Inhalt
Der Text beschäftigt sich - wie oft bei Coetzee - mit dem Südafrika in der Post-Apartheids-Ära. Anders als in anderen Roman verzichtet Coetzee hier jedoch auf utopische Zustände und schildert die Geschichte eines gescheiterten Universitätsprofessors für Literatur. Der 52-jährige David Lurie lebt in Scheidung und merkt, wie seine Kräfte als Frauenheld langsam schwinden. Nach einem Skandal um eine kurze Affäre mit einer von ihm verführten (übertölpelten? überwältigten?) Studentin wird er entlassen, weil er zwar nichts leugnet, aber gewisse Formeln als Selbstentäußerungen nicht auszusprechen vermag. Er zieht zu seiner erwachsenen Tochter Lucy aufs Land. Lucy hat sich von ihrer Freundin getrennt und lebt nun alleine auf einer Farm. Als David zu ihr stößt erfährt er den Druck, dem die weiße Minderheit auf dem Land ausgesetzt ist.
Lucy wird von afrikanischen Marodeuren vergewaltigt, und ihr Vater vermag sich nicht da hinein zu finden, wie sie das hin nimmt (zumal nicht auf deren Ermitlung und Bestrafung dringt); ebensowenig, wie er sich in seine verführte/überwältigte Studentin hinein zu versetzen vermag; noch weniger kommt er sich selber auf den Grund, als eine in seinen Augen unattraktive ("hässliche") Frau ihn selber verführt/übertölpelt/überwältigt.
Neben den schockierenden Ereignissen, die aus Konflikten zwischen Schwarzen und Weißen sowie zwischen Männern und Frauen herrühren, setzt sich der Roman auch mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier auseinander, wenn David, da er sonst nichts zu tun hat, einer Freundin in ihrer Tierklinik hilft und langsam das Mitgefühl für sich entdeckt.
Ein weiterer großer Themenkomplex ist die Bedeutung der Kunst für den Einzelnen und die Welt. Als David aus der Lehr- und Forschungsmaschinerie der Universität ausgeschlossen wird, beginnt er, endlich selbst kreativ zu sein. Im Laufe des Romans arbeitet er fortschreitend an einer Oper über Lord Byron, den romantischen Dichter.
Diese komplexen Themenstränge knüpft Coetzee zu einer nur oberflächlich einfachen Story zusammen. Seine Sprache ist klar, prägnant und fast kalt, dem zynischen Protagonisten David Lurie aber durchaus angemessen. Diese literarische Leistung Coetzees wurde 1999 mit dem Booker Prize geehrt. Im Jahr 2003 erhielt Coetzee den Nobelpreis für Literatur.
Der Titel des Romans - Disgrace - ist mit "Schande" nicht ganz genau ins Deutsche übersetzt; er meint auch "Ungnade". Er ist doppeldeutig: Lucy scheint geschändet worden zu sein, David aber scheint (vor Gott und den Menschen?) in Ungnade gefallen.