Haris schrieb:
die Ohnmacht beginne ich langsam kennenzulernen - es bricht alles in mir auseinander und dann wird es alles ganz unkontrolliert, teilweise sehr schön, wie Fallen, oder wenn es leer wird ganz unbeschwert, aber ich begegene auch tiefer Angst, Todesangst, Horrorvisionen, schreckliche Albträume - es passiert, sobald ich wirklich "loslasse", mich nicht mehr ablenke, stehenbleibe und hinschaue - mich selbst aushalten, stehenbleiben, nicht ausweichen anschauen, loslassen, das ist das schwierigste
Ich weiss. Und das ist nur der Anfang. Du wirst mit allem konfrontiert werden, was deine Persönlichkeit an Reaktionen aufzubieten hat: Schamgefühle, Ängste (bis hin zu Todesängsten oder Angst davor, endgültig überzuschnappen), Übellaunigkeit, Traurigkeit, Schlafstörungen, Wahrnehmungsstörungen und viele andere nette Dinge mehr. Ich habe es alles erlebt. Und es dient alles, jede einzelne Reaktion, einzig dem Zweck, dich davon abzulenken, wie unsäglich banal und gewöhnlich die Existenz eigentlich ist. Es war eine der schwierigsten und schmerzvollsten Erfahrungen meines Lebens zu erkennen, dass in meinem Leben buchstäblich gar nichts stimmte. Ich war diesem Gerede von wegen Erleuchtung, und "man kann es nicht in Worte fassen" und dergleichen lange Zeit aufgesessen. Schau es dir ganz genau an: Es ist eine Szene. Wie zum Beispiel die Künstlerszene oder die Fussballfanszene. Es gibt genaue Regeln, die man einzuhalten hat, damit man "dazugehört" zu denen, die "die Erfahrung bereits gemacht haben".
Die Attribute dieser Szene bestehen darin, dass man sich spirituell gibt. Man meditiert. Man liest sich durch ganz bestimmte Bücher (ich kann dir hier gerne eine ganze Zeile aufzählen, die man als echter Sucher gelesen haben muss). Man geht vielleicht an Satsangs. Man redet davon, wie beschränkt doch die Sprache sei, wie unmöglich es doch sei, "Gott" in Worte zu fassen, welcher ja "sowieso in jedem von uns wohnt". Man benutzt ganz bestimmte Begriffe wie Bewusstsein, Leerheit, u.ä. dauernd, ganz genau wie in diesem Thread hier. Schau es dir genau an: Auf diesen Blödsinn bin ich einmal hereingefallen.
Bei mir brannten damals, wenn ich das so ausdrücken kann, komplett alle Sicherungen durch, als ich das Spiel zu durchschauen begann. Welches ich überdies einzig mit mir alleine spielte - die anderen waren blosse Statisten darin, die mir das nötige Material lieferten, an welchem ich dann geistig zu nagen hatte. Das war ganz und gar nicht lustig oder beglückend, ich hatte Phasen, in welchen ich einfach nur gelähmt auf dem Bett lag, und nicht in der Lage war, auch nur einen Finger zu rühren, weil mich alles unglaublich ankotzte. U.G. Krishnamurti (nicht zu verwechseln mit J. Krishnamurti, dem bekannten und in der Spirituellenszene hochgeschätzten Buchautor) benutzt dafür den Begriff "existentieller Brechreiz". Ich konnte es einfach nicht fassen, dass ich mich ständig, mein ganzes Leben lang, selbst belügt hatte. Ich hatte immer gehofft, dass da irgendwie "mehr" sein muss, dass da irgendwas kommen müsste, eine Erkenntnis, eine Erleuchtung oder ein Wissen oder was auch immer sonst.
Und natürlich hatte ich das dann immer auf eine ferne, ferne Zukunft projiziert. Weit weg, irgendwann mal, wenn ich nur genug <Inhalt einfügen> gemacht hätte. Aber so klar hatte ich mir das eben nicht eingestehen wollen, zumindest nicht am Anfang. Irgendwann kam ich an den Punkt, wo einfach alle diese Konzepte bröckelten, sich in Schall und Rauch auflösten, und zwar endgültig. Ich hatte ein Leben lang mein Leben oder mein Lebensglück auf eine imaginäre Zukunft verschoben - die nirgendwo existiert und niemals existieren wird. Das war psychisch für mich die schwerste Zeit, die ich jemals durchgemacht habe. Und alles schöngeistige Gerede über Leerheitserfahrung oder derlei entpuppte sich einfach nur als ein dummer, hohler Witz. Kein einziger Mensch hat jemals eine Erfahrung von Leerheit gemacht, das kannst du mir glauben (brauchst aber nicht, wenn du nicht willst, es ist deine eigene Entscheidung). Ich habe keine Idee, wovon die da alle wirklich sprechen, aber es ist definitiv nicht das, was sie behaupten, dass es sei. (Vermutlich sind es irgendwelche Konzepte, von denen sie glauben, dass sie wahr seien, weil sie sich irgendeinen speziell exotischen Touch geben wollen oder dergleichen.)