Im Garten

LoneWolf

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Wien
Da sagt Freund G. also zu mir: "Willi ...", sagt er, "... du hast überhaupt keine Struktur. Du brauchst ein bisserl mehr Struktur." Freund G. ist Künstler, malt Kreise und Kurven, baut Objekte aus Lehm und gräbt viel in seinem Garten rum. Die Erde ist sein Lieblingsmaterial. Ich glaube, er liebt die Erde.

Er bewegt seinen Körper immer recht langsam und bedächtig und liebt keine elektrischen Sägen. Sie machen zu viel Stress, sagt er. Und zu viel Lärm. Wenn er mit der Handsäge ein Brett zersägt streift sein Blick durch die Gegend und ich habe das Gefühl, als wäre das was um ihn ist auch in ihm. Mir scheint, dieser Garten ist sein Universum und dieses Universum befindet sich in ständiger Veränderung.

Ich arbeite nicht viel in diesem Garten. G. will mich zwar immer animieren meinen Körper zu bewegen, an seinem Lehmhüttenprojekt mitzuwirken, doch am liebsten sitze ich nur da und schaue Löcher in die Luft und verbinde die einzelnen Eindrücke in mir zu einem Gesamtbild. Und er ist der Gott in diesem Universum. Wenn ich durch den Garten geh, muss ich immer darauf achten, nicht aus versehen auf edle Kräuter zu steigen. Als Großstadtneurotiker habe ich keine Kenntnis über Permakultur. Hier wächst alles wie wild durcheinander. Aber es ist seltsam: Niemand hat mich unterwiesen, ich hab keine Ahnung was was ist. Ich bin wie ein Idiot. Und doch ist es, als würden die Pflanzen zu mir sprechen. Immer, bevor ich einen falschen Schritt setzen will spüre ich eine Kraft die von der Pflanze ausgeht und meinen Fehltritt korrigiert bevor er passiert. Der Garten spricht in gewisser Weise zu mir.

"Du brauchst mehr Struktur, Willi, dir fehlt der Plan", sagt G. während er vor einer seiner kleinen Lehmskulpturen steht und es kommt mir vor als würde er warten, dass sich der kleine Lehmzwerg - im Grunde nur die Mütze eines Zwerges - zu bewegen beginnt.

G. ist zweifellos besser mit seinem Körper verbunden als ich. Der Bewegungstakt seines Körpers ist in Harmonie mit dem Takt in seinem Universum. Hier gibt es keine Zeit. Einmal hat er mir sogar die Handsäge weggenommen, weil ich ihm ein Brett zu schnell durchgesägt habe. Ich bin ganz anders. Ich bewege meinen Körper fast überhaupt nicht mehr. Und wenn es sich nicht vermeiden läßt, weil alltägliche Übungen zur Pflicht rufen, dann treibe ich ihn wie einen Sklaven durch die Gegend. Hier gibt es kein langsam. Ich bin wie ein Blitz und wenn ich den Körper in Bewegung setze muss er 4 Dinge gleichzeitig erledigen und gepeinigt schreit er um Hilfe: "Gnade!" ruft er zu mir herauf, der Körper "Laß Gnade walten. Ich kann nicht an 4 Orten zur selben Zeit sein, so wie du. Ich bin aus festem Material, existiere in der Zeit und muss schwere Gewichte durch dieses 3D-Panorama schleppen, während du nur den ganzen Tag durch die Gegend fliegst und mich wie einen Sklaven schindest." So spricht der Körper dann zu mir. Um Gnade winselnd und gleichzeitig belehrend und mich erinnernd.

Da ich innerlich natürlich leer und doch auch voll der Liebe bin, erkenne ich sofort meinen Trugschluss und setze ihn vorsichtig und liebevoll auf die Holzbank vor dem Haus und erlaube ihm, dass er einen tiefen Schluck Multivitaminsaft trinkt, herzhaft in die Wurschtsemmel beisst und sich einen Glimmstengel zwischen die Lippen klemmt.

"Du brauchst mehr Struktur" höre ich wieder den G. leise in mein Ohr flüstern.

