Ich finde man muß in diesem Zusammenhang auch für sich klären: welche Bedeutung hat eigentlich das Leben, und welche Bedeutung hat eigentlich der Tod? Wie ist die Grenze zwischen beiden Aspekten Diesseits und Jenseits gestaltet und wie ist es zu dieser Annahme des Getrenntseins beider Aspekte gekommen?
Ich nehme an, daß wir, wenn wir entsprechend aufgewachsen wären und eine andere, leidfreie Vorstellung vom Leben und vom Tod hätten, genauso gut wissen könnten: wer lebt, ist jetzt hier im Diesseits. Wer dann stirbt, der geht hinüber in einen anderen Teil, der durch den Tod erreicht wird, das Jenseits. Und dort ist man genauso glücklich, vielleicht sogar noch glücklicher, denn man leidet ja nicht durch das Sein in der Materie und unter ihren Bedingungen. Dann kann man den Tod wohl ganz einfach akzeptieren so, wie er ist: ein Mensch hat gelebt und geht nun hinüber. Zunächst mal ist diese Information ja neutral.
Stattdessen haben wir oft Angst, fühlen uns verlassen, haben Sehnsucht. Ich persönlich halte das für ein erlerntes Gefühl, das uns vorgelebt wird in unserer Kultur hier. In diese vorgelebten Gefühle inbegriffen ist oftmals auch die Angst vor dem eigenen Tod und die Ungewissheit, was wohl danach kommen wird. Weiß ich es für mich selber nicht, wie es werden wird, weil mir keine positive Kultur im Umgang mit dem Tod beigebracht wurde, so kann ich es auch nicht für Andere wissen und hoffe so auf ein Zeichen. Bin vielleicht sogar darauf angewiesen, um mich nicht so sehnsüchtig und verzweifelt zu fühlen.
Man sagt, die Verstorbenen lebten in uns weiter. Warum ist das nicht immer Trost genug, daß wir uns erinnern können? Ist Trauern nicht ein endlicher Prozeß, der mit dem Loslassen aufhört und in's Erinnern münden sollte? Dankbar für die gemeinsam verbrachte Zeit? Und übrigens auch in der Gewissheit oder im Glauben an ein Wiedersehen nach unserem eigenen Tod, wenigstens möglicherweise?
Ich frage mich auch, was die Aufgabe eines Hinterbliebenen ist in diesem Zusammenhang. Erleben wir durch Zeichen von Verstorbenen nicht eher Leben, und nicht den Tod? Ist das alles nicht eher unser eigenes Leben, unsere eigene Wahrnehmung, die trügen kann und selten ein Beweis für etwas ist? Wie kritisch dürfen wir sein bezüglich unserer Wahrnehmungen bzw. wie kritisch dürfen wir uns selbst hinterfragen, wenn wir traumatisiert sind, weil wir keine Umgehensweise mit dem Tod kennen? Wann dürfen wir letztlich zufrieden sein mit unserem eigenen Trauerprozeß? Wie finden Lebende und Tode Frieden in dieser Angelegenheit, so daß die Trennung von Diesseits und Jenseits letztlich ein friedliches Angebot des Lebens ist, das den Lebenden dazu dienen kann, den Toten zu dienen und vielleicht ja auch andersherum?
lg