Woher kommt also diese Verurteilung, Verdammung von Judas als Bösewicht?
Schließlich ist seine "Rolle" in dem Kreuzigungs- und damit Auferstehungskontext wohl sozusagen die wichtigste Nebenrolle.
Judas tat etwas und kam für sich selbst mit den Folgen seiner Tat nicht klar. Erkannte seinen "Fehler". Und zog selbst, alleine für sich die Konsequenzen. Was ethisch betrachtet eigentlich durchaus eine authentische und reife Leistung ist.
Und zugleich durchaus "modern", als "learning by doing". Auch wenn heute bei dieser Art des ("Leben"-)Lernens doch gerne versucht wird, allfällige Nebenwirkungen, Konsequenzen und Folgen elegant zu umgehen. Oder zumindest als Verantwortung anderer, keinesfalls aber als seine eigenen zu erkennen. So gesehen hätte Judas sogar ein Art Vorbildwirkung, was die Konsequenz und Eigenverantwortung betrifft.
Ich möchte da ein wenig an den Ausgangspunkt anknüpfen. Die Frage ist ja eigentlich etwas untergegangen.
Jemand trifft eine Entscheidung. Handelt aus eigener bester Absicht. Die stellt sich aus der momentanen Sicht als Fehlentscheidung heraus.
Judas muss also Jesus durchaus sehr geliebt haben, das wollte er anscheinend nicht. Rechnete offensichtlich damit, dass Jesus im Falle der Ergreifung in seine Macht ginge. Quasi, dass aus Annakin Darth Vader wird. Sich selbst befreien würde. Wie auch immer. Dann der Schock: Der tut das nicht. Der nimmt das an. Wehrt sich nicht einmal. Was ist los?
Die Erkenntnis: meine Schuld. Ich war das, mein Versagen. Reue, nur was tun? Schuld frisst einen auf. Von innen. Dazu der Schmerz. Der selsbtverschuldete Verlust des Anderen.
Die eigene Ohnmacht, Hilflosigkeit, und der eine, der bisher Halt bot, ist nicht mehr da. Jesus. Der Fall ist tief. Kein Boden mehr unter den Füßen.
Aussichtslos. Sinnlos. Die Last der Verantwortung erdrückt einen. Das war, das bin ich. ich bin schuld! Und es tut so weh. Der eigene Schmerz. Viel zu weh. Wie wird man den nur los? Indem man sich selbst loswird.
Täter, Opfer, Richter, Henker in einem.
Ethisch, menschlich, vollkommen korrekt.
Japanisches Seppuku ist damit völlig ident, die eigene Ehre, die der Angehörigen wird durch den Freitod widerhergestellt. Ups, Ehre?
Der erwungene Freitod eines Generalfeldmarschall Rommel nach dem misslungenen Putschversuch gegen Hitler ist im Prinzip auch in dieser Nähe.
Wie vieles aus einer auch in Europa existenten Vergangenheit, die gerade mal seit 70 Jahren ruht, aber zuvor jahrhundertelang Gang und Gäbe war. Duelle basieren darauf. Ebenso wie die hohe Minne des Mittelalters.
Ehre hat Vorrang vor dem eigenen Leben. Die eigene, die der Gemeinschaft.
So gesehen ist unsere Gesellschaft eine der Feiglinge. Der Krämerseelen. Manager. Der Geldes. Die Wiederauferstehung des goldenen Kalbes.
Schon aus dem Mittelalter her gibt es die Verwalter und die Besitzer. Und die Verwalter versuchen immer eines, sich zu ihrem Vorteil zu bereichern. Heute heißen sie Manager und sind mitunter mächtiger als Politiker. In Indien gab es die Kriegerkaste, und die Händlerkaste. Völlig unvereinbar, was Ideologie und Werte betrifft. Judas war ein Krieger. Der einzige vermutlich in der Gefolgschaft von Jesus.
Warum also wurde Judas quasi dämonisiert? Frage ich mal. Von einer christlichen Gesellschaft, die trotzdem an der Kriegerethik über beinahe zwei Jahrtausende festhielt? Ist doch irgendwie schizophren. Was Judas betrifft. Aber auch, was das Christentum selbst betrifft.
Das große Dilemma, Frieden, Liebe predigen, aber mit rücksichtslosester Gewalt, Kreuzzügen, Inquisition und Folter durchsetzen. Pervers. Eigentlich.
Judas ist, wurde zum Schatten von Jesus. Zum verdrängten. Und als Schatten übermächtig. Er, als Person kann nichts dafür. Aber, die historisch gesehene Kirche ist eigentlich eher eine von Judas überschattete als die von Jesus. Psychologisch gesehen.
Der eine steht im Licht. Dahinter die "graue, unsichtbare, Eminenz". Der nicht erlöste Judas. Als unerlöster Geist quasi, aber doch real in aller Macht. Die trotzden um vieles stärker wirkt. Satan. Im Prinzip.
Das nicht gelärte, eigene Dunkle, das dadurch, dass Judas der Sündenbock wurde, (Nebenbei dann auch noch, weil namentlich so nahe daran, alle Juden) ins Außen projiziert wird, und damit auch nicht auflösbar, erlösbar ist.
Die Sabotage von Jesus. Die in uns allen geschieht. Unmerklich, subtil, aber irgendwann beugen wir das Knie.Vor Sachzwägen, Druck von anderen, eigenen Interessen, brauchen das Geld,... Werden Verräter. An uns, an anderen.
Werden wieder Judas. Zunächst in bester Absicht, und irgendwann ist es zu spät. Dann sind wir es. Und haben die Wahl, uns der eigenen Verantwortung zu stellen, oder sie zu verdrängen, womit Judas wieder stärker wird. In uns.
Der Krieg tobt noch immer. Ist das Christentum die Religion des Judas, oder die des Jesus?
Jesus kann erlösen, das ja. Oder Gott, was mir persönlich lieber ist. Wenn jemand bereit ist, den eigenen Judas im Spiegel zu erblicken, und es annehmen kann. Bereit ist, die Last selbst zu tragen.Das eigene Kreuz.
Dann ist Erlösung, Auflösung möglich. Vorher nicht. Und deshalb nützt auch ein gläubiger einseitiger Jesusfanatismus nicht viel, wenn die eigenen Schatten stärker sind, weil sie verdängt bleiben. Will ich keinem nehmen, gar nicht. Aber es behindert in der Einseitigkeit nunmal die eigene Ganzwerdung.
Unser aller Segen und Fluch ist es, wir können sowohl Monster als auch Heilige sein. Beides alleine sind Ausschläge eines Pendels.
Es in der Mitte, in der Balance anzuhalten, das ist der Trick. Die Lösung. Die Erlösung. Und es dann, selbst wieder in Gang zu kriegen.
Ist dann ein wenig anders, auch wenn es augenscheinlich gleich wirkt.
Die Wahrheit tut mitunter sehr weh. Ohne sie geht es nicht. Gerade nicht ohne die eigene.
Dann werden Judas und Jesus wieder eins. Können es werden. In einem selbst.