1948 Drogennetze
Spinnen pflegen einen für Wissenschaftler anstrengenden Brauch: Sie spinnen ihre Netze um vier Uhr morgens. Dies machte 1948 dem Tübinger Zoologen Hans Peters zu schaffen, der für Filmaufnahmen des Netzbaus nicht mitten in der Nacht aufstehen wollte. Also fragte er Peter Witt, einen jungen Assistenten der Pharmazieabteilung, ob sich Spinnen vielleicht mit Aufputschmitteln dazu bringen ließen, ihre Netze zu einer freundlicheren Stunde zu weben. Witt versuchte es als Erstes mit Strychnin, Morphium und Dextroamphetamin (Speed). Die Fütterung war einfach: Mit etwas Zuckerwasser vermischt, fraßen die Spinnen jedes Gift. Doch der Erfolg blieb aus. Sie arbeiteten immer noch in aller Herrgottsfrühe, und Peters verlor das Interesse an den Versuchen.
Witt hingegen fand das Resultat hoch interessant: Netze, wie sie die Spinnen unter Drogeneinfluss bauten, hatte er noch nie gesehen. Luftige, dichte, grotesk unregelmäßige, aber auch extrem exakte. Ließ sich das Spinnennetz als Messgerät für die Wirkung von Drogen und Medikamenten verwenden? Witt fütterte die Spinnen mit allem, was der Arzneimittelschrank hergab: Meskalin, LSD, Koffein, Psilocybin, Luminal, Valium. Danach ließ er sie in einem 35 mal 35 Zentimeter großen Rahmen ein Netz spinnen, das er vor einem schwarzen Hintergrund fotografierte. Er entwickelte eine statistische Methode, mit der sich selbst kleine systematische Unterschiede feststellen ließen. Auf dem Bild des Netzes bestimmte er Winkel, Fadenabstände und Flächen und erstellte Tabellen mit der Häufigkeit des Netzbaus, der Größe der Fangflächen und dem Verhältnis der Netzachsen zueinander.
Doch die Hoffnung, das Spinnennetz als universelle Anzeige für chemische Stoffe einsetzen zu können, zerschlug sich. Die ausführlichsten Resultate mit Hilfe von Statistikprogrammen, die für die Kristallografie entwickelt worden waren publizierten im Jahr 1995 Wissenschaftler der Nasa (warum ausgerechnet die Nasa solche Versuche durchführte, bleibt rätselhaft). Ergebnis: Für die Drogenprävention eigneten sich die Fabrikate der Spinnen definitiv nicht. Das chaotischste Netz entstand unter Koffein, das schönste unter Marihuana und das regelmäßigste das hatte schon Witt entdeckt unter LSD.