Hallo @Plissken,
Da ich einer jener bin, die da unten unten in der Dunkelheit Deiner Grafik zu den Nicht-Wissenden gehöre, habe ich dazu ein paar Fragen:
1. Was muss ich mir hier in diesem Zusammenhang unter dem diffusen Begriff eines Äons vorstellen?
2. Woher wissen die da unten im Dunkel sitzenden Menschen, was da oben im Licht alles geschieht? Woher möchte zum Beispiel jemand wissen, was mit Jesus nach seiner Auferstehung geschah?
3. