Mahabharata

Mahabharat 3. Buch

Kapitel 205 – Über Eltern, Kinder und die Tugenden von Frauen -2

Frauen, die nur einem Herrn zugetan sind,
die immer die Wahrheit sprechen
und eine Schwangerschaft für viele Monate aushalten müssen
– gibt es etwas Härteres als das?​
Frauen entbinden unter großen Schmerzen und Gefahr und ziehen ihre Kinder mit größter Liebe auf.

Wer seine Pflichten erfüllt, mag er auch in grausame Taten verwickelt sein (wie das Töten von Tieren)
und sich damit allgemeinen Hass aufladen,
vollbringt meiner Meinung nach etwas außerordentlich Schweres.

Erzähl mir auch von den Pflichten der Kshatriya (Krieger) Kaste, oh Zweifachgeborener,
denn es ist so hart, Tugend zu erlangen, indem man den grausamen Pflichten seiner Kaste folgt.
Oh Heiliger, du kannst alle Fragen beantworten, und ich möchte deine Antworten hören.
Voller Respekt warte ich auf deine Worte, oh Bester des Bhrigu Geschlechts.
 
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Kapitel 205 – Über Eltern und Tugend

Markandeya sprach: ... Manche erachten die Mutter als das Höchste, andere den Vater. Die Mutter bringt die Kinder zur Welt und zieht sie groß, was schwieriger ist. Väter dagegen wünschen sich Kinder,
indem sie asketische Buße üben, die Götter ehren, Kälte und Hitze ertragen, Mantras rezitieren und vieles mehr.

Und wenn sie nach all den Schmerzen endlich Kinder bekommen haben, was so schwer ist, dann sorgen sie sich ständig um die Zukunft ihrer Nachkommen. Beide, Vater und Mutter, wünschen sich Ruhm, Erfolg, Wohlstand, Tugend und Nachkommen für ihre Kinder.

Wer die Hoffnungen seiner Eltern erkennt, ist tugendhaft (materiell gesehen). Und mit wem die Eltern zufrieden sind, der erlangt sich ewigen Ruhm und Tugend, sowohl jetzt als auch später.

Was nun die Frauen anbelangt, da sind weder Opfer noch Sraddhas oder Fasten von entscheidender Wirksamkeit.
Nur durch den Dienst an ihren Ehemännern können sie sich den Himmel (materielle, zeitweilige Errungenschaft) gewinnen.
 

Kapitel 206.1 – Kausika und der Vogel

Markandeya erzählte:
Einst lebte ein tugendhafter Asket namens Kausika, welcher hingebungsvoll die Veden mit allen Zweigen und den Upanishaden studierte und ein hoher Brahmane war. Eines Tages saß er rezitierend unter einem Baum, auf dem sich ein Kranichweibchen niedergelassen hatte. Und auf einmal geschah es, daß das Kranichweibchen den Brahmanen beschmutzte. Dies erzürnte Kausika und er dachte daran, den Vogel zu verletzen. Doch schon unter dem wütenden Blick des Brahmanen fiel das Kranichweibchen vom Baum und lag tot auf dem Boden. Dies erregte sofort des Brahmanen Mitleid, und er begann den toten Kranich zu beklagen:
Weh, ich habe aus Zorn und Böswilligkeit eine schlimme Tat begangen.

Wieder und wieder klagte er so und betrat wenig später ein Dorf, um Almosen zu erbitten. Auf seiner Runde betrat er ein Haus mit Menschen edler Abstammung, welche er bereits kannte.

Am Eingang sprach er: Gib.
Und eine weibliche Stimme antwortete ihm: Bleib.
Während die Hausfrau damit beschäftigt war, die Schale zu säubern, in welcher die Almosen gereicht werden, kam ihr Ehemann nach Hause und hatte großen Hunger.
 

