Für mich ist's stimmig. Ich würde sagen, daß man den Nächsten nur soweit erkennt, wie man sich selbst erkannt hat. Hinter die eigenen Bretter vor dem Kopf kann man auch bei anderen nicht schauen.
Nehmen wir zum Beispiel das hilfreiche Gespräch mit dem Nächsten. Im Moment sind es bei mir schon mal Auszubildende, die mich fragen: Herr Trixi Maus, haben Sie nach dem Unterricht etwas Zeit für mich, ich möchte Ihnen etwas erzählen. ich habe da ein persönliches Problem. Und dann sitze ich mit ihnen da und meistens fliessen dann Sturzbäche, weil diese Menschen natürlich teilweise obwohl sie noch jung sind ein schlimmes Schicksal haben und manchmal niemand da ist, mit dem sie darüber sprechen können. Wenn ich das Glück habe, dann erkennen sie diesen Menschen mit dem sie sprechen möchten schon mal in mir.
Oder auch hier im Forum, hier erzählen mir Menschen auch schon mal - gerade jetzt mit den Unterhaltungen geht das ja gut - ihr Schicksal.
Jetzt ist es ja so: wenn ich mich selbst vergesse, auch nur um einen Iota, wenn ich also abgelenkt bin von mir selber, dann verwischen die Grenzen zwischen mir und der anderen Person. Die Folge ist, soweit ich es wahrnehme, daß es mich seelisch verdreht. Ich kann es einfacher in der yogischen Sprache ausdrücken: die Verunreinigungen oder ich spreche lieber von Laufweisen der Chakren übertragen sich auf mich und ich nehme sie mit nach Hause.
Mich belastet dann auf diese Weise, was ich erlebe. Ich tausche mich dann ungefiltert aus und laufe Gefahr, mich zu verlieren. So kann ich weder ein guter Zuhörer noch ein individueller Ratgeber sein. Ich fühle nämlich dann mit, ja ich leide dann sogar mit. Auch im buddhistischen Sinne überträgt sich dann das Leid von der anderen Person auf mich, und mein Leid überträgt sich auf die andere Person. Ich verstärke im Grunde so das Leid, es entsteht eine Gefühlssymbiose, in der "wir uns kennen". Aber er-kannt haben wir uns dann noch lange nicht.
So will ich es aber nicht haben. Ich bemerke, daß in mir drin besser ständig eine Distanz zu anderen Menschen vorhanden ist, aus der heraus ich mich einfühlen kann. Nicht mitfühlen, sondern einfühlen. Ich sage immer man muß nicht den ganzen Tee austrinken, um zu wissen, wie er schmeckt, es reicht daran zu riechen und wenn nötig kurz daran zu nippen. Aber: das Nippen oder Riechen reicht eben nur dann, wenn ich die Gefühle der anderen Person bereits selber erfahren habe. Ansonsten muß ich sinnbildlich gesprochen mittrinken, um den Anderen zu erfahren. Ich habe gelernt, daß ich dann der anderen Person etwas wegnehme, nämlich ihr ureigenes nur ihr selbst zugehöriges Gefühl. Ich verwässere so den Tee, vermutlich weil ich helfen will und davon ausgehe, daß das Gefühl, das da sitzt, besser weggehen soll, weil es dem Menschen schlecht geht.
Tatsächlich ist es ja aber so, daß eine solche Hilfe gar nicht hilft, sondern sie negiert, was nunmal vorhanden ist und wahrgenommen werden will. Man ist im Grunde nur gemeinsam in einem Hilflosigkeitstaumel, das was man Symbiose nennen könnte. Dem Anderen seine Gefühle zu überlassen und ihm nur zu helfen, diese zu durchleben und vielleicht sogar helfen diese Gefühle zu verstehen erlebe ich als sinnvoller. Es ermöglicht mir auch, die Leute nach einem solchen Gespräch wieder wie jeden Anderen zu behandeln, ihn genauso zu fordern und zu fördern wie andere Personen und so weiter. Denn dieser Mensch ist nicht nur arm, er ist genauso reich, er ist nicht nur schwach, er ist genauso stark. Ein Mensch, der nur den Schwachen und Armen im Nächsten sieht, hat zumeist ein Helfersyndrom und erhöht sich durch das Helfen selbst.
Was ich nun zum Helfen geschrieben habe, kann man genauso gut auf die Liebe und auf andere Vorgänge oder Gefühle anwenden. Wer sich selbst erkannt hat, der hat Distanz zum Nächsten und kann so "das wahre Mitgefühl" aus reinem Herzen spenden. So einfach ist das.