Kapitel 19
Wir sassen den ganzen Tag zusammen am Tisch und berichteten uns gegenseitig, was wir in unseren jetzigen Leben erfahren hatten. Fee sprach viel von ihrer Mutter, die sie schon als kleines Mädchen begleitet hatte. Sie war eine Heilerin und hatte vielen Menschen durch Handauflegen geholfen. Ausserdem war sie sehr kundig im Umgang mit Kräutern und Heilpflanzen gewesen.
Schon früh hatte Fee entdeckt, dass sie nicht zum ersten Mal hier inkarniert war und sehr bald war ihr bewusst, dass auch ihre Inkarnation in Ägypten nicht ihr ältestes Dasein gewesen war.
Als sie die einsetzende Dämmerung bemerkte hielt sie inne.
"Bist Du bereit Merbold?"
Ich nickte.
"Gut! Dann bereite ich alles vor. Ich bin in einer halben Stunde wieder bei Dir. Nutze die Zeit für eine kurze Meditation. Komme zur Ruhe, entspanne Dich und sammle Kraft. Wir werden eine Reise machen....."
Mit diesen Worten erhob sich Fee und ging die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer. Ich setzte mich entspannt auf die Couch, legte meine geöffneten Hände in den Schoss und schloss die Augen. Tief und tiefer entspannte ich mich. Mein Atem ging ruhig und nach kurzer Zeit hatte ich ein Bild.
Ich befand mich in einer Halle aus Steinen. Quaderförmig. Nach oben spitz zulaufend. Menschen standen Spalier und eröffneten mir den Weg zur Mitte des Raumes. Dort stand mein Reisegefährt. Ein Sarkophag!
Ich hatte Jap-Suth an meinem linken Ringfinger und bewegte mich auf den Sarkophag zu. Die Menschen links und rechts von mir neigten ihre Köpfe, wenn ich an ihnen vorbei ging. Dann spürte ich eine Bewegung an meiner Hand. Es war die Hand von Shem-Bateh. Sie hatte meine Hand genommen. Auf der Couch. In der Realität.
"Öffne nun nicht Deine Augen Merbold. Halte sie weiter geschlossen und lasse Dich von mir führen. Ich führe Dich wie ich Dich schon einmal geführt habe. Durch den Tod ins Leben."
Mir wurde bewusst dass ich dieses Ritual schon einmal durchlebt hatte. Vor langer Zeit. Zelebriert wurde es von Shem-Bateh, damals wie heute. Als ich die letzte Person des Spaliers passiert hatte, konnte ich den Sarkophag zur Gänze sehen. Der Rosengranit war blank poliert und der schwere Deckel war zur Seite geschoben worden. Die Schriftzeichen auf dem Deckel waren mit Gold verziert und auf ihm lagen das Ankh und der Kristall.
Über das bereitgestellte Fusshöckerchen stieg ich ein und legte mich hinein, den Kopf durch ein dünnes Kissen gestützt, welches mit Kräutern gefüllt war. Shem-Bateh trat an den Rand und blickte mich lächelnd an. Sie legte ihre Hand auf meine Stirn.
"Drei Tage wird Deine Reise sein. Drei Nächte wirst Du gehn allein. Doch Lohn erwartet Dich am Ende. Ich gebe dies in Deine Hände."
Mit diesen Worten gab sie mir das Ankh und den Kristall. Sie reichte mir einen reich verzierten Becher. In einem Zug trank ich ihn aus. Shem-Bateh nickte mir kurz zu und trat zurück. Stein rieb auf Stein als der schwere Deckel über mir bewegt wurde und nach ein paar Sekunden empfing mich die Dunkelheit. Der ölige Trank tat seine Wirkung und brachte mich auf den Weg...
Lange Zeit war Dunkelheit. Und Stille. Ich hörte mein Herz langsam und ruhig schlagen. Die Zeit trug mich fort. Fort zu jenem Punkt an dem ich ihn treffen würde. Athum- She, den Hüter der Gerechten. Den Prüfer der Seelen. Weiss war sein Gewand und weiss war sein Haar. Der lange Stab in seiner rechten Hand war aus Ebenholz und an seiner Vorderseite war ein Auge zu sehen.
Und dann stand ich plötzlich vor ihm!
Prüfend sah er mich an und seine wissenden blauen Augen drangen in mich ein. Ich öffnete ihm meinen Geist.
"Du verlangst diese Macht von mir?"
"Wie könnte ich etwas von Dir verlangen? Ich bitte Dich demütig darum Athum-She. Es soll zum Wohle der Menschen geschehen und Unheil durch niedere Gesinnung vermeiden. Deshalb stehe ich hier vor Dir."
