Ne, Leopold, so einfach kommst du hier nicht davon. Hier richtet jeder jeden. Mal freundlich, mal unfreundlich. Wenn du glaubst, du könnest hier sozusagen das unbescholtene Lamm spielen, den frommen Heiligen, den sanften Jünger Gottes, irgendeinen solchen Archetypen, den du für die angemessene Strategie hältst, der tatsächlichen Unberechenbarkeit des Lebens zu begegnen - dann wird hier dein Versuch zu Verschleierung der Überheblichkeit deines religiösen Narzissmus und deine Aggressivität im Umgang mit Mitmenschen gerichtet. Und zwar von Menschen wie mir.
Das Beunruhigende ist: Es ist gar nicht die Stimme Gottes, die du vernimmst. Selbst wenn du die Bibel liest, ist es nicht nicht seine Stimme. Jedenfalls in den meisten Fällen nicht. (Es mag den seltenen Moment geben, wo es tatsächlich die Stimme Gottes ist, aber von denen gibt's erfahrungsgemäss nur wenige unter frommen Christen.) Es ist ganz im Gegenteil bloss deine eigene Stimme, die du im leeren Raum verhallen hörst.
Du sprichst einzig und alleine dauernd nur mit dir. Die anderen hörst du gar nicht. Weder Gott noch deine Mitmenschen. Weil du sie gar nicht hören willst. Das ist der Narzissmus, von dem ich spreche. Er ist eine Krankheit, die weit verbreitet ist unter all jenen Menschen, die sich selbst als besonders religiös und fromm definieren. Und sie ist unheilbar, weil der Narzissmus in der Lage ist, jegliche Kritik von aussen, egal ob gut gemeint oder nicht, zu assimilieren. Alle Gegenstimmen sind jene Satans. Alle Fürstimmen sind jene Gottes. Und die Wahl, ob es eine Gegenstimme oder eine Fürstimme ist, die fällst immer wieder du selbst. Darum stellst du dich sowohl über Gott als auch über Satan, denn du bist derjenige - nicht sie - welche die Wahl trifft, ob er irgendwo Gottes oder des Teufels Stimme vernimmt.
In der Regel sind solche Menschen dann fast nicht mehr irgendwie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Da muss dann schon eine krasse Sache passieren, wie etwa, dass die eigenen Kinder die religiöse Gemeinschaft verlassen. Und dann wird die Frage endlich existentiell: Kinder oder eigener Narzissmus? Das ist dann so eine der wenigen Chancen, einer der wenigen Momente, in denen der echte Gott dem Menschen eine Botschaft schickt, die er dann hören oder eben auch nicht hören kann.
Also, Leopold. Du siehst, so einfach ist das alles hier nicht. Zu glauben, du könntest mit deiner Masche hier auftauchen und so einen coolen, frommen Missionar spielen, das zieht bei mir nicht. Ich hab genug von Typen wie dir in meiner Kindheit gesehen, das kannst du mir glauben. Und ich weiss auch, was aus ihnen im Verlaufe des Lebens wird. Die meisten werden vernünftiger, aber längst nicht alle.