52. Reue
Transformation Tarot Card
Reue
Als Shibli die Rose warf
Wenn du jemandem Unrecht getan hast, gehe zu ihm hin. Sei demütig und bitte ihn um Vergebung. Nur dieser Mensch kann dir vergeben, kein anderer. Und erinnere dich daran, dass das Wort „Sünde“ eigentlich „Vergesslichkeit“ bedeutet. Nun vergiss es also nicht wieder und tu es nicht wieder; sonst wäre es sinnlos, um Vergebung zu bitten. Nun sei achtsam, sei wach, sei bewusst. Und tu nicht dasselbe noch einmal. Denk daran, nicht denselben Fehler wieder zu begehen. Dies sollte dein fester Beschluss sein. Dann bist du wirklich reumütig.
Reue kann sehr, sehr tief gehen, wenn du die Verantwortung verstehst. Selbst eine kleine Sache – wenn du sie bereust, und zwar nicht nur verbal, nicht nur an der Oberfläche, sondern wenn sie bis tief an deine Wurzeln geht, wenn dein ganzes Wesen zittert und bebt und weint, wenn du Tränen fließen lässt – nicht nur aus deinen Augen, sondern aus jeder Zelle deines Körpers, dann kann Reue zu einer Verwandlung führen
Der Name Shibli wurde zum ersten Mal bekannt, als sein Meister, der Sufi Mansur al-Hillaj, umgebracht wurde. Viele Menschen sind in der Vergangenheit von den angeblich Frommen ermordet worden. Jesus wurde gekreuzigt, aber einen solchen Mord, wie er an Mansur begangen wurde, hat es niemals gegeben. Zuerst wurden ihm bei lebendigem Leibe die Beine abgehackt, dann die Hände. Schließlich wurde ihm die Zunge abgeschnitten und die Augen ausgestochen – und er lebte immer noch. Er wurde wirklich zerstückelt.
Und welches Verbrechen hatte Mansur begangen? Er hatte gesagt: „An’al Hak,“ das bedeutet: „Ich bin die Wahrheit, ich bin Gott.“ Alle Seher in den indischen Upanischaden erklären dasselbe: „Aham Brahmasmi – ich bin Brahma, das Höchste Selbst.“ Die Moslems konnten so etwas jedoch nicht dulden.
Mansur ist einer der größten Sufis gewesen. Als man ihm die Hände abhackte, schaute er zum Himmel, betete zu Gott und sagte: „Du kannst mich nicht täuschen. Ich kann dich in allen, die hier anwesend sind, sehen. Du willst mich täuschen, indem du als Mörder kommst? Als mein Feind? Aber ich sage dir: Egal, in welcher Form du kommst – ich werde dich erkennen, denn ich habe dich in mir selbst erkannt. Nun ist eine Täuschung nicht mehr möglich.“
Shibli war ein Weggefährte und Freund Mansurs. Die Leute bewerfen Mansur mit Steinen und Dreck, um ihn zu verspotten, und Shibli steht mitten unter ihnen. Mansur lacht nur und lächelt, aber plötzlich beginnt er zu weinen und zu klagen, denn Shibli hat ihm eine Rose zugeworfen. Jemand fragt ihn: „Was ist los? Bei den Steinen lachst du – bist du verrückt geworden? Und Shibli hat dir nur eine Rose zugeworfen. Warum heulst du denn jetzt?“
Mansur sagt: „Die Leute, die Steine werfen, wissen nicht, was sie tun. Aber dieser Shibli muss es wissen. Für ihn wird es schwierig, Vergebung von Gott zu bekommen. Den anderen wird vergeben,“ sagte er weiter, „denn sie handeln aus Unwissen; sie können nicht anders. In ihrer Blindheit ist das alles, was sie tun können. Aber bei Shibli – einem Mann, der weiß – ist es anders. Deshalb weine ich für ihn. Er ist der einzige hier, der eine Sünde begeht.“
Dieser Ausspruch Mansurs verwandelte Shibli. Er warf den Koran und alle heiligen Schriften fort, und er sagte: „Das hat mir nicht geholfen zu verstehen, dass alles Wissen sinnlos ist. Nun werde ich das wahre Wissen suchen.“ Später fragte man ihn: „Warum hast du die Blume geworfen?“ Shibli erwiderte: „Ich hatte Angst vor der Menge. Wenn ich gar nichts geworfen hätte, dann hätten die Leute glauben können, dass ich zu Mansurs Gruppe gehöre. Sie hätten mir Gewalt antun können. Ich warf die Blume – es war nur ein Kompromiss. Mansur hatte Recht. Er weinte über meine Angst, über meine Feigheit. Er weinte, weil ich mich der Menge beugte.“ Shibli hat es jedoch verstanden. Die Tränen Mansurs wurden für ihn zur Transformation.
