Die letzte Frage

sternentaler

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Die letzte Frage

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Monika Litschko

Ich träumte einen langen Traum. In meinem Traum schlug ich die Augen auf und sah, dass ich diesen Ort kannte. Ich fühlte die Stille und spürte die Wärme, die liebevoll ihre Arme um mich schlangen. Schnupperte an vergangenen Zeiten, wie an einer Rose die mir ihr Blütenköpfchen entgegen hielt.Glücklich ließ ich meinen Blick umher schweifen. In jedem Winkel des Hauses fühlte ich Heimat. Berührte warmes Holz und kühles Metall. Strich gedankenverloren über die alte Tischdecke und fühlte Glück in mir aufsteigen.
Du sagtest, hier fände ich die Antwort. Aber wo? Und wie kann ich sie finden ohne dich? Zaghaft öffnete ich die alte, marode Tür und trat nach draußen. Auch hier holte die Vergangenheit mich ein. Die alten Bäume verneigten sich vor mir, und der Wind wuselte mit seinen Händen durch das grüne Gras. Helle Sonnenstrahlen wärmten meine Seele ,und den Boden auf dem ich stand. Aber alles um mich herum war begrenzt. So, als wäre eine Käseglocke um ein Stück Heimat gestülpt. Nicht aus Glas, sondern aus Luft.Unschlüssig blickte ich mich um. Dann warf ich einen letzten, wehmütigen Blick zurück und ging los. Dabei fragte ich mich, was mich erwartete, dort, hinter der Glocke aus Luft. Meine Schritte waren zaghaft. Ich wollte das Stückchen Erde was ich so liebte nicht verlassen. Aber um eine Antwort zu finden musste ich losziehen. Warum war alles so still um mich herum? Es begegneten mir keine Menschen und kein einziges Tier kreuzte meinen Weg. Nur ich, der Wind, die Sonne, das Gras, die Blumen und die Erinnerung. Ich wollte weinen, tat es aber nicht. Denn dass ich hier war musste einen Sinn haben. Und den wollte ich finden. Nach sehr kurzer Zeit erreichte ich die Wölbung der Luftglocke. In mir tobte ein Orkan. Und ich dachte: „ Das war alles?“ Ich stand vor dieser Mauer und sah nichts, außer mich selber? Sah meine langen,dunklen Haare mit denen der Wind spielte. Meine nackten Füße, die von dem hohen Gras fast verdeckt wurden und meine immer währende leichte Bräune, die Gesicht und Arme bronzen glänzen ließ.Entschlossen strich ich mit einer Hand über mein einfaches Kleid und streckte mutig meine Arme vor.Ich spürte Kühle auf der anderen Seite und Angst in meinem Herzen. Aber ich ging den alles entscheidenden Schritt mit geschlossenen Augen.
Meine Stille machte einem Lärm Platz, den ich fast nicht ertragen konnte. Verwirrt öffnete ich meine Lieder und erschrak zutiefst. Wo war ich? Ich sah hohe Gebäude und Metall, dass an mir vorbei rollte. Riesige Vögel, die schnell über den Himmel zogen und Menschen die hastig durch die ungemütlichen, kalten Straßen liefen. Aber niemand, sah mich. Und so beschloss ich von ihnen zu lernen. Wollte ihre Gefühle verstehen. Ihr Denken und Handeln. Ich setzte mich an ihre Tische und lauschte. Was sie sagten gefiel mir nicht. Konnte es sein, dass sie sich schaurige Märchen erzählten? Nur so, um Angst zu bekommen? So wie Kinder es machten, nur, um dieses unheimliche Gefühl zu spüren? Warum taten sie so etwas?Als ich ihre Angst spürte wusste ich, dass es keine Märchen waren.Ich war in eine Welt eingetreten, die alles Menschliche so langsam verlor. Und mit Wehmut dachte ich an mein kleines Paradies. Wo auch ein Baum mein Freund war. So wie der Vogel der hoch am Himmel kreiste. Wo ich erfahren durfte was Leben bedeutete. All das zählte in dieser Welt nicht viel. Was war wohl der Auslöser gewesen? Zu viel gedachte Gedanken? Eine neue Art der Versklavung? Oder Resignation? Eine tiefe Sehnsucht ergriff mein Herz. „ Zurück!“, schrie es in mir.
Ich hatte die Antwort auf deine letzte Frage gefunden und nur dass zählte für mich.Die, die mich nicht gesehen hatten, mussten ihre Antworten noch suchen.
Erleichtert machte ich mich auf zur Glocke. Ohne Angst. Leichtfüßig entfloh ich ihrer Welt. Ich blickte mich nicht mehr um als ich meine Arme ausstreckte, um wieder in meine kleine Welt einzutreten. Wozu auch? Was ich gesehen und gehört hatte, reichte. Was mich erwartete, erfüllte mich mit Freude.Endlich. Der Wind streichelte wieder zärtlich über meine Haut. Die Stille legte sich wohltuend auf meine Seele und die Wärme hüllte mich in ihr Sonnensegel. Ich drehte mich noch einmal um, und sah eine Frau die ein einfaches Kleid trug. Deren lange, dunklen Haare im Wind wehten. Ihre Füße waren in dem hohen Gras kaum zu sehen und ihre Haut schimmerte Bronzefarben in der Sonne.Mit einem stolzen Lächeln nickte ich ihr zu und machte mich auf den Weg.Beschwingt lief ich auf das kleine Haus zu. Öffnete die marode Tür und trat über die Schwelle. Berührte Holz und Metall. Spürte die Vertrautheit der Dinge und öffnete meine Augen.

„ Du hast so lange auf mich gewartet,“ flüstere ich dankbar. „ Ein ganzes Leben und darüber hinaus. Ich danke dir.“
„ Und?“, fragst du mich. Hast du die Antwort gefunden?“
„ Ja, dass habe ich“, antworte ich dir glücklich. „ Deine letzte Frage, beantworte ich mit einem Nein. Nicht jetzt. Später, vielleicht. Aber nicht jetzt.“
Mit einem Lächeln, das deine warmen Augen erhellt, streichelst du mein Gesicht.
„ Ich wusste es,“ hauchst du mir zu. „ Keiner kennt dich so wie ich.“
Zufrieden fassen wir uns bei den Händen und verlassen unser kleines Paradies. Erleben zusammen noch einmal das Gefühl von Heimat. Lauschen dem Lied des Windes. Grüßen die Sonne, die hoch über uns steht und atmen die reine, klare Luft ein letztes mal.
Mit einem letzten wehmütigen Blick, verabschieden wir uns von unserem Zuhause. Dann fassen wir uns bei den Händen und steigen auf in die Unendlichkeit. Zwei Seelen die zu einem Stern verschmelzen, suchen ihren Platz im Universum.Dort werden wir warten. Darauf, dass alles neu beginnt. Der Rückweg soll sich lohnen. Nicht nur für uns. Denn wir warten zu Tausenden.
 
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