Hallo
Stimmt es, was der Dalai Lama und die Seinen über die chinesischen Untaten in Tibet seit 1950 zu erzählen haben? Nein, es stimmt nicht. Entweder es ist grob verzerrt, schlecht belegt, oder schlicht gelogen.
Eins vorneweg: Wenn man sich allein die Tatsache ansieht, daß China, der bevölkerungsreichste Staat der Erde, im Jahr 2000 88% aller Hinrichtungen weltweit vollzogen hat, dann kann es keine Frage geben, daß die Volksrepubklik China (wie jede andere Staatsform auf chinesischem Boden vorher) kein Problem mit den Menschenrechten hat, sondern ein Problem für die Menschenrechte ist. Das weiß die ganze Welt, und eine funktionierende Weltgesellschaft hätte die Aufgabe, auf die Abstellung dieser Mißstände hinzuwirken. Auch die Unterdrückungsmaßnahmen in Tibet nach dem Einmarsch 1950, während des Guerillakampfs 1958 1973, während der Kulturrevolution 1968 ff. würden nach einer Aufklärung und Bestrafung der Verantwortlichen verlangen. Aber die bestimmenden Teile der Weltgesellschaft, vertreten z.B. durch die G8-Staaten, die NATO, die EU etc. interessieren sich für Menschenrechte nur dann, wenn es ihren Interessen dient. So können diese Menschenrechtsprofis einerseits bei China andauernd die Einlösung fundamentaler Menschenrechte verlangen, um es publizistisch unter Druck zu bringen, und andererseits die Olympischen Spiele an Peking vergeben, weil man sich nach der enormen Masse an billig ausbeutbarer Arbeitskraft in VR China die Finger leckt. Die Menschenrechte interessieren vor allem so ehrenwerte Vertreter der Weltgesellschaft nur dann, wenn sie sich in Euro und Dollar rechnen. Ansonsten ist auf sie geschissen, genauso wie in China selbst.
Den Dalai Lama müßte man zunächst einmal fragen, wie er angesichts der Geschichte des tibetischen Buddhismus dazu kommt, sich über mangelnde Menschenrechte in Tibet zu erregen. Die zweite Frage müßte die sein, ob seine ständigen Vorwürfe eigentlich sachhaltig sind. Wie Colin Goldner belegt, sind sie das nicht. Zwei Beispiele.
1,2 Millionen
In Publikationen der westlichen Tibetfreunde, in persönlichen Gesprächen mit ihnen ist immer wieder zu hören, die chinesische Besatzung Tibets seit 1950 habe 1,2 Millionen Tibeter das Leben gekostet. Wenn nicht gar davon geredet wird, diese 1,2 Millionen Menschen seien von den Chinesen umstandslos ermordet worden, wird immerhin behauptet, sie seien in direkter Folge der chinesischen Präsenz in Tibet ums Leben gekommen. Wenn man die Tibetfreunde fragt, woher diese Zahlen stammen, wissen sie in aller Regel keine Antwort. C. Goldner hat nachgeforscht und eine Quelle gefunden:
"Wie die Exilregierung des Dalai Lama auflistet, seien zwischen 1949 und 1979 exakt 173.221 Tibeter und Tibeterinnen in chinesischen Gefängnissen zu Tode gefoltert worden, 156.758 seien hingerichtet worden, 432.705 seien im Freiheitskampfe gefallen, 342.705 verhungert, 9002 hätten Selbstmord verübt, auf andere Weise zu Tode gekommen seien weitere 92.731 Tibeter. In der Summe 1.207.387. Wie die Exilregierung auf diese Zahlen kommt, in einem mittelalterlich strukturierten Land, in dem es eine erste einigermaßen verläßliche Volkszählung erst im Jahre 1978 gegeben hat und davor jede Angabe über die Gesamtpopulation auf höchst ungefähren Schätzungen basierte, bleibt unergründlich. Die angegebenen Zahlen sind durch nichts belegt, sie erscheinen nicht zuletzt gerade ihrer aufgesetzten Exaktheit wegen äußerst zweifelhaft. (Selbst der Dalai Lama gibt an anderer Stelle zu, daß niemand mit Sicherheit sagen könne, wieviele Menschen beispielsweise beim Angriff der Chinesen auf Lhasa vom März 1959 ums Leben gekommen seien. Das Schwarzbuch Tibet: The Facts der Tibetan Young Buddhist Association in Dharamsala (von 1990) gibt sogar zu, es sei durch die "Abwesenheit verläßlicher Bevölkerungsstatistiken die Frage nach der Höhe der gegenwärtigen tibetischen Bevölkerung sowie die Zahl der Getöteten der Jahre 1949 1979 verworren. Es dürfte sehr wahrscheinlich sein, daß es vor 1949 etwa 4 bis 6 Millionen Tibeter gab."
Trotzdem: "Ungeachtet des Umstandes, daß es keinerlei Beleg für die Behauptung der exiltibetischen Regierung über mehr als 1,2 Millionen Opfer der chinesischen Besatzung (allein bis 1979) gibt, wird eben diese Zahl allenthalben kolportiert. Durch die ständige Wiederholung in sämtlichen protibetischen Publikationen ist sie mittlerweile fast zur historisch verbürgten Tatsache geworden: Wann und wo immer von Tibet die Rede ist, ist die Rede von 1,2 Millionen Opfern chinesischen Terrors."
