Es gibt ja diese Aussage, man anstatt an Gott, vor allem an sich selbst glauben. Und ich kam zu dem Entschluss, dass das mehr als nur eine Floskel ist.
Lieber HolyDuck,
Da, finde ich, hast Du einen guten Ansatz gefunden, wobei ich ihn noch etwas abändern bzw erweitern möchte. (Da Du von Gott gesprochen hast und vom Glauben, nehme ich an, daß Du einen christlichen Hintergrund hast/hattest, darum verwende ich weiter das Wort Gott, auch wenn mir selbst das Wort Sein viel besser gefällt. Statt "Gott" kannst Du überall auch "Sein" setzen):
"Erforsche Dich selbst mit dem festen Vertrauen in Gott, daß er Dich dabei unterstützt. Denn Gott will genauso zu Dir, wie Du zu ihm willst."
Diese Erforschung funktioniert (für mich jedenfalls) am besten, wenn sie streng wissenschaftlich, also durch genaue Beobachtung mit allen Beobachtungssinnen und Analyse und gleichzeitig - solange noch Unsicherheit da ist - mit unerschütterlichem (Gott)vertrauen, mit Hingabe an Gott gemischt wird. Viele große Wissenschaftler unserer Zeit waren ja auch große Mystiker.
Diesem Vertrauen musst Du wieder erlauben, stark in Dir zu werden, dann unterstützt es die Analyse und steht nicht im Widerspruch zu ihr. Nicht so wie früher, das geht nicht mehr, aber vielleicht mit weniger Vorstellungen über Gott, dafür aber jetzt mit größerer Offenheit, noch tieferer Ernsthaftigkeit und geschärften Sinnen für die echte Suche nach "ihm" ohne an einem vermeintlichen "Wissen über" ihn zu verharren.
Gerade üble Lebensumstände oder schmerzlicher Verlust bieten die Chance, das Vertrauen wieder zu stärken, denn sie machen uns in unserer Hilflosigkeit weich und durchlässig für Gott, sie lockern die Fesseln unseres rationalen Verstandes und befreien ihn - Das Du hier fragst und schreibst zeigt ja schon, daß Du Zuflucht suchst, also gehe ich davon aus, daß Du das Vertrauen zurückgewinnen willst. Und dieses Suchen allein reicht schon und ruft Gott auf den Plan. Darin vertrauen.
Aber nicht nur glauben, das reicht nicht und führt in die Irre! Wenn Du anfängst zu glauben, dann kreiierst Du nur festgefahrene, statische Vorstellungen. Du glaubst und klammerst an irgendeine Vorstellung von Gott oder überhaupt an Vorstellungen, egal ob spirituell oder naturwissenschaftlich oder sonstwie und begrenzt das, was nicht zu begrenzen ist. Was nicht "wissbar" ist.
Alle Vorstellungen überwinden, hinterfragen, immer zu nur hinterfragen, ob irgendeine Vorstellung wirklich so ist, wie sie daherkommt. Die Antwort ist verblüffend einfach:
Keine einzige Vorstellung stimmt! Nicht eine einzige Vorstellung. Jede Meinung ist eine irrige Ansicht, heisst es im Zen.
Also ganz unbestechlich immer weiter in Dir selbst fragen, "warum bin ich, was bin ich? Ist diese Vorstellung, die ich vom Gehirn, vom Ich, von Gott usw. wirklich richtig? Wie komme ich zu dieser Ansicht? Habe ich das, was ich von anderen gehört und gelesen genau genug geprüft? Verstehe ich das, kann ich das nachvollziehen? Was ist wahr, was ist nicht wahr" und so fort. Und dann mit offenen Augen, Ohren und Herzen schauen, welche Antworten kommen - auch hier im Forum - das ist ja eine wahre Goldgrube, auch das, was Dir die anderen hier bereits geschrieben haben ist so voller Weisheit, wenn man es mit offenen Sinnen erspürt. Gerade wenn es Dich skeptisch macht ist es am wertvollsten, denn die Skepsis regt Dich zu noch tieferem Selbsterforschen an. So wie ich Dich hier lese, bin ich sicher, daß Du das alles bereits selbst weisst.
Die Hinweise sind nicht in den Worten und Gedankengängen sondern in dem, was sie in Dir zum Schwingen bringen. Grade auch die unbehaglichen Schwingungen zeigen sehr klar zu Gott, grade da, wo es sich unangenehm anfühlt, wo Widerstand ist, da ist eine Begrenzung, eine VOrstellung oder ein hindernder Gedanke und genau darauf wird Gott Dich immer wieder hinführen: schau, da ist eine Begrenzung, die uns voneinander fernhält, da läufst Du falsch, dort ist eine irrige Meinung, ein Verhaltens- oder Gefühlsmuster usw.
