von Prakash Frank Sanzenacher
Er nannte sich selbst gerne »verrückte Wolke« oder »blinder Esel« der japanische Dichter Ikkyu er war ein Weiser, der den Narren spielte und wohl auch närrisch war, übertreibend und getrieben. Seine Zeitgenossen entrüsteten sich über Ikkyus so diesseitiges Frönen der sinnlichen Lebensgenüsse und das Provozieren der religiösen Heuchler andere verehrten ihn, damals wie heute. zehn Tage im Kloster und schon bin ich ganz fickrigdem roten Band an meinen Füßen ist nicht zu entgehensolltest du mich eines Tages suchenfrag nach mir auf dem Fischmarkt, in der Trinkstube oder im Puff Was denn, das sollen die Bekenntnisse eines buddhistischen Mönches sein? Wie kann ein Zen-Gelehrter im Japan des 15. Jahrhunderts eine derartige Programmatik öffentlich postulieren? Und wieso pilgern trotzdem viele Schüler zu ihm, damit er sie unterrichte? Auf welche Weise soll dieser Mann die Lehre Buddhas vermitteln können?Das Leben des Ikkyu Sojun (1394-1481) ist geprägt von Provokationen, Gegensätzlichkeiten und Exzentrik. Nachdem er sich schon in jungen Jahren als kritisch, wortgewandt und eigensinnig erwiesen hat, wird er nicht müde, gegen das Zen-Establishment anzureden. Zu viel Scheinheiligkeit, Profitgier, Korruption und Vetternwirtschaft sieht er in der Ausrichtung der Klöster. Später selbst Vorsteher des renommierten Daitokuji-Tempels in der damaligen Kaiserstadt Kyoto, erfährt Ikkyu all die Machtkämpfe, Intrigen und Egomanien am eigenen Leibe. Angewidert oder auch nur unfähig, daran teilzunehmen, zieht sich Ikkyu lange Zeit zurück in die Abgeschiedenheit, reist viel herum und widmet sich der Poesie. In vielen seiner Gedichte kommt sein Missmut über die Verhältnisse zum Ausdruck er kommentiert zynisch, klagt polemisch an und möchte durch seine schonungslose Offenheit bewusst schockieren. Vor allem die stumpfe Gleichförmigkeit der Gelehrten, ihr lebloser Glaubenskodex und ihre Doppelmoral werden immer wieder Ziel seines Spotts. Ikkyu fordert Authentizität, Vitalität und ehrliches Reflektieren. Für ihn steht das eigene subjektiv Wahrgenommene, sinnlich Erfahrene über den Lehrschriften und Riten. Der lebende und der tote BuddhaFolgende Geschichte wird von ihm überliefert: Auf einer seiner Wanderungen erbat Ikkyu Quartier in einem Tempel. Des Nachts wurde es kalt, es fröstelte ihn und er entzündete einen Holzbuddha, um sich daran zu erwärmen. Als der gastgebende Mönch dies am Morgen sah, war er außer sich: »Ich gab dir Herberge, weil ich dachte du seiest ein weiser Heiliger, und nun verbrennst du einen Buddha! Wie kann ein Gelehrter des Zen nur eine solche Lästerlichkeit begehen?!« Als Antwort stocherte Ikkyu in der Asche herum, als ob er etwas suche. »Was machst du denn da?« »Ich suche nach Knochen.« »Du suchst nach Knochen? Warum in aller Welt solltest du hierin Knochen finden?« »Du siehst«, entgegnete Ikkyu, »dieser Holzbuddha besaß keine Knochen. Der Buddha in mir besitzt Knochen, und die wollten heute Nacht gewärmt werden. So opferte ich dem lebendigen Buddha den hölzernen.« Tags darauf saß Ikkyu vor einem Grenzstein und betete ihn an. Der Tempelmönch rotierte: »Erst verbrennst du einen Buddha, und nun huldigst du diesem Klotz. Bist du noch bei Trost?« Ikkyu antwortete: »Letzte Nacht war mir nach Wärme, jetzt ist mir nach Beten. Und die Buddhafigur ist ja nicht mehr da...«Ein ander Mal wird berichtet von einem jungen Mönch, der Ikkyu bat, ihn als seinen Schüler aufzunehmen. »Warum sollte ich das?«, fragte da der Meister. Daraufhin nahm der Bittsteller in perfekter Manier die Buddha-Position (Siddhasana) ein und verharrte darin, um mit seiner Fertigkeit zu imponieren. Ikkyu wurde darüber sehr zornig und jagte ihn zum Teufel: »Wir brauchen nicht noch mehr Buddhas aus Stein, wir brauchen Buddhas aus Fleisch und Blut!