Meine Kindheit - der kleine Junge in mir - ein paar Gedanken dazu

Tolkien

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Heute beim Aufräumen im Keller fällt mir ein Karton ins Auge und als ich ihn öffne, fällt mir mein kleiner H.- alias Tolkien direkt vor die Füße.

Diesem kleinen Jungen der das Leben noch vor sich hatte will ich, der die Hälfte seines Lebens schon hinter sich hat, auf diesem Thread gerne nach und nach ein paar Gedanken widmen.

Und so fing damals alles an.....

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Das war mein erstes Weihnachtsfest.

Auf diesem Foto erlebe ich mit dreieinhalb Monaten mein erstes Weihnachtsfest gemeinsam mit meinem ersten Freund, der aber schon vor längerer Zeit von uns gegangen ist. Deutlich zu sehen ist der widerspenstige Wirbel links am Haaransatz meiner Stirn, an dem sich auch Jahre später noch etliche Frisöre die Zähne ausgebissen haben.


Das Weihnachtsfest wurde in der Wohnung meines heissgeliebten Opas gefeiert. Hier wohnten wir am Anfang alle, bis meine Eltern eine eigene Wohnung bekamen. An das Radio werde ich oft erinnert, wenn ich "Bares für Rares" anschaue - dort steht auch so ein toller Kasten.

Auch an das Schiff hinter mir, welches eigentlich ein Holzschuh war, kann ich mich noch gut erinnern. Es war halt ein typisches Accessoir in diesen Tagen. Tja das waren noch Zeiten.....1958.

Und hier ist mein stolzer Opa Friedrich Wilhelm, Baujahr 1897.

Maschinenschlosser bei Krupp in Essen, U-Boot Maschinist im 1. WK.

Ein gütiger Mensch, den ich nie vergessen werde und obwohl er viel Schlimmes erlebt hatte, war er im Besitz von etwas um das ihn viele beneideten.

Er war ein zufriedener Mann....


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Bis ich in die Schule kam lebte ich die Woche über bei Opa und Oma, da meine Eltern beide arbeiten gingen. Eine Krupp-Siedlung mit jeweils 6-Parteien im Haus. Ein kleinerer Spielplatz direkt vor der Haustür und ein grösserer 100 Meter entfernt.

Es gab viele grüne Wiesen zum Spielen, Gebüsche zum Verstecken, Bäume zum Klettern und jede Menge Spielkameraden. Also für einen kleinen Jungen optimal.

Wenn ich über diese Zeit nachdachte, hatte ich auch schon mal den Gedanken von "Abschieben." Letztlich denke ich dass es in diesem Lebensabschnitt aber eher ein Segen war und es gut war dass ich in diesen ersten sechs prägenden Jahren bei den Grosseltern aufwachsen konnte.

Denn Eines wurde mir später klar: Es war damals sehr sehr schwer eine Wohnung zu bekommen und meine Mutter hatte da für ihren Wunsch die passende Idee: Wir brauchen ein Kind!

Dadurch ging es schneller und als die Wohnung endlich da war, wurde ich zu den Grosseltern abgeschoben. Wer weiss wie es in der Wohnung bei meinen Eltern geworden wäre. Ich glaube dass mein Opa letztlich mein Lebensretter war. Er war immer da und zeigte mir seine kleine Welt in der er glücklich war.

Ich war als Mittel zum Zweck auf die Welt gekommen... benutzt... als Erfüllungsgehilfe für die Bedürfnisse meiner Mutter...

Nicht schön, aber die Wahrheit. Ich weiss es genau.

Als kleiner Junge wurde es mir nicht klar aber dieses Gefühl als Mittel zum Zweck ins Leben gekommen zu sein, hat mich unterbewusst lange begleitet und mein Leben beeinflusst und dies nicht auf positive Weise.

Mit fünf Jahren dann bekam ich Probleme mit meinem rechten Ohr. Es begann zu laufen und wollte nicht besser werden. Nach unzähligen Terminen beim Ohrenarzt machter der Doktor meinem Opa klar, dass nur eine OP helfen würde.

Als ich vom Termin wieder mit ihm bei Oma war und sie fragte was der Arzt gesagt hatte, wollte ich scherzen und sagte, dass ich ins Krankenhaus müsste. Ich wusste nicht wie Recht ich damit hatte.

Dann kam der Tag der Einweisung ins Krankenhaus. Opa brachte mich. Das Bethesda-Krankenhaus war schwesterngeführt und es herrschte ein strenges Regime. Dann die OP. Ich habe gezittert vor Angst und im OP-Zimmer den Arzt gefragt, ob er meine Hand halten könnte. Er tat es tatsächlich! Dann bekam ich Lachgas und schlief endlich ein.

Mit dickem Kopfverband wachte ich irgendwann auf und musste dann noch lange sechs Wochen in diesem fürchterlichen Krankenhaus bleiben. Besucht hatte mich meine Mutter ganze zwei Mal in dieser Zeit, mein Vater kam zwei oder drei mal abends allein vorbei.

Ich war im ersten Schuljahr und lebte nun komplett bei meinen Eltern. Sie stritten sehr oft. Mein Ohr begann wieder zu laufen. Ein zweiter Krankenhausaufenthalt war unvermeidlich. Ich hatte inzwischen ein Loch im rechten Trommelfell, schon so gross wie eine Bohne. Das Hyssenstift in Essen war nun sieben Wochen lang mein Ersatz-Zuhause.

Dann kam die OP. Man setzte mir ein Plastik-Trommelfell ein. Den Kopf dick verbunden brachte ich die nächsten Woche zu. Es juckte wie verrückt und ich kratzte ständig an meinem Ohr herum.

Besuche nur spärlich und am Wochenende - ausser mein Vater - der kam nach Feierabend einige Male zu Besuch.
Weil ich mit dem Kratzen nicht aufhören konnte, verpasste man mir Plastikschienen an den Armen über den Armbeugen, so dass ich sie nicht mehr beugen konnte und nicht an mein Ohr kam. Wie ein Behinderter ruderte ich mit meinen Armen herum und man nahm sie mir nur zum Essen und für die Toilette ab.

Als mein Vater dies bei einem seiner Abendbesuche sah, rief er sofort nach der Schwester und nach dem Arzt. Er sagte: "Diese Dinger machen Sie bei meinem Sohn sofort ab! Und wenn Sie es nicht machen wollen, dann mache ich es. So etwas machen Sie mit meinem Kind nicht!"

Mein Vater konnte sehr energisch sein und sein Auftritt hatte keinen Zweifel gelassen. Drei Minuten später konnte ich mich wieder frei bewegen. Er schärfte mir ein, dass ich nun nicht mehr am Ohr kratzen dürfte und irgendwie schaffte ich es auch.

Am letzten Sonntag vor der Entlassungswoche kamen noch einmal alle zu Besuch. Opa und meine Eltern. Meine Mutter fragte mich was ich mir denn wünschen würde nach dem langen Krankenhausaufenthalt und ich antwortete: Eine Katze! Überraschenderweise stimmte sie zu und ich freute mich umso mehr auf den ersten Tag daheim.

Doch was fehlte war eine Katze. Meine Mutter sagte mir nur, dass sie sich darum nicht auch noch kümmern könnte und dass wir keinen Platz dafür hätten.

Ich hatte nie ein eigenes Zimmer und beneidete Schulfreunde wenn ich sie besuchte und wir in "ihr eigenes" Zimmer gehen durften. Das Leben spielte sich zum grossen Teil in der Küche ab, in der sich auch in einer Ecke mein Bett befand. Wenn ich ganz selten mal einen Freund zu Besuch hatte und wir spielten, musste sofort alles abgeräumt werden, wenn mein Vater von der Arbeit kam.

Irgendwann später dann hatte ich meinen ersten eigenen Raum und ich hatte grosse Probleme ihn einzurichten. Es war nichts Eigenes da. Ich war ja zu anderen Zwecken gerufen worden und fühlte grosse Leere in mir. Es war ein verdammtes Scheißgefühl!

Nach all diesen langen Jahren merke ich jetzt gerade beim Schreiben wie immer noch etwas festsitzt in mir und ich platzen könnte. Und dass ich diese ganze alte Scheisse einfach herausreissen möchte!

Ich will frei sein davon und mein Leben einfach ganz in Besitz nehmen. Ohne irgendwelche Zwänge und alte Muster, die mich so lange behindert haben. Finden, kennen lernen und leben was in mir steckt. Zu 100%.