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56. Hingabe
Transformation Tarot Card
Hingabe
Miras Tanz im Tempel
Hingabe ist eine Form des Verschmelzens mit der Existenz. Sie ist keine Pilgerreise. Hingabe bedeutet, dass du alle Grenzen verlierst, die dich von der Existenz trennen. Sie ist eine Liebesaffäre. Liebe ist das Verschmelzen mit einer Person, die tiefe Intimität zweier Herzen, so tief, dass sie im selben harmonischen Rhythmus zu tanzen beginnen. Obwohl es zwei Herzen sind, ist es eine Harmonie, eine Musik, ein Tanz.
Was Liebe zwischen zwei einzelnen Personen ist, das ist Hingabe zwischen einer Person und der gesamten Existenz. Sie tanzt mit den Wellen des Meeres; sie tanzt mit den Bäumen, die in der Sonne tanzen; sie tanzt mit den Sternen. Ihr Herz antwortet auf den Duft der Blumen, auf das Singen der Vögel, auf die Stille der Nacht.
Hingabe ist der Tod der Persönlichkeit. Du lässt ganz von selbst los, was in dir sterblich ist; nur das Unsterbliche bleibt, das Ewige bleibt, das was niemals stirbt. Und natürlich kann das, was nicht stirbt, auch nicht von der Existenz getrennt sein – denn sie stirbt niemals, geht immer weiter, kennt keinen Anfang und kein Ende. Hingabe ist die höchste Form der Liebe.
Ihr wisst, dass Jesus sagte: „Gott ist die Liebe.“ Hätte dies eine Frau gesagt, dann hätte sie gesagt: „Die Liebe ist Gott.“ Gott muss an zweiter Stelle kommen, denn er ist nur eine geistige Hypothese. Aber die Liebe ist eine Wirklichkeit, die in jedem Herzen pocht.
Mira war eine erleuchtete Frau. Nur sehr wenige, mutige Frauen haben es allerdings geschafft, sich der Unterdrückung durch das Gesellschaftssystem zu entziehen. Sie konnte es schaffen, da sie eine Königin war. Allerdings versuchte ihre eigene Familie sie umzubringen, denn sie tanzte auf den Straßen und sang dabei Lieder. Das konnte die Familie nicht dulden.
In Indien, und ganz besonders in Rajasthan, werden Frauen sehr unterdrückt. Und Mira, eine sehr schöne Frau, tanzte auf der Straße und sang voller Freude für Krishna! In Vrindavan gibt es einen Tempel, wo Krishna gewohnt hatte. Zu seinen Ehren wurde ein großer Tempel gebaut, und diesen Tempel durfte keine Frau betreten. Die Frauen durften nur draußen sein; sie durften nur die Stufen vor dem Tempel berühren. Die Statue Krishnas im Inneren sahen sie nie, denn der Priester hielt sich eisern an die Regel.
Als Mira kam, war der Priester auf der Hut, denn er fürchtete, dass sie den Tempel betreten könnte. Zwei Männer mit Schwertern – mit gezogenem Schwert! – wurden vor dem Tor aufgestellt, um Mira am Betreten des Tempels zu hindern. Als sie jedoch kam – und nur selten gibt es Menschen von einer solchen Ausstrahlung wie eine duftende Brise, ein so wunderschöner Tanz, so wunderbare Lieder, die das ausdrücken, was man nicht in Worte fassen kann… Beide Männer mit ihren Schwertern vergaßen, warum sie dort standen, und Mira tanzte in den Tempel.
Für den Priester war es gerade die Zeit, Krishna ein Blumenopfer darzubringen. Sein Tablett voller Blumen fiel zu Boden, als er Mira erblickte. Voller Zorn sagte er zu Mira: „Du hast ein Jahrhunderte altes Gebot gebrochen!“
„Was für ein Gebot?“ fragte sie.
„Keine Frau darf diesen Ort betreten,“ erwiderte er. Und ihre Antwort ist unglaublich – das ist wirklich Mut! Mira sagte: „Wie bist du dann hier hereingekommen? Außer dem Einen, dem höchsten Geliebten, sind doch alle Frauen! Glaubst du, es gibt zwei Männer auf der Welt? Du und der Höchste? Vergiss den ganzen Unsinn!“
Sie hatte sicherlich Recht. Ein weibliches Herz sieht in der Existenz ihren Geliebten – und die Existenz ist eins