« all die vogelscheiße auf dem steinbuddharecht soich schwenke meine arme wie blumen im wind Fleisch, Sex und SakeIm eingangs zitierten Gedicht bricht Ikkyu gleich mit mehreren Tabus. Als Mönch ist er angehalten, kein Fleisch oder Fisch zu essen (»Tut mit leid, Buddha, eine weitere Vorgabe, der ich nicht folgen kann«), keinen Alkohol zu trinken (»Oh Sake, eine Schale voll betörender Gemütlichkeit«) und der fleischlichen Lust zu entsagen (»Das Leben schmecken und Sex genießen bis zum Abwinken«). Das hierbei gebrauchte Bild des »roten Bandes« zieht sich als Leitmotiv durch das gesamte dichterische Werk. Es steht für die stetige Verwobenheit mit den Leidenschaften dieser irdischen Welt. Ikkyu glaubt nicht daran, dass diese überwindbar sind, solange ein Mensch in einem Körper auf dieser Erde lebt. Natürlicherweise ist zu Lebzeiten die Körperlichkeit nicht abzulegen. essen, scheißen, schlafen, aufstehendas ist die weltund des weiteren sterben Ikkyu verurteilt die Heuchelei und Anmaßung eines jeden, der vorgibt, davon frei zu sein und jegliche Körpersinnlichkeit transzendiert zu haben. Die weltabgewandten Praktiken seiner Zen-Kollegen sind für ihn nichts weiter als blindes Verfolgen vorgegebener Pfade, affektierte Selbstdarstellungen oder gar Lebenslügen und Dummheit. Um diesen Sachverhalt zu veranschaulichen, pflegte Ikkyu seinen Schülern gerne folgende Zen-Geschichte zu erzählen:Einst errichtete eine alte Frau auf ihrem Grundstück eine Hütte, um einen heiligen Eremiten darin wohnen zu lassen. Nach zwanzig Jahren dieser Gönnerschaft beschloss sie, die Weisheit dieses Mannes einmal zu testen. Als sie wie üblich ihre Magd mit dem täglichen Proviant für den Einsiedler losschickte, hieß sie ihr, ihn diemal aufs Innigste zu umarmen und daraufhin seine Empfindungen zu erfragen. So lief das Mädchen zu dem Manne, setzte sich auf seinen Schoß und schlang seine Arme um ihn. »Was fühlst du jetzt?« fragte sie. Seine Antwort war: »Ein kahler Baum am kalten Fels, im Winter kennt er keine Wärme.« Die Magd lief zurück zu ihrer Herrin und berichtete ihr alles. Da erzürnte sich die Frau sehr und rief: »Zwanzig Jahre habe ich einen Blender hofiert! Gänzlich unempfindlich kann sich nur ein Heuchler geben oder ein Leichnam. Beides möchte ich nicht verehren!« Sie schickte den Eremiten in die Wüste und brannte die Hütte nieder.Ikkyu merkt dazu an, er würde an des Eremiten Stelle »Knospen treiben wie im Lenz.« verleumde die realitätpalaver über »gott« und »buddha«und du wirst ihn nie findenden wahren weg Annehmen und IntegrierenDen »wahren Weg« sieht Ikkyu eben nicht in der Unterdrückung und Ausgrenzung der eigenen irdischen Natur, sondern im Annehmen und Integrieren körpersinnlicher Bedürfnisse. Der Körper ist das eigentlich Existenzielle am Menschen, wahrhafter als der wankelmütige Geist oder das aufgeblasene Selbst. Der Körper ist unabdingbar, unverfälscht, uneitel und im besten Sinne amoralisch. Als Verfechter dieser »Buddhaschaft der Körpers« (sokushin jobutsu) geschieht Erleuchtung für Ikkyu nicht nur im Geistig-Jenseitigen. Nirwana oder Samsara, gut oder schlecht, Tempel oder Bordell immer und überall ist es möglich, Bewusstheit zu erlangen.Die Sexualität ist es, die Ikkyu hierbei besonders in sein Betätigungsfeld rückt. So besucht er die Freudenhäuser in seiner schwarzen Mönchsrobe, als zelebriere er einen Ritus (»Zen ist Gesang und Tanz im Hurenhaus«), bekennt sich zu seinen homo-erotischen Neigungen (»So liebreizend dieser Knabe als wie aberhundert Frühlingsknospen«) und stellt den Geschlechtsakt über frömmelndes Streben (»Erleuchtung ist eine Frau, die bei dir ist«). abgekämpft vom freudentaumel halte ich mein weibder schmale pfad der askese ist nicht der meinemich drängt es