Ich bin in einem streng katholischen Elternhaus aufgewachsen. Als ich einmal dem Pfarrer in der Bibelstunde sagte, ich lese aus der Bibel meistens nur was mir am besten gefällt wurde ich streng zurechtgewiesen. Das Wort Gottes sei kein Selbstbedienungsladen aus dem man sich herauspicken könne was einem gerade lieb sei.
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Die Bibel, so wie sie heute ist, sollte trotzdem in jedem Bücherregal stehen. Gleich zwischen Grimms Märchen und Harry Potter. Damit niemand auf die Idee kommt sich mehr zu nehmen als das was unserem Geist und unserem Herz gerade lieb ist. Ich finde nämlich sehr wohl, ich darf das. ...
Deine Worte darüber, der Bibel zu entnehmen, was gerade gefällt, ist zweifellos ein Ausdruck der persönlichen Freiheit. Doch kommt man damit auch der Wahrheit näher, wenn sie nun in der Bibel stehen sollte?
Ich habe zum Beispiel Menschen kennen gelernt, die Goethe huldigten. Als sie dann etwas über ihn erzählten, merkte ich, dass sie ein völlig verzerrtes Bild von ihm hatten. Sie hatten sich ihm sentimental hingegeben, weil er wie eine Art Gott ihnen vorkam, ohne aber sich näher mit ihm beschäftigt zu haben, Den wahren Goethe aber kann sicher niemand nachvollziehen, das hätte nur er selbst können. Doch die Frage, die ich mir stellte war: Will ich mir ein Bild von Goethe nach meinen persönlichen Bedürfnissen meines Behagens erstellen oder strebe ich eines an, das ihm möglichst entspricht?
Ähnlich erscheint es mir mit anderen Verhältnissen und auch mit der Bibel zu sein. Ich stelle mir die Frage, was ich eigentlich will. Will ich ein von mir persönlich verzerrtes Bild von etwas erstellen oder versuche ich die Wirklichkeit oder Wahrheit der Sache anzustreben? Dazu muss ich mir auch die Frage stellen, ob es mir überhaupt wert ist?
Wenn es wahr sein sollte, dass in der Bibel göttliche Wahrheit stehe, wie immer sie auch aufzufassen oder zu erfassen sein mag, dann versuche ich diese zu erfassen, wie sie vom Autor gemeint ist, dann ist es mir auch wert. Anders ist das bei Verhältnissen, bei denen es nicht von Wichtigkeit ist, sie genau erfassen zu müssen. Aber auch dann sollte man sich im Klaren darüber sein, will der Mensch bewusst leben und sich nicht von Einflüssen dirigieren lassen. Deshalb kann ich die Reaktion des Pfarrers gut verstehen.
Himbeerchen;3406437] Die grundsätzliche Aussage von Liebe und Vergebung ist mir wichtig und wertvoll. Aber die Geschichten wörtlich und ernst nehmen? Geh bitte. 2000 Jahre abschreiben, weglassen, dazudichten. Und wer hat damals beschlossen was hineinkommt und was nicht? Was ist da an Wahrheit noch übrig...[/QUOTE]
Ja, das bringt weitere Schwierigkeiten hervor. Was ist nämlich Liebe? Das ist ein Wort, das leicht in den Mund genommen, aber gar nicht leicht erfasst werden kann, wenn überhaupt.
Das Argument, über die 2000 Jahre hinweg wäre die Bibel verfremdet worden, hat keine Basis in der Weise, wie du es sagst. Ich erlebe aber immer wieder, dass dieses Argument bei jenen auftaucht, die sie gerne nach persönlichen Maßstäben haben wollen. Was diese also den angeblichen Verfälschern vorwerfen, tun sie selbst! Dem Argument einer möglichen Verfälschung ernsthaft Rechnung zu tragen wird so nicht nachgegangen, um ihr durch das genannte Mittel letztlich die persönliche Meinung zu überstülpen.
Wenn wir es mit der Bibel wirlich mit der niedergeschrieben von der Göttlichkeit gewirkten Wahrheit zu tun haben sollten, dann muss ihr der gebührende Ernst und die gebührende Ehrfurcht entgegengebracht werden, die dem einzelnen Menschen nur möglich ist. Er wird dann wie bei Goethe der völligen Wahrheit gewiss nicht nachkommen können, doch eines bleibt ihm: das ernsthafte Streben danach!
Solis