"Du warst schon einmal hier Althied, ich erinnere mich an Dich. Auch erinnere ich, dass Du in Deiner Zeit rechtschaffen und aufrichtig warst. Du hast geschworen Shem-Bateh nicht nahe zu kommen und Du hast Deinen Schwur gehalten. Ihr habt euch hier wieder getroffen, um ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen. In diesem Sein wird Dir kein solcher Schwur abverlangt, aber....Du wirst eure Aufgabe schwerer machen, solltest Du Dich ihr nähern. Dies sollst Du wissen. Nun gehe weiter in die grosse Halle und empfange die Kraft."
"Ich danke Dir Athum-She!"
Als ich mich vor ihm verneigte, verblasste sein Bild und als ich meinen Kopf hob, befand ich mich in der grossen Halle. Fackeln und Öllämpchen erhellten den Raum und verbreiteten einen Geruch der die Sinne betörte. Ein Stuhl stand bereit. Fast sah er aus wie ein kleinerer Pharaonenthron. Reich verziert mit breiten Armlehnen. Viele hatten sich bereits daran festgekrallt...
Ich nahm darauf Platz. Jap-Suth war an meinem Finger, das Ankh und der Kristall in meinen Händen. Dann züngelten kleine bläuliche Flämmchen um die Ringschiene und ich schloss meine Augen. Nun kam es auf meine Gedankenkraft an, soviel wusste ich.
Wie aus dem Nichts drückte plötzlich ein Gewicht von oben auf mich herab. Es war ein riesiger Quader, der sich langsam herab senkte und mich zu zerquetschen drohte. Er kam immer schneller auf mich zu. Fest nahm ich das Ankh und den Kristall in die Hände und legte sie aufeinander. Augenblicklich spürte ich die Kraft, die von ihnen ausging und ich richtete sie gegen den schweren Quader. Ich konzentrierte mich darauf ihn abzubremsen und anzuhalten, doch wurde er zwar langsamer, kam aber immer noch auf mich zu.
Fieberhaft suchte ich nach einer Lösung und konzentrierte mich noch stärker darauf den Quader zum Stehen zu bringen. Es hatte doch immer funktioniert, warum hier nicht? Der Quader näherte sich mir immer mehr und ich bemerkte einen Anflug von Panik in mir aufsteigen. Doch dann hatte ich dieses Wort plötzlich in meinem Kopf und schleuderte es heraus.
"Batieh!" ... Zerfalle
Wie ein Blitz zuckte ein Strahl aus Ankh und Kristall und traf auf den Quader. Er war noch etwa fünf Meter über mir, als er sich in feinen Sand auflöste, welcher sich an mir vorbei in eine unendliche Tiefe ergoss ohne mir zu schaden.
Diese Prüfung hatte ich bestanden. Doch fragte ich mich warum nur dieser Weg funktioniert hatte, der die Zerstörung des Quaders zur Folge hatte. Und die gleiche Stimme, die mir das Wort "Batieh" eingegeben hatte, war wieder in meinem Kopf zu hören.
"Es ist gut es immer zuerst ohne Zerstörung zu versuchen. Doch gibt es Zeiten und Momente, in denen nur Zerstörung hilft. Wäge gut in Deiner Zeit!"
Die Worte stimmten mich nachdenklich. Nie hatte ich diese Kraft zuvor in dieser Form angewandt. Was würde die Zukunft wohl bringen, dass mir dies gegeben wurde...?
Dann vernahm ich plötzlich Schreie. Der Boden vibrierte und in der Ferne war ein riesiger Krieger zu sehen. Wie von Sinnen brüllend kam er schnell auf mich zugerannt und schwang ein Schwert über seinem Kopf. Donnernd war jeder seiner Schritte und liess den Boden erzittern. Er wurde schnell immer grösser und kam unaufhaltsam auf mich zu. Verrückt, Von Sinnen. Irre. Zornesröte in seinem grässlichen Gesicht.
Ich nahm das Ankh und den Kristall, hob meine Hände, legte sie zusammen und richtete sie auf den Angreifer.
"Anthana, shateh, Anthana shateh!"
Ich sah wie bläuliche kleine Wellen mein Hände in Richtung des Kriegers verliessen. Wie kleine Spiralen bewegten sie sich vor und trafen auf den Aggressor. Immer noch rannte er auf mich zu, doch verlor er plötzlich an Grösse. Dann schien er ruhiger zu werden und seine Bewegungen wurden langsamer. Er wirkte überrascht und machte den Eindruck, als wüsste er nicht mehr was er hier wollte. Schliesslich sank sein Schwert herab und er kam gänzlich zum Stehen. Zwei, drei Meter vor mir stützte er sich ausser Atem auf sein Schwert und sah mich fragend an.
Athana shateh - Heilung und Frieden....
Ich lächelte ihn an und ging auf ihn zu. Er war genauso gross wie ich. Freundschaftlich legte ich meine Hand auf seine Schulter. Lächelnd sah er zu mir herüber.
Dann kam meine schlimmste Prüfung...