Kurz bevor ich ganz bei meinen Eltern war starb plötzlich meine Oma. Sie war die zweite Frau meines Opas gewesen und ich spürte wie ihn der Verlust schmerzte. Und ich verstand nicht, dass sie plötzlich nicht mehr da war. Im zweiten Weltkrieg hatte er seine erste Frau verloren. Zweimal wurden sie in Essen ausgebombt und sind dann in eine Notwohnung in Berlin gekommen, zu entfernten Bekannten.

Vor Kriegsende war Luftalarm in Berlin. Alle liefen in den Luftschutzkeller im Haus. Das Haus erhielt einen Volltreffer und stürzte ein. Seine erste Frau - meine richtige Oma - warf sich auf meine Mutter um sie zu schützen und starb dabei. Meine Mutter überlebte und wurde aus den Trümmern gerettet. Meine richtige Oma habe ich leider nie kennen gelernt.

Opa hat es das Herz gebrochen. Er war allein, ich lebte nun bei meinen Eltern. Er veränderte sich. Zweimal die Woche besuchte ich ihn. Einmal alleine, einmal mit meiner Mutter, weil sie bei ihm sauber machte.

Nach einiger Zeit wollte meine Mutter einen Hund haben. Ein kleiner Zwergpudel (Jerry) kam zu uns in die Wohnung. Verhätschelt und verwöhnt genoss er ein schönes Leben. Ständig auf Mutters Schoss und von meinem Vater mit Leckereien verwöhnt - er war Metzgermeister.

Das Gassigehen wurde mir aufgebrummt und als meine Mutter eine neue Arbeit annahm, musste ich das Tier mit dem Fahrrad zu meinem Opa bringen und nach der Schule wieder abholen. Ich mag keine Zwergpudel mehr.

Als ich elf Jahre alt war, starb mein Opa. Er hatte einen schnellen Tod. Beim Zubettgehen ist er über den Bettvorleger gestolpert und mit der Schläfe auf die Kante des Nachttisches aufgeschlagen. Er war sofort tot. Meine Mutter fand ihn, als sie zum Saubermachen kam.

Mich hat sein Tod total erschüttert und ich erinnere mich wie ich mich darüber gewundert habe, dass bei meiner Mutter keine Träne floss. Opa war in einem Marinekameradschaftsverein gewesen und bei seiner Beerdigung spielte eine Marinekapelle. Es war so traurig! Ich konnte mich kurz beherrschen, doch dann heulte ich laut los. Mein Vater herrschte mich an, ich sollte mich gefälligst zusammenreissen...

Einige Monate später wurde unser Hund frühmorgens von einem Bus überfahren. Mein Vater war mit ihm Gassi gegangen und brachte ihn sofort zu einem Tierarzt. Ich blieb von der Schule zuhause an diesem Tag. Alle sassen wir im Wohnzimmer und warteten auf den Anruf des Tierarztes, ob er ihn durchgebracht hätte. Dann kam der Anruf.... er hatte es nicht geschafft. Meine Mutter brach in Tränen aus und konnte sich nicht mehr beruhigen. Sie war völlig ausser sich und war tagelang neben der Spur. Auch ich musste weinen, denn er gehörte doch zu unserer Familie. Das war nun alles O.K.

Ich musste an die Beerdigung meines Opas denken.... reiss Dich zusammen...

Ich könnte kotzen über so viel Verlogenheit!

Wir waren in eine andere Wohnung gezogen. Etwas grösser, etwas schöner. Ein eigenes Zimmer hatte ich immer noch nicht. Wieder bekam ich den Platz in der Küchenecke, an den ich schon gewöhnt war.

Meine Mutter kam über den Verlust des Hundes nicht hinweg. Es wurde ein neuer Pudel angeschafft. Gleicher Name, gleiche Rituale, gleicher Ablauf.

Er hatte nur eine schlimme Angewohnheit... er pinkelte ständig in mein Bett. Irgendwann war es dann mal soweit. Ich wurde nachts wach und bemerkte wie meine Hand etwas Nasses fühlte. Schäumend vor Wut warf ich den Hund aus meinem Bett, der laut aufjaulte. Meine Eltern kamen gleich angerannt und obwohl sie schon öfter mitbekommen hatten, dass er in mein Bett machte hörte ich nur ein: "Stell Dich nicht so an, dann beziehen wir das Bett eben neu und Du legst ein Handtuch unter."

