In Wahrheit geht es ja noch weiter: ich habe den Kontakt zu diesem Menschen auf Eis gelegt, weil ich mich diesem Verhalten (=mich verletzen, ohne es zu verstehen, auch wenn man es der Person erklärt) nicht mehr aussetzen konnte. Es hat mich tatsächlich krank gemacht. Die Person ist dadurch, dass ich mich entziehe, sehr verletzt und versteht die Welt nicht mehr. Sieht sich als Opfer. Und ich habe deshalb Schuldgefühle. Weil ich dem Menschen weh tue. Mir geht es damit schlecht, weil mir der Mensch wichtig ist, und ich nicht möchte, dass er leidet, schon gar nicht wegen mir. Aber im Kontakt geht es mir noch schlechter, weil ständig meine Integrität verletzt wird.
In den Augen der Person liegt die Schuld für all den Schmerz bei mir.
Ich fühle mich schuldig.
Mache ich mich schuldig?
Das Thema mit der Schuld, Scham und Beschämung ist eine Sache.
Die andere Sache, um die es hier geht, ist diese:
Du übernimmst Verantwortung für Dich und die andre Person, indem Du Dich den Belastungen nicht mehr aussetzt, Deine Grenzen achtest und auch dafür sorgst, dass Du nicht auch noch aus Überbelastung eine Überreaktion an der anderen Person ausagierst bzw. die Situation noch schlimmer werden lässt.
In dieser Situation ist es offenbar so, dass die andere Person nicht in der Lage ist, aus welchen Gründen auch immer, sich wie eine reife und verantwortungsvolle Person zu verhalten.
Es erinnert mich ein wenig an die extremen Fälle von Autismus, also wenn jemand schlicht nicht über Durchschnittsempathie verfügt, weil die nicht vorhanden ist, oder an einen andren besonderen Zustand der Person, die es der Person unmöglich macht, anderen Menschen gegenüber ein angemessenes Verhalten zu zeigen, Grenzen zu respektieren, weder sich selbst noch anderen zu schaden.
In einer Interaktion mit diesen Menschen gibt es keine Schuldfrage. Das ist richtig. Dennoch muss man erkennen, dass in einer Situation, wo nur einer von beiden verantwortungsbewusst handeln kann, derjenige die Last der Verantwortung selbst trägt, für beide.
Sofern von Außenstehenden, die die Lage nicht zu erkennen vermögen und ggf. selbst in der Verantwortung zum Handeln wären, hier mit "Schuldzuweisungen" geurteilt wird, ist es wichtig, zu sehen, dass vielleicht die stets gebende Person mit den Gewissensbissen diejenige war, die in einer dysfunktionalen Konstellation mehrerer Personen die Last alleine trug, weil es einer Person unmöglich war und andre schlicht zu faul - ja, da kann man dann von Schuldabwälzung sprechen.
Ich habe jetzt nicht in der Tiefe gelesen und kenne die Konstellation nicht, doch ich habe den Eindruck, dass mit Deiner Schilderung und Deiner bangen Rückfrage, ob Du Dich schuldig machst, genau der Sachverhalt vorliegt, dass Du Dich um die gewisse Person bisher gekümmert hast, Deine eigenen Grenzen überschritten hast und dass dieses für andere ggf. beteiligte Personen, die auch hätten handeln können, einfach bequemer war, die Last einschließlich der unangenehmen Gefühle und Zuweisung auf Dich abzuwälzen.
Da ich so unglückliche Situationen kenne und entschlossen mich draus befreit habe (dauerte ein wenig) möchte ich Dir Mut machen, zu erkennen:
- dass Du ein Recht darauf hast, dass es Dir gut geht
- dass Du nicht verpflichtet bist, andere Erwachsene zu bemuttern, sondern das tun kannst für andere, was Dir möglich und richtig erscheint und was Dir nicht möglich ist, dies zu unterlassen
- dass es in der Situation sicherlich andere Nutznießer gibt, die von Deiner Seelenarbeit oder ganz praktischem Einsatz profitieren und die hier in erster Linie in der Verantwortung stünden, was sie aber fallen lassen können, solange Du "aushältst und aushilfst"
- dass Deine Schuldgefühle vielleicht auch daher rühren können, dass Du im Inneren weißt, dass Du anderen Menschen zwar bei einigen Dingen helfen kannst, aber nicht deren eigene Aufgaben für sie lösen kannst - und vielleicht gerade das doch versuchst - dabei machst Du Dich, um zwei Ecken gedacht, insofern schuldig, dass Du Dir Dein eigenes Glück schuldest und dem anderen seine Lernaufgabe selbst zu lösen schuldest
Man kann immer freundlich und herzlich bleiben, ohne aggressiv zu werden, und man kann dabei auf Grenzen hinweisen, die der andere aus Unwissenheit oder Unreife oder Uneinsichtigkeit verletzen will oder einfach macht. Dafür braucht sich niemand schuldig fühlen.
Denn wenn Du zum Beispiel einem Menschen sagst: Hey, ich bin total erschöpft, ich helfe Dir gern so viel ich kann, aber ich kann nicht mehr! Dann versteht das jeder Mensch und freut sich über Deine Ehrlichkeit und fühlt sich selbst erlöst. Denn das Rätseln ist vorbei.
LG
Eva