opti schrieb:
Nachtrag: fckw, ich glaube sogar, dass du dich wirklich um einen spirituellen Weg bemühst. Das schimmert doch immer wieder durch. Das kann man von vielen anderen hier weniger behaupten. Nur wird deine Mühe ohne Brahmacharya vergebens sein. Ich hoffe, du erkennst es eines Tages. Ich hoffe, du besitzt eines Tages den Mut und die Kraft, Brahmacharya zu praktizieren.
Weisst du, opti, ich schätze ja deinen Zuspruch und dein Vertrauen. Aber ohne auftrumpfen zu wollen, du weisst einfach nicht, was ich alles erlebt habe. (Genauso wenig, wie ich weiss, was du alles erlebt hast.) Ich sage nicht, ich wäre jetzt irgendwie weiter als andere. Von früher mal allfällig noch vorhandenem Stolz ist nicht mehr viel übrig. Ich bin mit Sicherheit nicht der Klügere, oh nein, das ganz und gar nicht. Ich falle genauso oft auf die Fresse wie alle anderen. Aber weisst du, noch tiefer fallen, als ich gefallen bin, das ist nicht möglich. Und wenn du dort ankommst, am absoluten Nullpunkt, von dem es keinen Weg zurück und auch nicht nach vorne gibt, dann passiert etwas mit dir, das nichts, aber auch gar nichts mehr mit deinem Eigenwillen zu tun hat. An diesem Punkt wirst du
nihiliert,
un-gemacht, du wirst ausgelöscht, mit allem was an dir drum und dran ist. Es ist das Beschämendste, Erniedrigendste und Absurdeste, was du dir vorstellen kannst. Ich lag damals auf dem Bett und hörte auf zu Atmen, weil ich keinen Sinn mehr darin erkennen konnte. Und zu sagen, man "sterbe" an diesem Punkt, ist noch immer Euphemismus, denn an diesem Punkt ist Sterben
unmöglich. Du liegst da und bist vollkommen hilflos, bist dir deiner Hilflosigkeit zu hundert Prozent bewusst, und es gibt nichts, aber auch wirklich nichts, was du noch tun oder nicht-tun könntest.
Es ist einfach geradewegs lächerlich, im Angesicht dieser Situation noch irgendwelche Empfehlungen abgeben zu können wie: "Trink keinen Alkohol. Iss kein Fleisch. Bums nicht in der Gegend rum." Verstehst du das? Ich dachte damals nicht eine Sekunde ans rumvögeln, ans Essen oder Trinken, nicht einen Augenblick. Ich lag einfach nur tagelang auf dem Bett rum und konnte mich nicht rühren, ich war gelähmt vor Existenz um mich rum. In diesem Moment stirbt etwas in dir, es ist dein Lebenswille, der erlischt, und wenn er gegangen ist, dann übernimmt etwas anderes in dir die Führung, und dieses andere geleitet dich sicher, und es gibt nichts mehr, was du noch tun würdest oder tun möchtest oder nicht tun möchtest. Von Enthaltsamkeit oder Sexfantasien war ich so weit entfernt wie die Sonne von der Erde. Auch an Meditation war nicht zu denken. An diesem Punkt war ich bereit, mit dem Leben ganz aufzuhören, wenn mir das bloss noch irgendetwas genutzt hätte, aber es hätte mir nichts genutzt, und darum gab es nichts, das ich noch tun hätte können. Und also hörte ich auf zu atmen, und also übernahm etwas anderes in mir die Führung, denn wenn du nicht mehr atmest, dann atmet der Körper für dich, und was du von mir hier liest, schreibt in Wahrheit dieses andere. Wenn du das Gott nennen möchtest - bitteschön, es ist mir einerlei.
Du aber bist noch voller Lebenswille, voll des Glaubens, du könntest noch irgendwas tun, könntest noch voranschreiten, und also muss sich das alles bei dir noch totlaufen. Ich nehme das nur zur Kenntnis, beobachte es, weil eingreifen kann ich sowieso nicht. Es ist gut so, wie es ist. Und wenn du die nächsten 30 Jahre sexuelle Enthaltsamkeit ausüben musst, dann ist das halt so, ich habe da kein Problem damit.
Bloss, unterschätze nicht das Ausmass des Leidens, das potentiell vor dir liegt. Empfehlungen à la "Enthaltsamkeit" verlieren jeglichen Sinn in Anbetracht dieser offenstehenden Abgründe. Eckhart Tolle, um ein prominentes Beispiel zu nennen, war kurz davor, sich das Leben zu nehmen, bevor er selbst-verwirklichte. Auch Ken Wilber ging mit seiner Frau durch die Hölle. In seinem Buch "Mut und Gnade" beschreibt er, wie er in ein Geschäft ging, um sich dort eine Waffe zu kaufen, und ein für allemal mit seinem und dem Leiden seiner Frau Schluss zu machen. U.G. Krishnamurti lebte zwei Jahre lang als völlig mittelloser Penner in London bevor er selbst-verwirklichte. So lange du dich noch an einfache Rezepte halten kannst - und ich sage
kannst, und nicht
willst, denn mit Wollen hat das alles schon lange nichts mehr zu tun - so lange wird es für dich notwendig sein, weiterhin dies und das zu tun, eine leere, sinnlose Repetition ewiggleicher Tätigkeiten, die nirgendwohin führen und nur dazu dienen, deinen Glauben an die Machbarkeit des Lebens zu erschüttern, langsam und stetig, geduldig und konsequent, bis dieser Glaube irgendwann ganz zusammenbricht. Vorher aber bist du nicht bereit, Gott zuzulassen.