Ich kann mich daran erinnern als ich Zwölf oder Dreizehn war, dass ich am Morgen einen Flecken auf der Bettdecke sah. Er war aber nicht von unserem Hund, nein - er war von mir. Die ersten Schritte vom Jungen zum jungen Mann hatten mich im Schlaf überrascht und einen Fleck auf dem Bettuch hinterlassen. Es war mir total peinlich.

Die Reaktion meiner Mutter war, dass sie mir schwerste Vorwürfe machte. "Meinst Du ich weiss nicht, was Du da tust? So eine Sauerei!" Ich bin fast im Erdboden versunken und fühlte mich so, als hätte ich gerade jemanden umgebracht. Etwas ganz Natürliches was einem in diesem Alter halt passiert wurde so verdreht, dass man sich schuldig fühlte dabei.

Ein Hund war mehr wert als ich.

So eine verlogene Scheisse!
 
Hier ein Bild von mir kurz nach meiner Einschulung.

Ein Fotografenpaar hatte Erstklässler "abgepasst" und gesagt, dass sie Fotos von uns machen sollten. Meine Adresse sollte ich auch angeben. Kurz darauf waren sie bei uns und wollten für das Bild 10 oder 20 Mark haben, ich weiss nicht mehr genau wie viel.

Meine Mutter war sauer auf mich, weil wir schon ein Bild hatten mit meiner Tüte.

Ich finds schön und würde es wieder machen...extra!

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Ich erinnere mich an meine Geburtstage als ich bei bei meinem Opa lebte. Pünktlich, schon zum Frühstück stand er auf dem Tisch: Der Gugelhupf!


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Und dann erhielt ich ihn.... immer persönlich und aus seiner Hand.... mit einem wohlwollenden Blick:
Er holte seine Geldbörse hervor und kramte etwas darin herum um es spannend zu machen....

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Der Fünfer...

Ich durfte an die Bude in der Nähe gehen und mir etwas zu "Schnuppen" holen. "Klümpchen", wie wir sagten, aber nur für höchstens 1 Mark. Den Rest habe ich gespart und war ganz stolz, soooo viel Geld zu haben.

Und ich durfte mir an diesem Tag etwas Besonderes zum Essen wünschen und es war immer das Gleiche:
Griespudding!

Meist war es nebelig morgens auf dem Weg zur Bude und ich fand es ganz toll.

Dieses "Geburtstagsritual" und Opas wohlwollender Blick haben mir das Gefühl gegeben etwas wert zu sein und ich habe mich immer auf Geschenke gefreut. Dies hat mich durch mein ganzes Leben positiv begleitet.

So hatte ich z. B. einen Freund der mich immer wieder mit neuen Arbeitsstellen "beschenkte". Immer wenn es mir irgendwo nicht mehr gefiel und ich dort weg wollte, rief er mich wie auf Bestellung an und berichtete von seinem neuen Job und das dort noch jemand gebraucht würde. Das Gehalt hatte er auch schon für mich verhandelt. Ich musste quasi nur noch vorbeigehen und unterschreiben.

Bis heute lasse ich mich gerne beschenken von Menschen, die gerne und von Herzen schenken und sich selber daran freuen können....
 
Ich erinnere mich an meine Geburtstage als ich bei bei meinem Opa lebte. Pünktlich, schon zum Frühstück stand er auf dem Tisch: Der Gugelhupf!


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Und dann erhielt ich ihn.... immer persönlich und aus seiner Hand.... mit einem wohlwollenden Blick:
Er holte seine Geldbörse hervor und kramte etwas darin herum um es spannend zu machen....

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Der Fünfer...

Ich durfte an die Bude in der Nähe gehen und mir etwas zu "Schnuppen" holen. "Klümpchen", wie wir sagten, aber nur für höchstens 1 Mark. Den Rest habe ich gespart und war ganz stolz, soooo viel Geld zu haben.

Und ich durfte mir an diesem Tag etwas Besonderes zum Essen wünschen und es war immer das Gleiche:
Griespudding!

Meist war es nebelig morgens auf dem Weg zur Bude und ich fand es ganz toll.



Tolkien
Dieses "Geburtstagsritual" und Opas wohlwollender Blick haben mir das Gefühl gegeben etwas wert zu sein und ich habe mich immer auf Geschenke gefreut. Dies hat mich durch mein ganzes Leben positiv begleitet.

