Hallo Meikel
eins vorneweg: Ich bin zugegebenermassen zu faul mich jetzt durch 90 Seiten an Postings zu kämpfen, möchte
aber trotzdem meinen Senf dazugeben ;-).
Ist die physikalische Welt eine virtuelle Welt?
Bevor wir indirekt über irgendwelche Merkmale sprechen (die meiner Meinung nach nicht den Kern der Frage / Definition beschreiben)
und daraus nicht deduktive Schlüsse ziehen, sollten wir uns einig sein, was virtuell bedeutet:
Ich gehe von folgenden beiden Definitionen aus:
1. Bei Virtualität geht es darum, dass eine gewisse Form von Existenz suggeriert wird, diese aber schliesslich
nicht zutrifft / in anderer Form vorhanden ist (in diesem Sinne würden viele von "nicht real" sprechen, ich persönlich
wäre aber vorsichtig, weil z.B. ein Spiegelbild ja doch "real" ist, als Spiegelbild halt eben, aber nicht als der physische Körper, den es vorzugeben scheint).
2. Eine Entität (was auch immer es ist) mit einer gewissen Funktion (z.B. ein Gedanke) ohne dabei physisch zu sein, sprich sie nimmt
keinen Raum ein, hat keine Masse / Materie.
Da haben wir schonmal einen widerspruch. Der physikalischen Welt schreiben wir die Merkmale der Materie und Masse zu, welche
die virtuelle Welt nicht hat. Die physikalische Welt wäre demnach keine virtuelle Welt.
Und jetzt kommts natürlich, auf diesen Zug springt jeder Hobbyphilosoph, das schreit geradezu nach den altbekannten Fragen von:
Ist dies, was wir als physisch betrachten, wirklich vorhandene Masse/Materie? Was ist Realität/Wirklichkeit? Was ist die absolute Wahrheit / Wissen? Ab wann wird Glaube zu Wissen?
Wir können als Subjekt eine einigermassen klare Unterscheidung von Dingen vornehmen, die physisch oder nicht physisch sind (Masse haben oder keine Masse haben), oder
haben zumindest das Gefühl, wir können das, denn auch da kann man wiederum sagen: all diese Unterscheidungen sind wiederum abhängig von unserer Wahrnehmung und könnten Lug und Trug sein.
Sprich: philosophisch betrachtet haben wir als subjektive "Beobachter" nur den einen Blickwinkel unserer Wahrnehmung (wie veränderbar sie auch sein mag)
und sind daher nicht fähig, die absolute Wahrheit zu kennen. Wir enden also bei Descartes "ego cogito, ergo sum" / "cogito, ergo sum".
Descartes schrieb:
„Indem wir so alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und für falsch gelten lassen, können wir leicht annehmen, dass es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper gibt; dass wir selbst weder Hände noch Füße, überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir, die wir solches denken, nichts sind; denn es ist ein Widerspruch, dass das, was denkt, in dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht bestehe. Deshalb ist die Erkenntnis: »Ich denke, also bin ich,« (lat.: ego cogito, ergo sum) von allen die erste und gewisseste, welche bei einem ordnungsmäßigen Philosophieren hervortritt.“
Die Prinzipien der Philosophie, Elzevier Verlag Amsterdam 1644, Kap. 1. Über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis
Witzigerweise hat auch die Wissenschaft dieses "Problem" der Wahrheit. Denn sie möchte ja die Wahrheit verkünden, oder?
Die elegante Lösung: Die Wissenschaft hat keinen absoluten Wahrheitsanspruch. Sie funktioniert über induktive Schlussfolgerung (salopp gesagt: auch wenn
a,
b und
c für diese Theorie sprechen, so kann immer noch
d auftreten und sie für falsch erklären).
Das ist genau der Grund, warum in der Wissenschaft die THEORIE das höchste zu gewinnende Wissen ist. Und trotzdem sagt die THEORIE immer noch nur:
Das ist die beste Erklärung für das betrachtete Phänomen auf Grund vorliegender Beweise (gedenke darüber demnächst einen eigenen Thread zu eröffnen).
Müssen wir deswegen jetzt traurig sein? Nein, denn mit diesen "bestmöglichen" Erklärungen lässt sich arbeiten, wie die daraus resultierende Technologie zeigt.
Liebe Grüsse
Hobbyphilosoph Chemicus