Liebe Mia,
danke für Deinen Analyseversuch - du hast den Nagel zwar nicht am Kopf, aber doch teilweise getroffen.
Die Dominanz meiner Grossmutter war sehr gross und unser Verhältnis war kein ungetrübtes - es war eine Hassliebe in Reinkultur. Sie hat mich irrsinnig geliebt, sie hat mir aber auch irrsinnig wehgetan - und vice versa!ich hatte Zeit meines Lebens das Gefühl (was meine Grosseltern immer wieder unterstützt haben), dass ich ihr dankbar sein müsste, denn meine Mutter wollte mich nicht, hatte gedroht, mich beim Fenster rauszuschmeissen, weil ich ihr "passiert" war.
Meine Kindheit und Jugendzeit war geprägt von Zorn und Aggressivität (bis zum Jugendamt), weil ich nicht verkraften konnte, dass meine Mutter immer wieder ihre Versprechen gebrochen hatte und ich nicht einen jungen Papa und eine junge Mama hatte wie alle anderen. Dazu kam noch, dass sich die Omi in mir verwirklichen wollte und ich ständigen Erpressungen ausgesetzt war (warum hast du nicht die beste Klassenarbeit geschrieben - warum gibt es welche, die besser sind als du, du bist doch so gescheit etc.). Ich war zwar von Natur aus ehrgeizig, aber das konzentrierte sich auf Gebiete, die mich interessierten. Von Kind auf war ich gewohnt, das mein Tun und Lassen ständig zensuriert wurde. Ich hasste sie aus vollem Herzen, machte ständig das Gegenteil, was sie wollte und war todunglücklich. Das änderte sich erst, als sie, als ich 21 war, ins Pensionistenheim zogen und ich nicht mehr ständig unter Kontrolle war.
Unser Verhältnis verbesserte sich sehr, obwohl mich ihre ständige Sorge sehr nervte. die ständigen Anrufe, am Abend, ob ich gut heimgekommen bin, in der Früh, um sicherzugehen, dass ich nicht tot in der Wohnung lag etc. (lange Zeit rief ich sie ja an, wenn ich nach Hause kam, das stellte ich dann irgendwann mal ab). Richtig abgenabelt (oder so glaubte ich) habe ich mich, als ich nach Amerika zog, das war mit 26.
In den letzten Jahren war es wieder ärger geworden, speziell als meine Mutter 2001 starb. Und meine Mutter (zu der ich nie ein Verhältnis aufbauen konnte und wollte, weil sie mich so oft in Stich gelassen hatte und die oft jahrzehntelang verschwunden war und nach langer Absenz 1994 wieder überraschend in unserem Leben auftauchte) war tagelang tot in der Wohnung gelegen..Der Tod meiner Mutter traf mich sehr hart, aber nicht weil ich sie so vermisste (ich hab meiner Mutter bis dato keine Träne nachgeweint, weiss nicht mal, wo sie begraben ist..), sondern weil es so viel unfinished Business zwischen uns gab. Um das zu verarbeiten, fing ich an, alle meine Erinnerungen an meine Kindheit und an meine Jugend aufzuschreiben und da kam der alte Hass gegenüber meinen Grosseltern,speziell meiner Omi gegenüber, wieder hoch. Ihre Erpressungen, ihre ständige Kontrolle. Ich musste den Prozess abbrechen, um mich nicht zu ruinieren, denn zu diesem Zeitpunkt hatte ich ein gutes Verhältnis zu meiner Grossmutter aufgebaut und wir waren Freundinnen. Ich besprach das sehr wohl mit ihr, wie sehr sie mich immer unter Druck gesetzt hat und sie weinte nur und sagte, sie hat das nicht gewollt, sondern immer nur das Beste für mich..
Was soll man einer 85jährigen noch vorwerfen??
In den letzten Jahren wurde der Telefonterror wieder häufiger, sie wussten natürlich, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb und wollten mich ständig sehen und bei sich haben (erschwerend kam dazu, dass wir nur 10 Minuten auseinander leben) ABer mir war das zuviel. Ich blockte speziell die letzten paar Jahre ab, umarmte sie kaum mehr und musste mir dauernd anhören "wie sehr ich mich verändert hatte".
