Hallo Tide,
sicherlich könnte man die Engel als Wesenskern der Menschen verstehen – das Problem ist hierbei jedoch, dass wir im Wesenskern nicht nur das Gute in uns tragen und auch nicht selbstlos sind. Der Engel ist also das, was man in der Psychologie auch als Schatten der Persönlichkeit bezeichnet. "An diesen Werten möchte ich wachsen und mich orientieren!", ist der Gedanke, der hinter den Engeln steht. Ich wüsste jetzt nicht, mit was bei einem Neutrum zur Optimierung meiner Persönlichkeit beitragen könnte. Ich sehe im Neutrum die Gedankenlosigkeit und die Verweigerung der Verantwortung.
Du schreibst von einer Religion der Elite, was mich doch sehr nachdenklich stimmt. Ist nicht gerade die Abgrenzung, der Keim alles Übels, das man Intoleranz nennt? Wir haben doch schon unsere Erfahrungen mit den allein seligmachenden Religionen ertragen müssen – sollten wir das nicht versuchen zu überwinden? Wie ich schon erwähnte, haben die Engel ihren Ursprung nicht in der jüdischen Tradition und folglich auch nicht in der christlichen. Was hingegen in der christlichen Tradition ihren Ursprung hat, ist der Gedanke von den gefallenen Engeln.
Es dürfte auch interessieren, dass das Christentum selbst starke gnostische Elemente hat, deshalb dürfte die Sache mit den unterschiedlichen Brillen nicht so ganz zutreffend sein. Ich frage mich manchmal, warum manche Menschen unbedingt ein finsteres Bild von Zerstörung, Macht, dem Bösen, der Strafe und Sühne zeichnen müssen, um letztlich zu ihrem Seelenheil finden zu können. Sicherlich kann man nach einem Krieg alles wieder aufbauen, wird die Welt dadurch aber wirklich besser?
Mit dem Garten Eden möchte ich nun nicht ein neues Fass aufmachen. Eines ist jedoch gewiss, dass es bei Adam und Eva nicht um die ersten Menschen im eigentlichen Sinne geht – sondern um den Übergang von einer Gesellschaft der Jäger und Sammler zu einer Gesellschaft der Ackerbauern und Hirten. Ganz nebenbei bemerkt geht es auch nicht um einen Apfel, sondern um eine Frucht:
1. Buch Moses 3 [6] Und das Weib schaute an, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß.
Sicherlich kann man nun den Sephirot mit dem Baum der Erkenntnis verbinden. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass es bei der Verfassung dieser Geschichte noch keine Kabbala gab.
Ja, für einen Menschen, der sich als elitäres Wesen versteht, ist es natürlich schwer zu verdauen, dass er aus der Mitte seiner Mitgeschöpfe geboren wurde. Ja, Mythen scheinen etwas für Naive zu sein, Du vergisst dabei aber, dass sie sich der Bildersprache der Seele bedienen. Hast Du dich noch nie gefragt, warum so viele Menschen Filme oder Bücher, wie Harry Potter oder Herr der Ringe lieben?
Es es nicht ein Zeichen dafür, dass wir uns nach dem Kind in uns sehnen, dem Selbst, von dem wir uns mit jedem Tag entfernen? Am Ende steht dann die Frage, was aus diesem Kind geworden ist: ein Opfer der Vernunft? Erinnern uns die Engel nicht gerade an diese Zeit des Staunens, die wir in unserer abgeklärten Zeit verloren haben oder liegt darin auch der Grund warum sich manche mit ihrem Engel so schwer tun oder auch verleugnen? Verleugnen wir uns damit etwa selbst?
Du siehst, ich suche die Seele eines Menschen in ihm selbst und nicht in einem unsterblichen abstrakten Neutrum. Besteht in der Abstraktion nicht die Gefahr, dass sich die Seele im Nichts verliert und in einer ziellosen Suche umherirrt?
Merlin