Kapitel 206.1 – Kausika​


Die züchtige Ehefrau sah ihren Gatten, und kümmerte sich zuerst um ihn mit Wasser zum Waschen von Füßen und Gesicht und einem Sitz, den Brahmanen hinten an stellend. Und nachdem die dunkeläugige Dame ihrem Herrn köstliches Essen und Trinken gebracht hatte, stand sie demütig neben ihm, auf all seine Wünsche wartend. Denn diese gehorsame Dame aß täglich nur die Reste vom Teller ihres Ehemannes.

Sie benahm sich immer nach den Wünschen ihres Gatten und betrachtete ihn als einen Gott in Gedanken, Worten und Taten. Alle Zuneigung ihres Herzens galt ihrem Gatten und immer war sie beschäftigt, ihm zu dienen. Auch war ihr Verhalten tugendhaft, heilig und geschickt in allen häuslichen Dingen. Sie war aufmerksam zu den Verwandten und handelte immer zum Wohle und zur Freude ihres Ehemannes. Mit gesammelten Sinnen ehrte sie die Götter und kam den Bedürfnissen von Gästen, Dienern und Schwiegereltern nach.

Als nun die hübsche Dame auf die Wünsche ihres Ehemannes wartete, entdeckte sie den auf Almosen wartenden Brahmanen. Sogleich erinnerte sie sich wieder, dass sie ihn gebeten hatte zu bleiben, und schämte sich. Hastig nahm die pflichtbewusste und ruhmreiche Frau etwas Essen und brachte es nach draußen, um es dem Brahmanen zu geben.

Als sie vor Kausika trat, sprach der: Oh gesegnete Dame, ich bin überrascht von deinem Verhalten. Erst batest du mich zu warten, und dann hast du mich vergessen.

Die züchtige Dame sah, wie wütend und vor Energie strahlend der Brahmane war, und suchte ihn sogleich zu besänftigen:
Oh Gelehrter, es frommt dir wahrlich, mir zu vergeben. Mein Ehemann ist für mich der höchste Gott. Er kam hungrig und müde heim, und es war an mir, ihm zu dienen und ihn zu versorgen.

Kausika fragte sie daraufhin:
So erachtest du Brahmanen nicht der höchsten Achtung für würdig? Du schätzt deinen Ehemann höher ein? Du führst ein häusliches Leben und missachtest Brahmanen? Indra (der Herr der Himmlischen) selbst verbeugt sich vor ihnen, was sollte dann für die Menschen auf Erden gelten? Du hochmütige Frau, weißt du denn nicht und hast es nie vernommen, dass Brahmanen wie Feuer sind und die ganze Erde vernichten können?
 

Kapitel 206.3 – Kausika und die Ehefrau

Darauf antwortete ihm die Dame:
Ich bin kein Kranichweibchen, oh Zweifachgeborener. Oh du mit dem Reichtum an Askese, wirf deinen Zorn ab. Was können deine erregten Blicke mir tun? Ich missachte die Brahmanen nicht. Sie gleichen den Göttern mit ihren energiereichen Seelen. Und so ziemt es sich für dich, mir meinen Fehler zu vergeben.

Ich kenne die Energie und hohe Würde von weisen Brahmanen. Die Wasser aller Flüsse können durch den Zorn von Brahmanen brackig und ungenießbar werden. Ich kenne auch die Energie der Munis, die ihre Seelen unter vollkommener Kontrolle haben und mit leuchtendem asketischen Verdienst angefüllt sind. Ihr zorniges Feuer ist im Dandaka Wald bis zum heutigen Tage nicht gelöscht.

Weil der große und übelgesinnte Asura-Gott Vatapi die Brahmanen missachtete, wurde er von Agastya verdaut. Wir alle haben hier gehört, wie groß die Macht und der Verdienst von hochbeseelten Brahmanen ist. Doch so groß ihr Zorn auch sein mag, ihre Vergebung ist ebenso groß. So vergib mir, oh Sündenloser, wenn ich dich warten ließ. Mein Herz ist dem Verdienst zugeneigt, der aus dem Dienst an meinen Gatten kommt. Denn ich achte ihn als den Höchsten unter allen Göttern.

