magst du mir deine sicht erklären? warum es für dich keinen freien willen gibt?
Sicher. Also die relative primitive Theorie, auf die ich mich beziehe nennt sich kausaler Determinismus.
Sie geht davon aus, dass es keinen absoluten Zufall gibt.
Dazu musst du überlegen, wie und warum du Entscheidungen triffst: Du wirst zuerst einmal das Problem analysieren. Dann wirst du das Problem bewerten. Dann wirst du das Problem vergleichen. Und dann wirst du das Problem zu lösen versuchen anhand der Erfahrungen, die du schon gemacht hast bzw. logischer Schlüsse. Alles klar?
Jetzt machen wir ein Gedankenexperiment. Du setzt einen Menschen in einen Raum. In diesem Raum befinden sich ein roter und ein grüner Schalter, sonst nichts. Welchen Schalter wird der Mensch drücken? Den roten oder den grünen? Die Entscheidung, die er trifft, wird nie vollständig "zufällig" sein, weil ein Mensch nicht in der Lage ist, "zufällige" Entscheidungen zu treffen. Er könnte logisch handeln - "
Was könnten diese Farben bedeuten? Was könnten die Schalter auslösen?", er könnte impulsiv handeln: "
Mir gefällt rot besser als grün. Der grüne Schalter ist rechts und ich bin Rechtshänder". Seine Entscheidung könnte von Moralvorstellungen oder anderen Erfahrungen geprägt sein: "
Rot ist die Farbe des Glücks" (in China z.B.) oder "
Rot ist eine Warnfarbe". Seine Entscheidung könnte körperlich beeinträchtigt sein, z.B. durch eine Rot-Grün-Blindheit. Oder vielleicht beeinflussen seine eigenen Gedanken die Entscheidung? ("
Grün ist meine Lieblingsfarbe - aber wer auch immer mich hier gefangen hält, weiß das bestimmt, deswegen werde ich jetzt rot drücken").
Was ich damit sagen möchte ist: Oberflächlich betrachtet wirkt die Entscheidung willkürlich, aber tatsächlich ist sie niemals "zufällig". Sie ist das Ergebnis von Milliarden und Trilliarden verschiedener Erfahrungen, Erlebnisse, Gedanken, Gefühle, usw, die sich nun in einer Entscheidung manifestieren.
Jetzt nehmen wir an, wir haben zwei Versuchspersonen: A hat von klein auf beigebracht bekommen, niemals rote Gegenstände anzufassen, bei B war das nicht der Fall. Wir können anhand dieser Information ausmachen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass A auf den roten Knopf drückt geringer ist als die Wahrscheinlichkeit, dass B auf den roten Knopf drückt. Aber es gibt natürlich noch unendlich viele mögliche Störfaktoren (oben beschrieben). Jetzt nehmen wir an, wir haben einen "Laplace'schen Dämon" - eine riesige Rechenmaschine, die alles über unsere Versuchsperson weiß - und ich meine wirklich alles. Jede Erfahrung, jedes Erlebnis, jeden Gedanken, alles. Dann kann diese Maschine berechnen, welche Entscheidung er treffen wird, weil sie (angenommen man hat den richtigen Algorithmus) alle (ALLE!) Faktoren miteinbeziehen kann. Denn je mehr man weiß, desto höher kann man die Wahrscheinlichkeit in eine Richtung verschieben. Und wenn man ALLES weiß, kann man mit 100%iger Wahrscheinlichkeit die Folge der Entscheidungen berechnen.
Um das ganze in einem Satz zusammenfassen: Wir haben keinen freien Willen, weil unser Wille immer von Moralvorstellungen, Erziehung, Bildung, Erfahrungen und sogar eigenen Gedanken beeinflusst wird.
Selbst wenn du sagst: "Es wird von mir erwartet, dass ich auf den roten Knopf drücke, deshalb drücke ich auf den grünen Knopf", befindest du dich noch immer in diesem deterministischen Kausalitätssystem - der maßgeblich beeinflussende Faktor ist in diesem Fall halt dein eigener Gedanke.
Aber wie gesagt, im praktischen Leben haben wir dank der Komplexität unseres Bewusstseins das Gefühl, wir könnten uns "entscheiden". Deswegen ist das natürlich nur eine Gedankenspielerei.
coldmirror schrieb:
Die juristische Gerechtigkeit würde völlig sinnleer, denn man könnte niemand mehr für seine Handlungen verantwortlich machen.
Nein.
Es gibt keine "juristische Gerechtigkeit". Es gibt nur das Recht. Die Aufgabe des Rechts ist, die Gesellschaft funktionieren zu lassen. Mord und Diebstahl sind beides Faktoren, die schlecht für die Gesellschaft sind. Deswegen wird man, selbst wenn die Verbrecher eigentlich nicht "schuldig" sind, dennoch bestrafen, um negative Anreize zu setzen. Denn diese negativen Anreize sind wiederum Ursachen im deterministischen Gefüge, die Wirkungen hervorrufen.
Die normative Gerechtigkeit wird durch den Determinismus hingegen sinnleer, das mag stimmen.