Es gibt neben dem Machbarkeitsdenken eine noch tieferliegendere Selbsttäuschung (eigentlich sollte man "Lüge" sagen, das käme der Wahrheit näher). Es ist die Selbstverwirklichung.
Selbstverwiklichung ist die Idee, dass ich mich in meinem Leben verwirkliche, mit andern Worten, dass ich im Laufe des Lebens etwas zustande bringe, worauf ich im Moment meines Todes zurückblicken kann und sagen kann: Das ist mein, ich habe es erschaffen und mit mir wird es untergehen. Mein Leben lang habe ich etwas darauf hingearbeitet, jetzt weiss ich etwas, was ich zuvor, z.B. als Jugendlicher, noch nicht gewusst oder gehabt habe.
Der Inhalte sind meist vielerlei:
1. Erfolg im Beruf und im sozialen Umfeld. Der typische Self-made-man à la Bill Gates. Wirklich erstaunlich, seine Leistung, nicht? Wahrscheinlich ist es nicht einmal wirklich das soziale Ansehen und all das Geld, dass für Herrn Gates den innern Antrieb darstellt, das wäre zu einfach gesagt. Wahrscheinlich ist es das Gefühl, etwas erschaffen zu haben, ähnlich einem Künstler, das Gefühl ein Schöpfer zu sein von etwas Lebendigem, etwas das lebt und sich entwickelt, wie man etwa "seinen" Konzern Microsoft betrachten könnte. Es muss eine gewisse Genugtuung dabei sein zu sehen, wie sich das eigene Streben verselbstständigt hat und seinerseits wieder schöpferisch tätig ist.
Bloss: Wozu überhaupt die Genugtuung? Was bedeutet es denn für einen Menschen, Genugtuung zu haben? Sich bestätigt zu sehen? Ist der Mensch nicht unendlich viel mehr als das blasse Gefühl von Genugtuung? Warum sollte er sich freiwillig darauf beschränken, im Leben diese Art von Genugtuung erhalten zu wollen? Dafür aber scheint Herr Gates sein ganzes Leben geopfert zu haben. All sein Streben und sein Tun scheint hierauf ausgerichtet zu sein. Ob er wohl selbst die unendliche Hohlheit und Leere dahinter überhaupt wahrnimmt?
2. Familie und Freunde. Eine schöne Frau zu haben gehört für viele Männer zur Selbstverwirklichung dazu. Wenn der Mann selbst überdies bei den Damen i.a. nicht geringe Chancen hat, dann läuft er grösste Gefahr, sich in diesem Spiel völlig zu verlieren.
Die häusliche Variante gibt's auch. Trautes Eigenheim, zwei Kinder in der Garage und einen Audi im Kinderzimmer. Hier spiegelt sich jemand falsche Sicherheit vor. Sicherheit, vor plötzlichen Schicksalsschlägen gefeit zu sein, die Illusion, das Chaos könne nicht jederzeit über einen herbrechen. Dabei bestehen unüberbrückbare Abgründe im Innersten der Atome des Körpers, Abgründe, die so abgrundtief sind, dass sie buchstäblich jede Illusion von Sicherheit im Leben im Nu platzen lassen können.
3. Die spirituelle Selbstverwirklichung. Diese Selbstverwirklichung geniesst einen Sonderstatus in der Hinsicht, als dass sie besonders perfide daherkommt. Zu meiner Scham muss ich eingestehen, dass ich ihr für längere Zeit aufgesessen bin.
Was sie verspricht ist, dich von deinem Selbst zu heilen an dem du krankst. Sie verspricht dir, dich einen Gott finden zu lassen, der in dir vorhanden ist und aus dem alles gemacht ist. Sie verspricht dir, sie sei der weisere Weg als die andern beiden oder viele andere weitere, sei die klügere Wahl.
Die spirituelle Suche hat viele Gesichter und kennt viele verschiedene Färbungen, es ist schwierig, die unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Nur so viel: Sie bringt dich nirgendwo hin. Sie hat nicht die Kraft, deinem Leben einen Sinn zu vergeben. Und du wirst am Ende des Lebens nicht Gott sehen oder mit ihm eins sein, (auch) wenn du dich schon vorher um ihn bemüht hast. "Nein, mein Leben ist nicht die Antwort, und würde ich auch alles dafür versuchen und in Bewegung setzen!" Es ist nicht so, dass ich am Schluss etwas grundsätzliches erkennen werde.
Lese ich die Bücher von Paulo Coelho, so muss ich sagen, dass er leider einem grundlegenden Irrtum unterliegt.
Zwar vermögen seine Bücher Hoffnung zu stiften, sie vermögen die eingeschlafene Seele in einem wachzurütteln, das will ich gar nicht bestreiten und darin haben sie auch einen gewissen Wert. Aber alles was er schreibt und aussagt, unterliegt demselben Irrtum wie auch Wilber. Dass da eine Entwicklung stattfinde von A nach O, dass diese Entwicklung zur Wahrheit hinführe und dass sich der Mensch hierin selbst verwirkliche. Wer das glaubt, betrügt sich selbst. "Das Leben selbst und alles, was dazugehört, ist eine bloße Fassade." Alles meint alles. Alles schliesst auch die Hoffnung ein, da könne mehr sein als blosse Fassade. Coelho erschafft aber gerade diese Hoffnung, er bestärkt sie.
Damit bietet er denen eine Stütze, die diese Hoffnung dringend benötigen, und es gibt viele Menschen, die es dringend benötigen würden, würde ihre Seele mal wieder so richtig wachgerüttelt.
All den andern tut er hingegen keinen Freundschaftsdienst mit seinen Büchern. Alles was er bekräftigt sind düstere Gespenster, hohle Illusionen die aber im Schein der Gestirne umso kräftiger funkeln und glitzern und dem Menschen das Gefühl vermitteln, etwas Wertvolles werde hier geschenkt. Es ist Katzengold und damit der Mühe nicht wert.
Ich will mich bei all dem oben beschriebenen gar nicht ausschliessen. Ich gehe durch dieselben Fehler und Irrungen. Gerade weil ich sie mit mir herumschleppe, bin ich befähigt, darüber etwas auszusagen. Ich frage mich bloss, warum ich immer erst durch andere auf sowas gestossen werden muss, bevor ich das an mir selbst erkenne. Wahrscheinlich ist es an sich selbst einfach zu nahe, als dass man es leicht sehen könnte. Noch wahrscheinlicher ist aber, dass ich schlicht nicht sehen will und deshalb auch nichts sehe. Da braucht es dann den Funken von aussen.