Es ist gut 20 Jahre her, daß ich mit Advaita in Berührung kam.
Boah, da war knapp mal aus dem Kindergarten raus.
Ein Gedanke und sein Gegenstand sind eins
Was im Bewußtsein erscheint, kann nichts anderes sein als Bewußtsein
Die Welt ist eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana, sehen und Gesehenessind eins
Achtung, das klingt jetzt nach herunterspulen. Advaita ist keine "Philosophie", sondern es handelt sich um Versuche der Beschreibung der Wirklichkeit (aus verschiedenen Blickwinkeln). Also nicht in erster Linie ein Reflektieren - "Wie ist die Welt beschaffen?" - sondern ein Feststellen.
Das Meiste, was ich lese, verstehe ich erst, wenn ich die entsprechende Erfahrung gemacht habe, aber nicht, wenn ich mich auch noch so viel mit dem Thema beschäftige.
Nehmen wir den Begriff "Maya". Das wird oft mit "Illusion" übersetzt. Ich hatte das nie verstanden - bis ich die entsprechende Erfahrung machte. Dann war es mir glasklar, was damit gemeint ist. Die Bedeutung ist eben nicht, dass es die Welt nicht gäbe, sondern dass es sie sehr wohl gibt, aber wir nicht wissen, wie sie wirklich ist, beziehungsweise dass wir uns ein falsches Bild davon machen. Das ist ein wichtiger Unterschied.
usw, ich kenne die Texte fckw.
Ich hatte von Anfang an eine ambivalente Beziehung dazu, ich war fasziniert und fühlte mich angezogen und abgestoßen zugleich von dieser Weltsicht.
Ja, das kann ich nachvollziehen. Gerade Advaita-Vedanta ist mit Sicherheit nicht jedermanns Sache. Mir gefällt's ganz gut. Es ist diese strenge Logik, die am Ende auf sich selbst angewandt die Wahrheit enthüllt, indem sie sich auflöst. Das liegt mir irgendwie. Erst nachdem ich mich den östlichen Religionen zugewandt hatte, begann ich einen Geschmack für die westlichen zu entwickeln. Vermutlich ist das einfach eine Frage des Charakters.
Ich wurde nie das Gefühl los, das hier irgendwo ein essentieller Fehler steckt, den ich aber weder fassen noch benennen kann.
Ich hab's umgekehrt mit den westlichen Religionen: Dort ist immer irgendwo am Ende noch ein Gott drin, und der Mensch ist nie vollkommen eins mit ihm (Eckehart spricht, wenn ich mich richtig erinnere, von dem Göttlichen um anzuzeigen, dass Gott und der Mensch eins geworden sind - er geht somit eigentlich über den Kirchenglauben hinaus). Das gefällt mir nicht. Keine der exoterischen mosaischen Religionen hat diesen letzten Dualismus jemals überwunden. (Und die Mystiker dieser Religionen waren immer Esoteriker - keine Exoteriker.)
Und ich sah eine Gefahr in dieser Weltsicht. Wo kein Individium existiert, muß ich mich auch nicht um Menschrechte kümmern, wo die Welt nur eine Bewußtseinsillusion ist, muß ich mich nicht um deren Verbesserung bemühen.
Das ist ein zwar verständlicher Einwand, dennoch aber dünkt mich die Gefahr gering: Das Wissen um die Nichtexistenz eines Ichs bedeutet automatisch auch gleichzeitig das Wissen um die Identität mit dem Selbst bzw. der ganzen Realität. Das sind die beiden Seiten derselben Münze. Wer sich selbst als fundamental leer erkannt hat, der wird (über kurz oder lang) automatisch auch erkennen, dass er selbst die ganze Fülle der Existenz ausmacht. Und dann wird erst wahres Mitgefühl geboren. Denn jetzt bin ich unmittelbar derjenige, der die Umwelt zerstört, als auch die zerstörte Umwelt. Ich bin der Bettler und der ihm Geld gibt. Ich bin der Mörder und das Opfer.
Wie könnte ich da noch den Schmerz der Welt von mir abhalten?
Es gibt aus meiner Sicht für keine Weltsicht einen schlüssigen Beweis noch einen Gegenbeweis.
Siehe oben. Ja, wenn es bloss eine Weltsicht wäre, dann gäbe es keinen Beweis dafür. Aber es ist eben mehr als das. Und ein "Beweis" gibt es insofern, als zwar niemand dir die Wahrheit unmittelbar vermitteln kann, aber sehr wohl dir Anleitungen geben kann, damit du selbst nachprüfen kannst, ob das Gesagte wahr ist oder nicht. Im Stil von: "Ok, wenn du wirklich wissen willst, ob es Eisbären gibt, dann musst du folgende Schritte ausführen. Dann wirst du es selbst wissen und brauchst mir nicht mehr zu vertrauen." Und diese Schritte oder Anleitungen existieren sehr wohl. Sie funktionieren seit Jahrtausenden.
Der Mond besteht übrigens aus sehr schmackhaften Eierkuchenteig.
(Das tauchte jetzt gerade in meinem Bewußtsein auf, müßte also real sein)
Ja, das ist es auch! Aber "real" heisst hier nicht, dass der Mond aus Eierkuchenteig besteht, sondern dass der Gedanke, der Mond bestünde aus Eierkuchenteig, real ist. Der Gedanke ist ja bekanntlich nicht identisch mit dem, worauf er verweist. (Wobei ich hier schon wieder unpräzise bin, weil ich so tue, als würde das, worauf er verweist, unabhängig von meinem Bewusstsein eine eigene Realität führen...).