entgegengesetztüber zen zu plaudern ist allzu schlicht ich halte meinen mundund belasse es den ganzen tag beim liebesspiel das geschlecht der frau:es ist der urmund und bleibt doch wortlosumgeben von einem herrlich haarigen wall der empfindsame mag völlig vergehen darinund es ist doch die geburtsstätte aller zehntausend buddhas Zur Ruhe kommenEine geradezu transzendentale Reife und tantrische Erkenntnisfähigkeit offenbart sich Ikkyu allerdings erst, als das der Sexualität Frönen an sich schließlich dem wahren Herzensaspekt, der aufrichtigen Liebe weicht. Im Alter von 77 Jahren beginnt er eine leidenschaftliche Beziehung zu der blinden Nonne Shin (oder Mori, wie sie in anderen Quellen genannt wird). Shin ist gute vier Jahrzehnte jünger und hat schon vor langer Zeit Interesse an Ikkyu bekundet. Auch ist sie musisch begabt, singt, komponiert und wird jetzt seine Muse, Geliebte und Vertraute. Bei ihr scheint der gehetzte Geist Ikkyus endlich zur Ruhe zu kommen. Seine Gedichte, die bisher nicht frei waren von postpubertären Possen, sozio-ethischen Gedankengebäuden oder verbittertem Weltschmerz, verdichten sich nun zu purer Poesie, zur reinen Anbetung dessen was ist. shin singtfrei jeder eitelkeitim pavillon es ist abendund es regnetzärtlichkeiten shin, du bistalle bäume des frühlings die besucher sind fortgegangendie lieder versiegt nichts, stille Sturm und StilleEs ist wohl diese Stille, die Ikkyu Zeit seines Lebens gesucht hat, der er in all seiner Fieberhaftigkeit nachgejagt ist und die er nur finden kann im Auge des Zyklons der Leidenschaften. Reizt ihn etwa die Ruhe vor dem Sturm mehr als das eigentliche Stürmen? aus der welt der leidenschaftenin die welt der leidenschaftendazwischen gibt es eine pause und wenn es regnet, regnet esund wenn der wind bläst, bläst der wind Tatsächlich ist »eine Pause machen« (japanisch: hitoyasumi) eine zusätzliche Möglichkeit, das Schriftzeichen für den Namen »Ikkyu« zu lesen. Ob er aber jemals zu einer wirklichen Rast kam und sein hitziges Gemüt Kühlung erfuhr, sei dahingestellt. Seinen Schülern riet er stets, gemäßigter zu leben als er, das Schlechte zu meiden und das Gute zu suchen. Selbst die letztendliche Ernennung zum Vorstand des Daitokuji-Tempels 1474 dürfte für ihn nicht frei von inneren Konflikten gewesen sein; immerhin war er jetzt Teil dessen geworden, wogegen er immer sein Gift verspritzt hatte. Und auch in hohem Alter muss er noch den Tod seiner jungen Geliebten Shin hinnehmen. Er selbst stirbt 88-jährig an einem was sonst? akuten Fieber. gelebt in liebe, lust und lasterso wehmütig jetztdas gewirr des roten bandesfesselt meine füße Ikkyu, der sich selber gern »verrückte Wolke« oder »blinder Esel« nannte, liebte es kontrovers. Zenmeister, Poet, Maler, Kalligraph, Wegbereiter der Tee-Zeremonie, Verkünder der Lehre Buddhas einerseits, andererseits Revoluzzer, Nonkonformist, Lüstling, bissiger Kritiker der bestehenden Systeme widersprüchlich und facettenreich hatte er sein Leben und Wirken gestaltet. Das macht ihn schwer definierbar, und er entzieht sich dadurch auch leicht etwaiger Kritik. Weiser Mann oder Mogelpackung? Die Antworten hierauf mögen wohl vielfältig ausfallen. Aber genau das zeichnet Ikkyu aus als wahren Meister des Zen: Das Leben ist paradox, das Weltganze nicht logisch-objektiv fassbar und in seiner Gesamtheit nicht zu begreifen. Es kann nur so angenommen werden,
wie es ist. So auch jeder einzelne Mensch.
So auch Ikkyu Sojun. einziges koan von bedeutung du
* * * Quellen:
Ikkyu Sojun: »Im Garten der schönen Shin«, Eugen Diederichs Verlag, München 1979· Ikkyu: »Crow With No Mouth«, Copper Canyon Press, Port Townsend 1989· Osho: »Take It Easy« u.a.,
http://www.osho.comGedichte und Zitate ins Deutsche übertragen von Prakash Frank Sanzenbacher