Es passiert immer mal wieder, dass wir Menschen für etwas verurteilen, was sie uns angeblich antun bzw. angetan haben. Ich für mich habe festgestellt, dass das so nicht stimmt. Die Menschen, die ich verurteile, zeigen mir meine Schattenseite und so muss ich ihnen eher danken dafür, wenn ich diese Erkenntnis bekomme.
Was der Andere mir angetan hat, das hat er mir tatsächlich angetan.
Das war eine Tat, die war nicht in Ordnung. Das steht als Fakt für sich.
Eine Tat, für die eine Bitte um Entschuldigung und Reue nötig wäre,
damit das Verhältnis zu dem Täter sich -vllt- wieder klären könnte.
Das ist die ganz normale Ebene des menschlichen Miteinanders, welches man sich friedlich wünscht, wo es aber auch zu schlechten Taten kommt, weil Menschen nicht nur rein und gut, sondern eben auch fehlbar sind. Diese Fehlbarkeit schönzureden und wegzuentschuldigen, wem würde das helfen?
Werden die Fehler aber offen benannt, kann man in Ruhe daran arbeiten, darüber reden, was in dem Täter vorging, was ihn antrieb, was
er braucht, um ein besserer Mensch zu werden, der sowas fortan nicht mehr tun wird. Und oft wird sich zeigen, daß der Täter selber mal Opfer anderer Täter war.
Dem leidenden Opfer einer Tat ein "du hast das quasi selber fabriziert" (oder wie sonst man es formulieren mag) hinzuknallen, funktioniert nicht. Und mit sowas einen auf erleuchteten Guru zu machen, ist geschmacklos. WENN man schon mit solchen Ideen kommt, dann bitte auch richtig! Und dazu ist erforderlich, daß die normale Opfer-Täter-Sicht AUCH gilt!
Darüber hinaus (!) kann man eine zusätzliche (!) Sichtweise anbieten.
Die geht von einer anderen Warte aus, quasi von weit oben aus einer
kühlen Beobachterperspektive, dem Ganzen wie einem Spiel zusehend.
An die kann ein Opfer herangehen, wenn es wieder gut stabilisiert ist.
Es kann sich in Erinnerung rufen, in welchem Zustand es selber war, bevor es zu der Tat kam. Wie es in die Lebenssituation geraten ist, die der Tat vorausging, diese möglich machte. Womöglich kommen Erkenntnisse wie: "ich bin bei diesem Mann geblieben, weil ich dachte, sonst will mich keiner, also bleibe ich besser bei dem als allein zu sein". Oder: "ich bin in diese Assigegend gezogen, weil ich mir einen besseren Wohnort nicht zugestanden habe und dachte, ich passe nur dort hin."
Da hat man dann etwas, woran man arbeiten kann. Am Selbstwertgefühl der Person nämlich. Wenn die Person selbst dann später sagt: "im Grunde kann ich dem Täter dankbar sein, daß er mich dazu brachte, mich endlich mal tiefer mit mir selbst zu befassen und mich um
mich zu kümmern. Jetzt wird es mir nachhaltig besser gehen." - das ist dann ein echter Erfolg für das einstige Opfer, eine gut genutzte Chance.
Umgekehrt aber daraus die Lehre zu machen: "du ziehst die Taten selber
an und hast es so gewollt ...", ist heikel und hat einfach Schwachstellen.