Bester Brahmane, dies ist meine Tugend und mein Dienst an der Gottheit. Und bedenke nur den Verdienst, der mit solcher Hingabe verbunden ist. Ich weiß, dass du den Kranich im Zorn getötet hast. Doch der Ärger, oh bester Zweifachgeborener, den ein Mensch hegt und pflegt, ist sein größter Feind.

Die Götter erkennen in dem den Brahmanen,
der Zorn und Leidenschaft überwunden hat,
der immer die Wahrheit spricht,
seinen Lehrer erfreut und niemals andere verletzt,
auch wenn er selbst gekränkt wurde.
 

Kapitel 206.3 – Kausika und die Ehefrau


Die Götter erkennen den Brahmanen,
wenn jemand seine Sinne unter Kontrolle hat,
tugendhaft, rein und dem Studium der Veden hingegeben ist,
und dabei Zorn und Wollust gemeistert hat.

Die Götter nennen den einen Brahmanen,
der die Moral kennt, mentale Energie hat, umfassend die Vorgeschriebene Pflicht und auf alle mit gleichen Augen schaut.

Die Götter kennen den Brahmanen,
der studiert und andere lehrt, der Opfer ausführt,
bei den Opfern anderer hilft und aus besten Kräften gibt.

Die Götter erkennen den Bullen unter den Zweifachgeborenen,
der mit großzügiger Seele dem Brahmacharya (Keuscheitsgelübde) Gelübde folgt,
und achtsam und eifrig dem Studium, vor allem der Veden, hingegeben ist.
Was immer dem Glück eines Brahmanen dient, wird von ihnen verkündet.

Das Herz eines solchen Menschen erfreut sich an der Wahrhaftigkeit und findet kein Vergnügen an Unaufrichtigkeit.
Oh bester Brahmane, es wird gesagt, dass
das Studium der Veden,
Frieden der Seele,
Einfachheit im Benehmen
und Rückzug der Sinne
die ewigen Pflichten eines Brahmanen sind
.

Auch die Gelehrten meinen, dass Offenheit und Ehrlichkeit die höchsten Tugenden sind.
Doch ewige Tugend ist schwer zu verstehen.
Was immer sie auch sein mag, auf jeden Fall gründet sie sich in Wahrheit.
Die Vorväter haben gesagt, Tugend basiert auf Sruti (heilsames Hören),
doch sie erscheint dort auf verschiedene Weisen und ist subtil im Verständnis.

Doch Heiliger, obwohl du das Studium der Veden betreibst, Tugend übst und rein bist, so meine ich fast, dass du nicht weißt, was Tugend wirklich ist. Gehe nach Mithila und erkundige dich nach dem tugendhaften Vogelfänger, wenn du nicht wirklich erkannt hast, was die höchste Tugend ausmacht.

Dieser Vogelfänger in Mithila ist wahrhaft, dem Dienst an seinen Eltern hingegeben und zügelt seine Sinne auf vollkommene Weise. Er wird dich über die Tugend belehren. Sei gesegnet, oh bester Zweifachgeborener. Und reise nach Mithila, wenn es dir beliebt. Oh Makelloser, es ziemt sich für dich, mir zu vergeben, wenn ich etwas gesagt haben sollte, was dir unangenehm ist. Doch wer wahrlich Tugend erlangen möchte, könnte niemals eine Frau verletzen.

Nach diesen Worten der pflichtbewußten Ehefrau sprach Kausika:
Ich bin zufrieden mit dir. Sei gesegnet. Mein Zorn ist verraucht, oh Schöne.
Deine Rügen sind von größtem Vorteil für mich.
Gesegnet bist du, oh Schöne, doch nun werde ich gehen und vollbringen, was mir förderlich ist.

So nahmen die beiden Abschied. Kausika verließ das Haus und kehrte in sein Heim zurück, sich selbst Vorwürfe machend.
 