So hatte ich z. B. einen Freund der mich immer wieder mit neuen Arbeitsstellen "beschenkte". Immer wenn es mir irgendwo nicht mehr gefiel und ich dort weg wollte, rief er mich wie auf Bestellung an und berichtete von seinem neuen Job und das dort noch jemand gebraucht würde. Das Gehalt hatte er auch schon für mich verhandelt. Ich musste quasi nur noch vorbeigehen und unterschreiben.

Bis heute lasse ich mich gerne beschenken von Menschen, die gerne und von Herzen schenken und sich selber daran freuen können....
Tolkien.... ich lausche und freue mich zusammen mit dir :blume:
 
Heute beim Aufräumen im Keller fällt mir ein Karton ins Auge und als ich ihn öffne, fällt mir mein kleiner H.- alias Tolkien direkt vor die Füße.

Diesem kleinen Jungen der das Leben noch vor sich hatte will ich, der die Hälfte seines Lebens schon hinter sich hat, auf diesem Thread gerne nach und nach ein paar Gedanken widmen.

Und so fing damals alles an.....

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:liebe1:
 
Es war Weihnachten....

Der Heilige Abend fand bei meinen Eltern statt. Opa war auch da. Er hatte sich "fein" gemacht.

Vater hatte ihn mit dem Auto abgeholt und witzelte nun bei Mutter über ihn, weil er nie seinen Hut abnahm, wenn er ins Auto einstieg. Opa machte wirklich arge Verrenkungen, wenn er sich in den Opel Kadett setzte.

Zuerst musste beim Rückwärtseinsteigen der Beifahrersitz "getroffen" werden. Der Kopf blieb erst mal noch draussen. Dann - Opa war nicht der Kleinsten einer - legte er den Kopf zur Seite und bugsierte sein Haupt gekonnt unter dem Dach ins Innere des Wagens hinein. Manchmal - aber nur im allergrössten Notfall - nahm er die Hand zur Hilfe. Dies war dann der Fall, wenn er aus Versehen an die Dachkante stiess und der Hut herunterzufallen drohte.

Dies durfte auf keinen Fall passieren!

Aber nun sassen wir alle hier zusammen, Opa hatte seinen Hut abgelegt und das Ritual nahm seinen Lauf.

Ich weiss garnicht mehr, was ich an diesem Weihnachtsabend alles so bekommen habe. Ich weiss nur noch, dass es von Opa ein Kinderfahrrad sein sollte. Und genau das war nicht dabei. Die Enttäuschung war gross und Opa sagte mir, dann wird es wohl morgen bei mir stehen, denn die Bestellung kam ja auch von mir.

Am 1. Weihnachtstag feierten wir immer bei Opa. Ich konnte es kaum erwarten zu ihm zu fahren.

Endlich war es dann soweit....

Als wir in der Siedlung ankamen, rannte ich voraus und schellte schon mal. Blitzeschnell war ich oben und lief ins Wohnzimmer zum Tannenbaum in Erwartung meines gewünschten Fahrrades.... Doch nichts!

Meine Eltern kamen dazu. Meine Enttäuschung war riesengross!

"Ob das Christkind Dich tatsächlich vergessen hat"?, fragte Opa.

Tränen kullerten über meine Kinderwangen. Opa legte mir seine Hand auf den Kopf und meinte: "Geh mal ins Schlafzimmer an meinen Nachttisch und hole Dir ein Taschentuch Junge."

Mit gesenktem Kopf öffnete ich die Tür und.... da stand es! Strahlend und blinkend... mein neues Fahrrad!

Die Freude war riesig. Alles war wieder gut.

Täglich übte ich das Radfahren in der Siedlung bei meinem Opa. Es hatte noch Stützräder an den Seiten und ich wollte doch unbedingt ohne Fahren lernen, so wie die Grossen. Jedesmal holte Opa mir das Rad aus dem Keller und stellte es an den Strassenrand. Ich stieg auf und fuhr los.

So auch an diesem Tag. Opa lag im Fenster und sah zu. Das Fahrrad stand am Bordstein wie immer. Ich stieg auf und drehte meine erste Runde. Als ich wieder am Fenster vorbei kam, fragte Opa wo ich denn die Stützräder gelassen hätte. Ich sah hinunter und bemerkte, dass sie ab waren! Sofort fing ich an zu Wackeln..., doch ich fing mich schnell.

Er hatte das Rad so geschickt mit der Pedale an den Bordsteinrand gestellt, dass ich es nicht bemerkt hatte dass die Stützräder fehlten..