Auch in Detailfragen nimmt man es augenscheinlich in Dharamsala (der Dalai Lama lebt in Dharamsala, Indien) mit Zahlen nicht so genau. Man betrachte den chinesischen Angriff auf Lhasa 1959, in dessen Vorfeld der Dalai Lama das Land verlassen hatte:
"Tausende von Menschen seien bei den Kämpfen verletzt oder getötet worden (der Dalai Lama gibt später eine Zahl von 87.000 Toten als Opfer militärischer Aktionen an; eine Differenzierung nach Kampfparteien unterläßt er wohlweislich (ebenso wie das chinesische Propagandapapier, auf das er sich bezieht), was die Suggestion nährt, es habe sich ausschließlich um tibetische Opfer gehandelt: laut Report des US Joint Publications Research Service in Washington waren indes drei von vier der insgesamt 65.000 Toten Chinesen.
Es ist kein Zufall, daß die Zahl von 1,2 Millionen durch die Chinesen ermordeten Tibetern in Deutschland so unkritisch nachgebetet wird. Berichte über millionenfachen Völkermord, zumal solche, die in irgendeiner Weise kommunistischen Tätern angelastet werden können, finden vor allem in Deutschland begeisterte Aufnahme, weil sie geeignet sind, das über alle Maßen ungeheuerliche des Völkermords an den Juden historisch zu nivellieren. Die waren oder sind also auch nicht besser. Die unbewältigte deutsche Schuld sucht verzweifelt nach der Schuld der anderen, und jenseits der ersten Million beginnt immer das große Aufatmen: Wir sind nicht allein so schrecklich gewesen. Aber auch was die behauptete systematische Folter an Tibetern angeht (oder gar die Existenz von Folter-KZs), sind die Belege äußerst dünn. Colin Goldner schreibt:
"Die hier zu klärende Frage ist, ob Tibeterinnen und Tibeter tatsächlich zu Tausenden verschleppt, inhaftiert und während der Haft systematisch gefoltert werden. Verschiedene westliche Kommissionen, die die chinesischen Gefängnisse in Tibet in Augenschein nahmen, berichteten von in der Tat grauenerregenden und jeder Menschenwürde hohnsprechenden Verhältnissen. Vor dem Hintergrund dieser Berichte erweckt nun die Propaganda der exiltibetischen Regierung sowie deren internationaler Unterstützerszene den Eindruck, die Zustände in den Gefängnissen und Umerziehungslagern in Tibet seien Ausdruck spezifisch chinesischer Barbarei. Es wird verschwiegen, daß drakonische Disziplinarmaßnahmen, Willkür des Wachpersonals sowie sadistische Gewalt den Alltag sämtlicher Knäste in sämtlichen Ländern (nicht nur) der Dritten Welt beherrschen; die hygienischen Bedingungen an diesen Orten sind durchwegs indiskutabel. Chinesische Gefängnisse in Tibet unterscheiden sich insofern in nichts von den Dreckslöchern, wie sie beispielsweise in der Türkei, im Sudan oder auf Sri Lanka anzutreffen sind; sie unterscheiden sich im übrigen auch in nichts von jenen Dreckslöchern, in denen die Mönche der tibetische Gelbmützen-Regimes, das ist der Mönchsorden, dem der Dalai Lama angehört, bis in die 1950er Jahre hinein politische Gegner zu internieren pflegte."
Und weiter: "Es gibt keinerlei Hinweis darauf, daß in chinesischen Gefängnissen in Tibet, so inhuman die Verhältnisse dort auch sind, gefoltert wird; am wenigsten darauf, daß Folter systematisch eingesetzt werde als Instrument eines geplanten Genozids (Völkermordes an der tibetischen Bevölkerung)".
Nun könnte man sich immerhin fragen, ob die langanhaltende Einkerkerung von Gefangenen unter inhumanen Bedingungen nicht per se eine Form der Folter darstellt. Um den Begriff der Folter zu erfüllen, müssen die Gefangenen ja nicht außerdem auch noch expliziter Folter unterworfen sein. Die mißbräuchliche Benutzung von Begriffen wie Folter-KZs oder der unterschwellig immer anklingende Vergleich der chinesischen Repression in Tibet mit dem Holocaust ist aber in keinem Fall durch die Sachlage gedeckt. Goldner weist auch zurecht darauf hin, daß in Verlautbarungen des Dalai Lama und der tibetischen Exilregierung oft der Eindruck erweckt wird, die endgültige Ausrottung des tibetischen Volkes stehe unmittelbar bevor. Diese Behauptung wird dann durch Fallbeispiele belegt, die teilweise Jahrzehnte zurückliegen, ohne zu erwähnen, daß die Greueltaten des chinesischen Angriffs von 1959 und die der Kulturrevolution absolut nicht die heutige Sachlage spiegeln. Berichte tibetischer Organisationen selber sprechen heute von eher bescheidenen Fallzahlen. So listet das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy in seinem Jahresbericht 2000 von 26 politisch motivierten Verhaftungen, 2660 Flüchtlinge (von denen eine nicht genannte Zahl später nach Tibet zurückkehren), Repressionen bei Grenzübertritten und Hausarreste auf. Diese autoritären Maßnahmen sind schlimm genug, sie mit dem Prädikat Genozid zu belegen, ist eine Unverschämtheit.
aus:
Dalai Lama
Alles Liebe. Gerrit