Kapitel 207 – 1 Kausika wird vom Vogelfänger über Tugend belehrt

Markandeya fuhr fort:
Kausika mußte Tag und Nacht an die wundersamen Worte der Frau denken und schämte sich dabei sehr.
Er meditierte über die feinen Wege von Moral und Tugend und sagte sich:
Ich sollte mit Respekt die Worte der Dame annehmen und nach Mithila reisen. Sicher lebt dort dieser Vogelfänger mit kontrollierter Seele und großem Wissen über die Mysterien von Tugend und Moral.
Noch heute werde ich loswandern zu diesem asketisch Reichen, um ihn über die Tugend zu befragen.

Er hatte Vertrauen in die Dame gewonnen, denn sie hatte um den Tod des Kranichweibchens gewusst. Auch schätzte er ihre vorzügliche Rede von tugendhafter Bedeutung und machte sich also neugierig auf die Reise. Er durchwanderte viele Wälder, Städte und Dörfer und gelangte endlich nach Mithila, die Stadt, welche von Janak regiert wurde. Mithila war eine wunderschöne Stadt mit vielen Flaggen der unterschiedlichsten Traditionen. In ihr hörte man beständig die Geräusche vieler Opfern und Festivals.
 

Kapitel 207 – 2 Kausika wird vom Vogelfänger über Tugend belehrt

Mithila hatte prächtige Torwege und viele palastähnliche Häuser, mit denen gut prahlen war. Stattliche Mauern umschlossen die Stadt und ihre vielen Fuhrwerke. Straßen und Plätze waren wohl beschaffen und mit bunten Geschäften gesäumt. Überall sah man Elefanten, Pferde und Krieger mit ihren Streitwagen.

Die Bürger waren fröhlich und gesund und immer zum Feiern aufgelegt. Kausika betrat die Stadt und sah sich alles genau an. Dann erkundigte er sich nach dem tugendhaften Vogelfänger und bekam von einigen Zweifachgeborenen (Eingeweihten) den Weg gewiesen. Er folgte ihrem Rat und erblickte schon bald den Vogelfänger, wie er auf dem Hof eines Fleischers saß. Dort verkaufte er Wildbret und Büffelfleisch.

Viele Käufer hatten sich um ihn versammelt, so daß Kausika etwas abseits wartete. Doch als der Vogelfänger den Brahmanen erblickte, begriff er, dass jener zu ihm gekommen war. Er erhob sich sogleich von seinem Sitz, trat vor Kausika und sprach:

Ich grüße dich, oh Heiliger. Sei willkommen, bester Brahmane. Ich bin der Vogelfänger. Sei gesegnet. Befiehl mir, was ich für dich tun kann. Ich kenne die Worte der keuschen Ehefrau, als sie zu dir sprach: „Geh nach Mithila.“ Und ich weiß auch um den Grund deines Kommens.
 
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Kapitel 207 – 3 - Kausika wird vom Vogelfänger über Tugend belehrt

Staunend lauschte Kausika den Worten des einfachen Mannes und dachte dabei:
Dies ist schon das zweite Wunder, welches ich sehe.

Dann sprach der Vogelfänger erneut:
Du befindest dich an einem Ort, der dir kaum angemessen sein kann. Oh Sündenloser, wenn es dir beliebt, so lasse uns zu mir nach Hause gehen, oh Heiliger.
Der Brahmane stimmte freudig zu: So sei es.

Und die beiden gingen zum Hause des Vogelfängers, der Brahmane immer voran. Das Haus sah entzückend aus, und der Vogelfänger bot seinem Gast einen Sitz und Wasser zum Waschen von Gesicht und Füßen an. Gern nahm der Brahmane an und saß alsbald entspannt auf seinem Lager.

Dann sprach Kausika zum Vogelfänger: Es scheint mir, dass dieser Beruf gar nicht zu dir passt.
Oh Vater, ich bedaure zutiefst, dass du solch grausamem Gewerbe folgen musst.
 


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