Wenn Du genau diese inneren Widerstände anschaust, wirkt Dein Schauen wie eine Bombe, die den Widerstand wegsprengt. Um die "Stimme Gottes" zu hören - der der einzige ist, der Dir die Warum-Frage und die anderen Fragen beantworten kann - musst Du dieses Schwingen in Dir spüren und gleichzeitig schwingt es dann auch in den Worten, die Du von aussen hörst oder liest. Und so durchdringt Gott nach und nach die ganze Welt gleichzeitg von innen und aussen, indem er Deinen Verstand öffnet und durchlässig macht.
Gott wird Dir je besser helfen, je offener Du schaust und je kritischer Du alles selbst hinterfragst, auch und vor allem ihn selbst. Wie schon gesagt: Gott will genau so zu Dir so wie Du zu ihm willst.
Vielleicht hast Du das früher sogar besser gewusst als jetzt?
Warum bist Du vom "Glauben abgefallen", wie war Dein Glaube früher, das würde mich interessieren?
Jetzt zu Deiner Frage "warum". Warum bin ich gerade jetzt hier in diesem Körper und da draußen sind die anderen.
Die Warum-Frage kann man meiner Meinung nach auf zweierlei Art analytisch angehen:
1. Ich nehme an, daß es eine Antwort auf diese Frage gibt, diese kenne ich jetzt noch nicht, werde sie aber in Zukunft kennen.
2. Ich nehme an, daß diese Frage keine Antwort hat. Damit fällt die Frage weg.
Wenn Du Dich mit dem Verstand für eine der beiden Varianten entscheidest, wirst Du immer in Widersprüche verwickelt werden. Die Annahme, daß die Antwort irgendwann in Zukunft gefunden wird impliziert, daß das Sein jetzt noch keinen für Dich erlebbaren Sinn hat. Wie kann aber das Sein (oder Gott) perfekt sein, wenn er seinen Sinn erst noch erreichen muss? Wenn die Warum-Frage eine absolute Antwort hat - und das sollte sie, sonst wäre es nur eine Vorstellung - muss diese jetzt und hier für jeden sichtbar und offenkundig sein. Denn sonst hätten wir es mit einem sadistischen Gott zu tun, der uns aus reiner Bosheit in unserer Unwissenheit zappeln lässt. Wozu? Das macht keinen Sinn.
Entscheidest Du Dich für die zweite Variante wird es ebenfalls knifflig: Ich kann zwar nach dem Warum fragen, aber es gibt keine Antwort darauf. Wozu frage ich also?
Für mich ist die natürlichste Antwort auf die Warum-Frage in Bezug auf das Sein: Ich weiss es nicht.
Weder weiss ich, ob ich die Antwort eines Tages erhalten werde, noch weiss ich, ob es darauf wirklich keine Antwort gibt. Was kann man also weiter tun?
Das einzige, was Du sicher hast, ist die Gewissheit, daß Du es momentan nicht weisst. Was passiert, wenn Du dieses "ich weiss nicht" genauer untersuchst? Ganz einfach: Du prüfst es einfach weiter, es bleibt Dir nichts übrig: Du fragst z.B.: welchen Sinn hat es, daß mir dieses und jenes Leid widerfahren ist? Antwort: ich weiss es nicht. Warum ist es so, daß das Ich gerade in diesem Körper steckt? Ich weiss es nicht. Warum bin ich kein anderer? Ich weiss es nicht. usw. usw. Es läuft immer darauf hinaus. Selbst wenn Du fragst: Warum ist jetzt dieser Stuhl hier und dieser Tisch da? Oder: warum wird es hell, wenn ich den Lichtschalter drücke?
Für all diese Fragen - und seien sie auch noch so banal - haben wir kein letztes Wissen. Wir haben Erklärungen, Modelle, Vorstellungen, Theorien, Begriffe mit denen wir uns in unserer relativen Welt mehr oder weniger zufrieden geben können, solange sie funktionieren, oder auch nicht. Aber wir kommen nie auf einen letzten Grund.
Warum ist das so?
Ich weiss es nicht.
Angenommen, Du hast das jetzt so lange durchgekaut, bis Dir endgültig klar ist, daß Du darüber nicht hinauskommst. Dass Du wohl oder übel damit leben musst, daß Du absolut nicht weisst, warum irgendwas ist, wie es ist. Was dann?
Du kennst bestimmt das Spiel, auf daß schon die kleinen Kinder irgendwann kommen: warum ist die Banane krum? Warum hören sie irgendwann auf, weiter zu fragen? Weil sie noch auf ganz natürliche Art mit diesem "ich weiss es nicht" zurecht kommen. Sie gehen nicht Abends mit dieser Frage ins Bett und beschäftigen sich am nächsten Tag weiter damit, sondern sie beschäftigen sich mit dem, was grade so ansteht. Das Warum ist für sie noch keine große Sache.
Genau dahin kann uns dieses "ich weiss es nicht" zurückführen, wenn wir es erlauben: zurück zum Ursprung, wie damals als Säugling, nur mit Bewusstsein: leeres Bewusstsein, daß es selbst ist - grundlos, unbegründbar, abgrundtief, frei und offen.
Viel Glück!
Haris