So war er halt..... mein Opa.
 
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Als reicher (kleiner) Mann hatte ich nach Erhalt meines "Heiermanns" natürlich nichts Wichtigeres zu tun, als den weiten Weg zur Klümpchenbude zu gehen, um mir eine bunte Tüte erlesener Köstlichkeiten zu gönnen.

Aus der Sicht eines Erwachsenen war es ein Katzensprung bis zum Büdchen. Für mich allerdings war es damals so, als würde der kleine Frodo sein geliebtes Auenland verlassen und in die weite der Welt hinausziehen. Den Heiermann in der Tasche fest mit der Hand umklammert zog ich los. An der grossen Spielwiese vorbei, dann kam der Hauptspielplatz, dann die erste Linkskurve. Hier verliess ich das Kreisrund der Siedlung, auf der sich mein tägliches Leben abspielte.

Nebel lag in der Luft und die Sicht war etwas eingeschränkt. Ich mochte den Nebel sehr - er machte die ganze Sache noch spannender für mich.

Dann kam eine Rechtskurve. Hier wohnten Leute die ich nicht kannte. Eine andere Welt.

Ein Stück geradeaus noch, dann kam die T-Kreuzung an der ich nach Links abbiegen musste. Ich verliess nun die Zufahrtsstrasse zu unserer Siedlung und befand mich gefühlt wie in einer anderen Stadt. Ich überquerte die kleine Strasse und nach wenigen Metern lag sie dann endlich vor mir.... die Klümpchenbude.

Hier gab es scheinbar alles was das Kinderherz begehrt. Süssigkeiten aus aller Welt. Fein sortiert in aufgereihten Plastikkästchen, welche vorne abgeschrägt waren und eine rote Klappe hatten. In jeder der Boxen steckte ein silberner Löffel mit dem die guten Sachen herausgeholt wurden.

Ich blieb noch etwas auf Abstand, um zu schauen was es alles Gutes gab und um schon mal vorab auszusuchen. Der Schein war noch in meiner Tasche und ich hielt ihn ganz fest. Eigentlich fand ich es schade ihn nun anzubrechen aber.... man muss Prioritäten setzen.

Ich ging zwei Schritte nach vorne und stand nun am Schalter. Das Schiebefenster war geöffnet und die nette "Frau Bude" kam heran. Sie war immer freundlich auch zu uns Kindern und erfüllte geduldig jeden auch noch so kleinen Wunsch.

"Guten Morgen kleiner Mann, was möchtest Du denn haben?", fragte sie freundlich und lächelte mich an.

"Guten Morgen, ich hätte gerne eine Tüte Klümpchen, eine Grosse."

Sie griff sich eine Papiertüte, öffnete sie und sah mich an.

"Für 10 Pfennig von den Erdbeeren." Die gibts übrigens heute noch - sehr lecker!

"Dann noch 3 Lakritzschlangen und für 20 Pfennig von den Weingummitalern."

Langsam füllte sich meine Tüte.

"Und noch für 10 Pfennig von den Silberlingen." Dies waren Lakritzbonbons die mit einem silbernen Überzug versehen waren und total edel aussahen.

"Und dann bitte noch einen Mohrenkopf."

"Den packe ich Dir dann lieber mal in eine extra Tüte, damit er nicht kaputt geht."

"Ja danke."

"Das macht dann 60 Pfennig zusammen," sagte die Frau.

Ich holte meinen Geburtstagsschein heraus und legte ihn auf das Tablett auf der Theke.

"Dankeschön. Und vier Mark und 40 Pfennig zurück."

Dankeschön. Tschüss!"

Ich nahm meine prall gefüllte Tüte und das Wechselgeld und machte mich auf den Heimweg. Doch etwas musste ich schon naschen. Eine Lakritzschnecke sollte es sein. Ich rollte sie halb ab und steckte mir das Ende in den Mund. Stück für Stück wanderte die Lakritzschnecke in meinen Mund und beim Laufen schwang sie hin und her.

Endlich hatte ich die erste Kurve erreicht und hinter der Nebelwand lag die Wiese und der Spielplatz. Ich war wieder zuhause!

Oben zeigte ich meinem Opa die erworbenen Schätze und bot ihm etwas aus der Tüte an. Er nahm sich einen von den Silberlingen. Ich wusste dass er sie mochte, deshalb hatte ich sie gekauft...
 
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