Jedenfalls hat mich das zun Nachdenken gebracht und mir will jetzt um den besten Willen nicht mehr einfallen, warum Adam und Eva nicht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse kosten durften. Mir fällt da auch intuitiv gar kein Grund mehr ein, warum die zwei nicht so viel wissen durften wie Gott oder warum dieses Wissen ausgerechnet in einem Baum abgespeichert war. Ist da einer von euch Genesis-sattelfest?
Liebe Bellona,
Oje - das ist ein Riesenthema (bzw. mehrere Riesenthemen) ...
Das Alte Testament (und damit auch die Genesis) besteht aus verschiedenen Erzähltraditionen, die ineinandergeschachtelt worden sind. Sie sind zu unterschiedlichen Zeiten geschrieben und verfolgen unterschiedliche Ziele.
So gibt es in der Genesis ZWEI Schöpfungsberichte. Im ersten ist von dem Baum der Erkenntnis nicht die Rede ! Da stellt Gott Adam und Eva ALLE Bäume und die ganze Welt zur Verfügung - da ist auch nicht von Gut und Böse die Rede. "Seid fruchtbar und vermehret Euch und freut Euch an der GANZEN Welt." - das ist zutiefst lebensbejahend.
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Im Jüdischen gibt es eine starke Tradition, die alles Unheil, das die Juden erlitten haben, mit ihrem Ungehorsam gegenüber Gott zu erklären versucht - in der Hoffnung, dass alles gut wird, wenn das jüdische Volk gottesfürchtig wird.
Aus dieser Tradition ist der zweite Schöpfungsbericht entstanden. Der entscheidende Punkt ist hier, dass die Schlange auftritt. (Die Schlange war ein göttliches Symbol anderer Kulte, die von Völkern neben den jüdischen Stämmen praktiziert wurden.) DER Fehler von Adam und Eva ist hier, dass sie auf die Schlange (= andere Götter) hören und nicht auf Jahwe (dem jüdischen Stammesgott - in den Anfangszeiten des Judentums war es noch selbstverständlich, dass Jahwe ein Stammesgott neben anderen war, der Monotheismus kam erst später). Und das wird den Juden eingetrichtert : WEHE, ihr hört auf andere Götter. Das bringt Unheil über Euch.
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Kompliziert wird es dadurch, dass hier ein alter Mythos zur moralisierenden Lehrgeschichte verbogen wird. Den Mythos selbst gibt es überall : er taucht auch in unseren Märchen auf :
Einem Kind wird etwas verboten - und im Laufe des Älterwerdens wird das Kind von einem archaischen Wesen dazu "verführt", dieses Verbot zu übertreten. Es wird aus dem kindlichen Paradies verstoßen und durch viel Leid reift es zum König / zur Königin. Die Übertretung des Verbotes ist ein notwendiger Schritt des Reifungsprozesses zum "König" / zur "Königin". (siehe zB. das Märchen vom "Eisenhannes", "Frau Holle" etc.)
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Warum Schlange und "reife Frucht" (Äpfel kommen in der Geschichte NICHT vor) ? Es sind Symbole der Reifung und Fruchtbarkeit, der Ganzheit und Heilung - klassische Bestandteile der (Fruchtbarkeits)Kulte, von denen die jüdischen Stämme umgeben waren.
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Das macht die Geschichte vom "Baum der Erkenntnis" so unbefriedigend und zwiespältig : dass hier ein lebensbejahender und lebensdienlicher Mythos mit einer extrem moralisierenden Grundhaltung vermengt wird, die nichts anderes will als : "Bleibt Eurem Stammeskult treu und geht nicht zu anderen (Fruchtbarkeits-)Kulten fremd."
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Insoferne ist es gut, das zu trennen :
- Worum geht es in dem Ur-Mythos von der "verbotenen Frucht" ?
- Wie wurde dieser Ur-Mythos in der Genesis verwendet und verändert - und warum ?
Gawyrd