Die Bank

Urajup

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17. November 2004
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Da stand die Bank. Sie war aus Holz, die Farbe an vielen Stellen bereits abgeblättert. Auf der rechten Seite glänzten nasse Flecken vom letzten Regen. Ich setzte mich auf die trockene Seite, wischte sie aber vorsichtshalber mit einem Taschentuch ab, auch, um hellgelbe Kastanienblätter mit fortzuwischen...

Ich saß und bemerkte den Herbst. Kastanien auf dem Boden. Emsige Eichhörnchen, die ihre Winterrationen einsammelten, putzig wild hin und herliefen und in einem Augenblick, einem Wimpernschlag, schon wieder in den Baumkronen verschwunden waren....Es riecht nach Verwesung, Endzeitstimmung...Die Ahnung, daß der Winter schon bald alles Restleben in den Bäumen und Pflanzen abtöten würde.

Winter. Ich mag ihn nicht wirklich. Denke dabei über die Vergänglichkeit nach. Denke an meine geliebten Toten, deren Fotos ich in der letzten Zeit so oft betrachte. Erinnerungen an Kindheitserlebnisse tauchen auf, besonders die an Mutter und Großmutter.
Großmutters weiße Haut zum Beispiel. Diese weiße, zarte Haut, die auch im Alter kaum Falten hat. Denke an ihre dünn gewordenen Haare, die zu einem silbrigen Knoten verarbeitet waren, streng verwahrt in einem Haarnetz....Ich sehe Großmutters Augen, helles blau, schon etwas verwässert...Leichte Tränensäcke darunter.....Sehe mich auf einem Schemel stehen, Großmutter hat ihn mir unter meine Füße geschoben, damit ich groß genug bin, um an das Waschbecken zu reichen. Großmutter steht hinter mir, seift mir meine schmierigen Kinderhände mit einer grünlichen Seife ein und spült sie unter fliessendem Wasser ab. Fasziniert beobachte ich, wie die Dreckblasen den Schmutz, der eben noch an meinen Fingern klebte, gurgelnd in das Abflussloch in einer unaussprechlichen Tiefe verschwinden lässt....

Großmutter setzt mich auf ihr altes Sofa. Sieht, daß auch mein Mund verklebt ist, nimmt den Zipfel ihrer Küchenschürze, führt ihn an ihren Mund, spuckt kurz drauf und wischt mir damit meinen Mund ab. Dabei lächelt sie mich an. Ich fühle mich geborgen, umarme sie spontan, auch weil ich spüre, daß es sie erfreut. Hernach gibt es für mich ein Butterbrot, dick mit Pflaumenmus beschmiert. Ich sitze beim Schmausen auf dem alten Sofa, lasse die Beine baumeln, geht auch nicht anders, da sie noch nicht bis auf den Boden reichen.
In Großmutters Küche riecht es nach Apfelmus, der sanft auf dem alten Herd vor sich hinsimmert....Es ist friedlich. Still. Großmutter sitzt mir gegenüber und schält Kartoffeln, lächelt, weil mein Mund von all dem Pflaumenmus schon wieder schmierig ist. Sie sagt aber nichts, ich spüre aber, was sie denkt......Ich schaue aus dem Fenster. Mache Großmutter auf die riesige Birke aufmerksam, die wir beide lieben. Damals stand sie noch auf der anderen Seite der Straße. Alt, mit eleganten Ausmassen. Das Weiß des Stammes zart schwarz durchsprenkelt. Heute ist sie fort. Abgesägt von einem Holzkopf, der meinte, über den Tod dieser Birke entscheiden zu können, entschieden hat.

Meine Gedanken springen von Großmutter und Großmutters Küche zurück in die Gegenwart. Ich spüre einen kurzen, ganz unbekannten Schmerz, weil ich hier und jetzt - auf dieser alten, abgeblätterten Bank - gerne mit ihr geplaudert hätte. Heute. Von Frau zu Frau. Nicht von Frau zu Kind. Wie schön wäre es, dazusitzen und noch einmal Großmutters Hand zu halten, den Kopf an ihre Schulter zu legen oder sie den ihren an meine...

Ich hebe den Kopf. Atme die würzige Herbstluft tief ein. Ich weiß nicht, was mich so traurig macht. Großmutter, und auch alle anderen Großeltern sind Tod. Schon lange. Mutter und Vater auch. Warum nur besuchen sie mich immer öfter in meinen Gedanken? Warum tauchen gerade in letzter Zeit Erinnerungen auf, wenn ich an bestimmten Plätzen vorbeikomme? Es verstört, irritiert mich...Ist das so, daß man ab einem gewissen Alter an die Kindheit zurückdenkt? Denken wir an die Wurzeln, weil die Triebe nicht mehr so euphorisch in die Höhe wachsen?

Ich spüre Hunger. Wollte eigentlich noch auf den Friedhof gehen, der nicht weit entfernt ist. Nun entschließe ich mich anders und gehe nach Hause. Auf dem Weg dorthin denke ich - verdammt - (schon wieder) an Großmutter und an ihren Apfelpfannkuchen mit Zimt und Zucker bestreut. Gut, Großmutter, dann soll es heute Pfannkuchen geben, auch wenn ich ihn heute mit Ahornsirup geniessen werde, den Du damals sicher noch gar nicht kanntest......



Juppi
 
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Sehr schön.

Erinnerungen an meine Oma kommen hoch:)
Äpfel im Schlafrock.....hab ich nur von ihr gegessen.
 
Danke Ihr Lieben....:kiss4:

Es ist der Herbst, der mich wohl in die so vertraute, geborgenen Vergangenheit führte und ver-führte zum Schreiben....:)


Lieben Gruß
Juppi
 
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