Dennoch: wenn sie mich gerufen hat, bin ich gekommen (das war vermutlich sogar eine gewisse Art der Hörigkeit). Nicht immer gleich, aber doch. Es kamen Anrufe am Handy, dass es ihnen so schlecht ging und ich doch dringend kommen sollte - ich reisse mich von einer dringenden Konferenz los und fahr zu ihnen. Und was ist? Sie sitzen beide quietschvergnügt vorm Fernseher..reine Panikmache. Das war der Tag, vor dem das Feuer ausgebrochen ist, ein Freitag. Ich kämpfte um diese Zeit gerade um meinen Job, weil mein Chef gegangen worden war und die Obrigen alles daran setzten auch mich als seine engste Mitarbeiterin loszuwerden. Dh ich konnte es mir nicht erlauben, ständig wegzurennen, nur weil mich meine Grosseltern riefen..(die Jobsituation hat sich gottseidank in der Zwischenzeit entspannt, aber ich hab da fast einen 2-Fronten-Krieg geführt).
Am Tag darauf, ich sass gerade bei Freunden in einem Tierheim in der Nähe von Wien ging wieder das Telefon. Omi, heulend: Bitte komm sofort, wir sind am Ende. Legt auf und den Hörer daneben, damit ich ja nicht zurückrufen kann. Ich war schon fast am Abwägen, bis dann meine Freunde meinten, ob ich mir das ewig gefallen lassen würde. So blieb ich. Schaute erst am Abend gegen 22h einen Sprung vorbei. Die Tür war nicht versperrt, sie schliefen friedlich, also legte ich ihnen nur die Zeitung am Tisch und ging wieder. Und um halb fünf in der Früh kommt dann der Anruf der Direktorin des Heims, dass in der Nacht bei ihnen ein Feuer ausgebrochen war und dass sie beide im Spital seien...
Ich fuhr hin und Opa beschuldigte mich sofort "dass ich daran schuld wär, denn wenn ich gekommen wär, hätte er mir gesagt, ich solle den Stecker des Ventilators rausziehen". Ich rannte heulend aus dem Spital - Omi war nicht ansprechbar, im Schock. Tatsache ist, dass der Opa den alten Ventilator selbst angesteckt hatte (aber nicht aufgedreht hatte) - und er hätte es wissen müssen, so was altes nicht in Betrieb zu nehmen, denn schliesslich war er mal Elektriker.
Ja, und kurz bevor sie starb (aber es nicht ahnte und sich schon aufs Heimkommen freute), machte sie sich noch solche Sorgen um den Opa (der die 14 Tage, wo ich jeden Tag zu ihr ins Spital fuhr, das am Ende der Stadt war, total eifersüchtig war, dass ich nicht auch jeden Tag zu ihm kam, denn er war schon wieder im Pensionistenheim).
Opa hat mich in meiner Trauer nie unterstützt und er redet auch nie von ihr, obwohl sie ihm fast 70 Jahre lang bedient hat wie einen Pascha. Somit betrachte ich ihn nicht wirklich als eine Verbindung zu ihr, um im nachhinein noch Dinge zu "glätten".
Zu Opa ging ich, weil ich meinte, es Omi schuldig zu sein. Und ich dachte, dass er ihr in 2 oder 3 Monaten nachfolgen würde. Und während dieser Zeit würde ich die 3-4 mal Besuche in der Woche schon aushalten. Er hängt sehr an mir, was ich nicht wirklich in demselben Ausmass erwidern kann. Wir sind uns zwar in den 16 Monaten etwas näher gekommen, aber ich liebe ihn nicht. Andrerseits hält mich mein Pflichtgefühl davon ab, jetzt plötzlich die Besuche auf ein Minimum zu reduzieren oder ihn ganz in Stich zu lassen. Die Schwestern sagen mir, er redet von kaum was anderem als mir!
Nur es ist viel vorgefallen. Als ich angefangen habe, anlässlich des Tods meiner Mutter über meine Kindheit und Jugend nachzudenken, sind mir viele Sachen eingefallen, die ich verdrängt hatte. Ich schliesse unter anderem sexuelle Belästigung nicht aus - aber ich bin nicht sicher (will angesichts der Lage gar nicht sicher sein!).
Das alles wirft mich in ein Wechselbad der Gefühle. Ich will ihn einerseits nicht mehr sehen, um nicht dauernd Zweifel zu haben (und was will ich einem 98-jährigen jetzt vorwerfen?), aber wenn er weg ist, wars das. Es gibt nur mehr eine weitschichtige Cousine.
So, das war eine lange Geschichte..jetzt muss ich wieder was arbeiten.
LG
Namikwa