"Wozu brauch ich Struktur mein Freund?" flüstere ich zurück. "Du bist anders als ich G. du bist ein Künstler, immer voll kreativer Ideen und voller Schaffensdrang. Ich aber habe keine Ideen. Ich bin innerlich völlig leer. Ich bin nur ein Auge, das deine Werke sieht - nicht immer versteht - aber ich sehe sie und nach und nach versteh ich sie auch. Ich habe dein Kunstwerk betreten, bin nur ein Gast und ich sehe immer etwas neues hier in deinem Universum. Ich habe keine Ideen, keinen Schaffensdrang - ich sehe - die Welt ist bereits erschaffen und sie erschafft sich ständig weiter, ich kann sie nicht verbessern. Im Moment habe ich keine Ideen dazu. Ich bin selbst nur eine Idee, eine Kreation eines noch viel größeren und älteren Künstlers. Ein Auge bin ich und ein Ohr, nicht mehr und nicht weniger. Die Welt ist gut so wie sie ist und den Krieg der hier tobt und das Unrecht, das außerhalb von deinem Universum passiert habe nicht ich erfunden und kann es auch nicht beenden. Erst wenn mir der große Künstler im All eine Idee schickt, werde ich meinen Körper dazu anhalten, sich der Idee gemäß zu bewegen. Und bis es soweit ist gebe ich mich damit zufrieden, ein Auge und ein Ohr zu sein in dieser Welt. Ein Sinn ohne Schaffensdrang."
 
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Danke, Karthasix, war schön zu lesen.
Deine feine Wahrnehmung und die Gabe
dein Erleben zu formulieren
faszinieren mich immer wieder.

Da ich mich gerade mit der Kabbala befasse,
kommt mir die Verbindung
von Chochmah und Binah in den Sinn
Chochma als in diesem Fall schaffendes Prinzip
Binah in diesem Fall als Auge und Ohr, rezeptives Prinzip.
Ist ja auch was. Einfach wahrnehmen.

:liebe1: K.S.
 
Hallo Karthasix

Wenn man Auge und Ohr ist, kommen die Ideen auf einen zu.
Aber manchmal bin ich mir nicht sicher, ob es nicht sogar schöner ist, einfach nur Auge und Ohr zu sein,
die Dinge in sich aufzusaugen und zu warten bis ein Bild entsteht.

Liebe Grüße
Drachenei
 
Hallo:)

Danke euch für den Kommentar. Bin in der tat dahingekommen, dass es in meinem persönlichen Fall besser ist, mal nichts mehr mit Vorsatz oder Nachdruck zu erschaffen. Erst müssen die aufnehmenden Sinne geklärt sein um zu sehen, was bereits ist. Dann wird irgendwann die Frage aus mir auftauchen: Was kann ich noch tun und dann werden vielleicht auch Ideen kommen. Aber ich bin nicht auf der Jagd nach ihnen.

Glaub ich gar nicht so sehr, dass es schöner ist nur aufnehmender Sinn zu sein. Ich glaub, weder ist es schöner noch weniger schön, als "nur" Erschaffer zu sein. Ich verstehe diese Worte Chochmah und Binah zwar zum erstenmal, aber was Saraswati schreibt, entspricht in gewisser Weise meinem inneren Empfinden. Und ich sehe einen Entwicklungsweg vor meinem inneren Auge, der am Ende beides in einem Menschenwesen vereint. In meinem Freund G. sehe ich eine gute Verbindung von Chochmah und Binah. Ich dagegen bin eben ein eher einseitiger Binah-Typ. Doch das bereitet mir keine Sorge mehr weil ich ja mittlerweile auch den Grund dafür kenne. Aber das ist eine andere Geschichte :)
 
Guter Link, danke sehr :)

Dieses Moldauwasser is ja besonders schön, find ich. hmmm .... wär direkt interessant, wie das Wasser von der Donau aussieht. Ich war ja eh schon an der Moldau spazieren. War gute Atmosphäre da.
 
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"Du hast keinen Schaffensdrang...?" höre ich G. sagen, ".... das kann nicht sein. Jeder Mensch hat doch Talente und will damit arbeiten. Auch du hast Talente. Ich kann das sehen. Dir fehlt einfach nur etwas Struktur. Du hast keine Struktur., Wilhelm. Wir werden für kommende Woche einen Plan für dich anfertigen. Genau! Das werden wir machen."

Ein Schrei entringt sich meinen Lippen und G`s. Universum zerplatzt in Milliarden Splitter. G., der Gott in diesem Universum mutiert zum gestrengen Godfather, in der linken den Notizblock, in der rechten den Stift und beginnt zu notieren, was für mich am Plane steht. „Ich werde sterben“, schießt es mir durch den Kopf. „Ein fremder Geist will meinen Körper besetzen ....“ und G. der Gott wird kurzfristig zu einem Feindbild. "Halt ein, lieber Freund!" ruf ich ihm zu und entreiße ihm Stift und Block und ziehe ihn mit sanfter Gewalt neben mich auf die Holzbank. Ich will dir berichten, was ich erlebt und dir von meiner inneren Struktur erzählen, dass du nicht denken mögest, ich wär dem Treiben der Welt ganz hilflos ausgesetzt."

