Meine Kindheit - der kleine Junge in mir - ein paar Gedanken dazu

Als ich etwa 10 Jahre alt war, brach bei meinen Kumpels und mir der "Bauboom" aus. Irgendwo her war ein Spaten aufgetaucht und wollte gebraucht werden. Damals gab es noch viele freie Flächen und Wiesen und wir konnten uns aussuchen, wo wir unsere Löcher für unsere "Buden" graben wollten.

Gleich neben unserem Haus gab es ein verwildertes Grundstück, schön mit Büschen und Sträuchern bewachsen, so dass man nicht gleich gesehen wurde. Hier sollte der Spaten zu Beginn der Sommerferien zum Einsatz kommen. Wir gruben ein etwa 1,50 mtr. tiefes Loch, organisierten Holzbalken und Schaltafeln von diversen Baustellen und verschlossen damit die Decke. Eine aufklappbare Holzluke ermöglichte uns den Ein- und Ausstieg. Zum Schluss wurde das Dach mit Grasplatten belegt. Wäre nicht ein unscheinbarer kleiner Trampelpfad gewesen, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass mitten in dem Wildwuchs unser kleines Paradies entstanden war.

Jeder brachte etwas von Zuhause mit. Geschirr, Besteck, Milch, eine Tüte Haferflocken, Trinkbecher, Zucker, Süssigkeiten u.s.w. Es wurde richtig wohnlich dort und wir hatten unseren Spass. Jedenfalls einige Tage lang.

Doch eines Morgens standen wir alle geschockt auf dem Bürgersteig vor unserem Feld mit der Paradiesbude.
Bagger waren angerollt und eine Planierraupe. Fast alles war schon gerodet. Und der grösste Schock war.... ein Bagger war mit einem Rad auf unsere Bude gefahren und eingestürzt. :eek: Wenn herauskam, dass wir das waren.... nicht auszudenken.

Traurig aber tapfer sahen wir dem Treiben zu. Letztlich zog die Planierraupe den Bagger wieder ins Leben zurück und wir waren erleichtert, dass der Schaden sich in Grenzen hielt. Die Sache wurde Tagesgespräch und abends fragte mich mein Vater beim Essen, was denn dort passiert sei. Ich erzählte ihm dass ein Bagger in ein Loch gestürzt wäre und dass die Planierraupe ihn wieder herausgezogen hatte.

Mein Vater arbeitete direkt neben dem Grundstück in einer Metzgerei und sein Blick verriet mir... er wusste Bescheid.

Ich war heilfroh, dass er kein Aufhebens darum gemacht hatte und am nächsten Morgen suchten wir uns ein neues Grundstück....
 
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Heute habe ich in alten Unterlagen geforscht und fand ein altes Hochzeitsfoto meiner Eltern. Auf der Rückseite war ein Datum geschrieben: 20.02.1960.

Da war ich anderthalb Jahre alt! Ich war geschockt.

Ich bin ein uneheliches Kind! Ein Kind der Schande. Ob ich da jemals drüber weg komme...:(
:bwaah:
Nach einer darüber geschlafenen Nacht ist mir etwas klar geworden.

Als ich zur Welt kam, war mein Vater noch nicht volljährig (damals noch mit 21 Jahren) Und es gab jemanden, dem dies ganz und gar nicht gepasst hat. Meinem Opa. Opa war noch einer vom "alten Schlag". Da hatte alles seine Ordnung und alles musste korrekt ablaufen. Er hat es meinen Vater bestimmt spüren lassen.

Meine Mutter war damals 26 Jahre alt, sie war fünf Jahre älter als mein Vater. Bei ihr war also alles "in Ordnung."

Soweit ich weiss, musste im Falle einer Heirat ohne Volljährigkeit das Einverständnis der Eltern eingeholt werden. Ein neues Problem, denn Vater war mit 18 Jahren unter abenteuerlichen und lebensbedrohlichen Umständen von Zuhause weggegangen und dies nicht im besten Einvernehmen mit seinen Eltern.

Aber irgendwie hat er es geschafft....
 
Mein Grossvater väterlicherseits hatte ein kleines Fuhrunternehmen. Irgendwann kam der Gedanke auf mit Sack und Pack in den Westen zu ziehen. Mein Vater war begeistert. Er kundschaftete mögliche Wege aus und begann zu organisieren. Das ganze ging soweit, dass dann ein Termin feststand, an dem die ganze Sache stattfinden sollte.

Einen Tag vor diesem Termin machte der Vater meines Vaters einen Rückzieher. Mein Vater war total enttäuscht und beschloss, sich alleine auf den Weg zu machen. Mit einem kleinen Koffer und seinem Gesellenbrief als Metzger in der Tasche zog er los. Gegen den Willen seines Vaters, der auf sein Recht als "ansagendes Familienoberhaupt" pochte und nicht wollte, dass die Familie auseinander gerissen wird.

So schlug er sich durch bis nach Essen und kam zunächst in besagtem Heim unter. Er fand Arbeit und später lernte er meine Mutter kennen, was letztlich zu meinem Erscheinen hier führte. Familie hatte für ihn stets einen sehr hohen Stellenwert und lange Jahre stand er sorgend und beschützend vor uns. Dies ist etwas, dass ich ihm bis heute hoch anrechne, denn es hat mir das Gefühl gegeben, wertvoll und schützenswert zu sein.

Auch der gute Ruf war ihm sehr wichtig. Ich erinnere mich an eine Geburtstagsfeier bei meinem Opa, bei der ein Verwandter eine blöde Bemerkung machte, die auf eine möglicherweise schlechte Erziehung bei mir hindeuten sollte. So schön von hinten durchs Ohr und durch die Nase wieder raus mit einem bunten Blümchen dran...

Mein Vater stand auf, ging auf den Mann zu und stellte ihn zur Rede. So etwas liess er nicht auf sich sitzen. Es wurde laut - mein Vater konnte sehr laut werden und war eine stattliche Erscheinung - und kurz darauf zogen die blöden Typen von dannen. Die Feier war geschrottet, aber das war ihm egal. Meiner Mutter war die Sache mehr als peinlich, aber ich glaube dass sie letztlich im Nachhinein sogar auch ein wenig stolz auf ihn war.

Er war geradeheraus, sagte was zu sagen war, ein ehrbarer, fleissiger Mann. Über die Jahre und Jahrzehnte hatte er sich hier etwas aufgebaut und er war stolz darauf. Es war klein aber fein. Jeder seiner Arbeitgeber lobte ihn in den höchsten Tönen und wenn er einmal eine Stelle wechselte, waren die Chefs immer sehr traurig darüber.

Ja, so war das...
 
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