Wer ist 'Dich selbst' - wer ist 'Rumi'?
Ein Wegweiser zeigt in eine bestimmte Richtung. Ob diese Richtung nun für jemanden richtig oder falsch ist, kann von einer Menge unterschiedlicher Faktoren abhängen. Wenn nun aber jemand stehenbleibt und beginnt, den Wegweiser anzubeten, so dürfte er mit ziemlicher Sicherheit an gar kein Ziel gelangen. Weder an ein richtiges, noch ein falsches.
Was will also jemand, der sich nicht einmal von einem schlichten Wegweiser lösen kann, in einem Raum ganz ohne Wegweiser? Dort die eigenen, liebgewonnenen, oder übernommenen aufstellen? Damit der Raum sich den eigenen Vorstellungen anpasst? Weil ja noch genug Platz dafür da ist? Interessantes Dilemma. Den spätestens dann dürfte auch dieser Raum voll mit richtig und falsch geworden sein. Wozu also der Aufwand? Das hast du hier ja auch längst.
Wenn man das von dir gepostete Gedicht genau liest, so bemerkt man eigentlich, dass Rumi darin sogar zugibt, dass er selbst eigentlich keine Ahnung hat, er vermutet auf Grund seines erlernten Wissens etwas und schließt, hofft in weiterer Folge deshalb auf etwas anderes. Er hofft auf etwas, aber er weiß nichts.
Interessant finde ich, dass ein Dichter des 13. Jahrhunderts quasi bereits damals so etwas wie einer darwinistischen Evolutionstheorie anhängt, ja diese sogar bis in (vermeintlich himmlische) Engelssphären hochinterpoliert. Eine scheinbare Evolution vom Stein über die Zwischenstufe des Menschen über Engel hin in Richtung Gott vermutet. Wenn Gott nun aber eine Art Endprodukt seiner eigenen Evolution wäre, wer hat dann das Ganze hier geschaffen? Dann gibt es Gott ja noch gar nicht, weil Menschen ja - noch - nicht (wie) Gott sind. Noch nicht einmal Engel. Außer vielleicht, wenn die Zeit eigentlich rückwärts läuft. Nur würde dann aus Menschen schließlich nicht Gott sondern einfach Steine werden. Oh je...
Betrachtet man Rumi als Dichter, als Poet, so mag seine Konzeption ja durchaus zulässig sein, für einen vermeintlichen Mystiker - was er ja eh nicht war, nur etwas in Kontakt mit der Ecke über seinen Lover kam - allerdings finde ich das Ganze inhaltlich und spirituell eher etwas dürftige Diätkost, die er uns da zum Besten gibt. Ich dachte bisher immer, bei Mystikern ginge es um die ganz persönliche, individuelle Gotteserfahrung. In seinem Liebesrauschgeschwurbel finde ich davon allerdings eher wenig. Da spiegeln sich höchstens die üblichen unerfüllten hormon- und gefühlsgesteurten ganz irdischen Sehnsüchte und Phantastereien, denen jemand im Zuge einer intensiven aber letzlich unerfüllten oder unerwiderten Liebe als Art Ventil für die nicht zustellbaren emotionalen Überschüsse als subjektiv durchaus real erlebte und empfundene Wahnvorstellungen üblicherweise anheimfallen kann. Dergleichen dann aber gleich dem Bereich der Mystik oder gar dem von spiritueller Wahrheit zuzuordnen find ich aber doch etwas zu viel des Guten. Ebenso interessant finde ich es, wenn eine bestimmte Art esoterisch angehauchter Damen, die letztlich wohl großteils homoerotische Dichtung eines Rumi auf sich selbst als Frauen, als Liebesobjekte beziehen, sich also eigentlich in eine schwule Männerrolle reinprojizieren. Sagt vermutlich auch einiges aus. Fragt sich nur, worüber, und über wen...
Hinzu kommt ein weiteres ganz interessantes Phänomen: Ein tatsächlich erfülltes eigenes Liebesleben ist in den meisten Fällen wohl auch zugleich das Ende jeder Liebeslyrik und ähnlicher Artikulationen. Wozu sollte man denn etwas kompensieren müssen wenn man es ganz einfach in echt erlebt und ausleben kann? Besteht ja weder Grund noch Bedarf dafür. Außer, es stimmt daran was doch nicht so ganz. Womit Liebeslyrik, die übersteigerte Hochstilisierung dieses Bereiches sich letztlich als Art Notventil entpuppt, um sich der überbordenden Gefühle mangels Zustellbarkeit an die richtige Adresse auf irgendeine Weise doch einigermaßen brauchbar zu entledigen.
Und die durchschnittlich frustrierte esoterisch verbildete Hausfrau wird dann, weil sie an ähnlichen Defiziten leidet, von derartigem Geschwurbel getriggert ohne die tatsächliche Konstruktion zu durchschauen. Sie will an die "höhere Wahrheit" dessen eben glauben.
Dasselbe Prinzip durchzieht ja moderne Popmusik ebenso wie auch Schlager und volkstümliche Musik. Das Scheitern an der (eigenen) Liebe, oder an den Reaktionen des Gegenübers wird idealisiert, romantisch verbrämt, um der schnöden und tristen Wahrheit, dem eigenen Scheitern nicht ins Auge sehen zu müssen.
Also schreiben eigentlich gerade diejenigen über Liebe, die an ihr scheitern oder gescheitert sind. Was schon Sinn macht, allerdings wird dann im Laufe dieser Fehlkommunikation von ihren Fans das Scheitern selbst für Liebe und die Autoren für Liebesexperten gehalten.
In weiterer Folge sucht man dann, mehr oder weniger unbewussst genau das, an dem man dann selbst ebenso zu scheitern vermag, schließlich hat man sich ja die Scheitervorbilder und deren emotionalisiertes Leid-Schmerz-Liebeskonstrukt Länge mal Breite reingezogen und verinnerlicht. Wundern über die Resultate sollte man sich dann allerdings nicht!
Aber vermutlich liegt eben in diesem anscheinend leicht verdaulichen Geschwafel der Reiz, den seine vermeintlichen Botschaften auf gewisse esoterisch gehirngewaschene Kreise ausübt. Dichtkunst, sogar vermeintlich "höhere" oder "göttliche" als ganz banaler Fickersatz. Na gut, das Thema ist ja nicht wirklich neu. Jedem das Seine...
Vielleicht könnten die zutreffenderen Fragen ja lauten: Wer oder was bist du? Und wer oder was bist du nicht, obwohl du selbst glaubst, es zu sein?
Jenseits von richtig und falsch liegen viele Orte. Aber eine Menge davon können dennoch auf ähnlichen Irrtümern wie richtig und falsch selbst beruhen. Oder anders gesagt, das Gegenteil eines Irrtums muss nicht zwingenderweise kein weiterer sein...
Viel Spaß beim Verlaufen!