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Meine Struktur, lieber G. ist dieser Art: Ich bin ein Haus mit 7 Etagen und ich gehe getarnt als Auge in mir selbst auf und ab um stets nach dem Rechten zu sehen. Im 7. Stock, da bin ich zu Haus, weil da ist das größte Licht. Das macht mir Mut mal auszugehn und ich stürz mich in die Tiefe. Und dann mein Freund, dann wird es schwarz wie Nacht. Im 1. Stock, da öffne ich langsam wieder meinen Sinn und will aufs Neue werden. Im 6. Stock, da sehe ich, dass ich bin und wie ich werd, im 2. Stock folg ich dem Drang mich zu verbreiten und schreib im Esoforum Geistergschichten. Im 5. Stock, da treffen wir uns und reden über Gott, Welt und Werk, im 3. Stock begegnen wir uns wieder, du schaufelst deinen Garten um und ich pass auf, dass nix passiert. Und im 4. Stock ergeb ich mich der Liebe zu der schönen Welt. Im 7. hab ich vergessen dass ich werd, im 1., dass ich bin. Im 6. Stock hab ich vergessen, dass ich leb, im Zweiten leb ich, ohne mich zu sehn. Im 5. reden wir über dein Projekt und wir reden nur rum, ohne was zu tun; und im 3. Stock, da basteln wir an deiner Hütte ohne viel zu reden. So kommts, dass ich recht gern im 4. und zugleich in Allen bin. Das macht für mich den größten Sinn, weil ich da schön im Frieden und doch nicht ganz Alleine bin.

Und jetzt lieber G. singen wir ein Lied zusammen. Eins, Zwei, Drei ..... :gitarre: :megaphon:

Im 4. ist ein schöner Garten, darf nicht rein, ich muss noch warten. Muss erst sehen und muss lieben, was ich bisher hab vollbracht; denn ich hab auch einen Keller über den man nicht gern lacht. Die Riesenratten die da wohnen haben in meinem Namen; so manchem meiner Brüder schon; und mir selbst viel Weh gebracht. Drum gilt mein Blick dem 3. Stock und ich wandle gern an Sonnentagen durch die von Pest befreiten Zonen; denn schließlich möcht dem Stockwerk ich; auch gern ein wenig innewohnen. Und insgeheim, dass weiß ich ja; sind wir doch das ganze Haus; auch wenn wir`s jetzt vergessen haben, dass macht uns aber gar nix aus.

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Doch es gibt auch harte Tage, an denen ich nur Ratten jage. Was rätst du mir, mein lieber Freund? Wollen wir in den Keller gehen, ein wenig nach den Viechern sehn? Die kriegen so selten Licht zu Augen und sollen - wen würd das wundern - deshalb auch keinen Spaß verstehn.

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Emoticon, das Rattenkind


Ich bin ein kleines Rattenkind
Und würd so gern nach Oben geschwind.
Doch die da Oben wollen mich nicht leiden
Drum muss ich hier im Keller bleiben.

Sie meinen ich wäre böse, schiach und dumm
Das stimmt nicht ganz, komm bloß nicht rum.
Weit und breit gibt’s nichts zu sehen
Keine Wege kann man gehen.

Finster ist’s wie in einem Arsch
Hier soll ich leben, das macht mich barsch
Vor Wut muss ich mein Gsicht verreißen
Und tiefer mich im Gewölb verbeißen.

Bis in den Dritten zitterts rauf
Doch niemand macht die Türe auf
Ein Glück; kann keinen Spiegel sehn.
Ich würd glatt vor mir selbst vergehn.

Solche wie mich gibt’s hier gar viele
Und wir haben den Tag zum Ziele
Denn in der Liebe wollen wir leben
Im Licht bis ganz nach oben schweben.



....
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.............
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grüsse von der Mini-Ausgabe :winken1:

Wenn ich das von Freund G. lese, dann weiss ich, warum ich kein Schriftsteller bin.:weihna1
Hätte gar keinen Zweck, solange es dich gibt.:liebe1:

winkewinke eine Maus
grüsst den Karthasix zuhaus
 
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