären wir beim Ereignis z. Da Menschen prinzipiell nur ein beschränkter Erfahrungsraum zur Verfügung steht, ist es naheliegend anzunehmen, dass alle Menschen "Sich Verlieben" kennen, auch wenn das individuelle Sich-Verlieben in jedem einzelnen Fall immer einzigartig sein wird. Aber das ist nur eine mögliche Deutung, ich kann prinzipiell die astronomische Gegebenheit x, die wir prognostiziert haben, auf unzählige Kontexte anwenden - Wetter, menschliche Psyche, Pflanzen, Tiere, Börsenkurse und sonstwas. Solange der Raumzeitpunkt derselbe ist, um den es sich handelt, bleibt die astronomische Gegebenheit x immer dieselbe, und somit die Prognose ebenfalls und somit die Qualität des Raumzeitpunktes ebenfalls. Nur die Deutung/Interpretation ist jedes Mal eine andere, und die gedeuteten Ereignisse z somit auch, selbst wenn sie sich auf denselben Raumzeitpunkt beziehen.
Und selbst all das ist noch nicht präzise genug. Eigentlich müssten wir jetzt nämlich noch genauer unterscheiden zwischen astronomischer Gegebenheit x, der astrologischen Gegebenheit a, der Deutung y (welche sich tatsächlich auf y bezieht, nicht auf x), und dem Ereignis z.
Das ist, in Kürze, in etwa die Position die ich hatte, bevor ich diesen Thread begonnen habe.
Durch die Diskussion in diesem Thread hat sich mein Verständnis aber noch einmal erweitert, und ich kann mir auch andere Standpunkte ausdenken, die ich bisher noch nicht allzu weit verfolgt habe. Insbesondere eine autopoietische Sichtweise auf Astrologie würde mir einleuchten, dass nämlich der Astrologe gar nichts "da draussen" erkennt, sondern im Rahmen des Studiums der Astrologie in sich selbst die Strukturen erschafft, damit er astrologisch irgendwas in der Welt erkennen kann. Aber das würde hier zu weit führen.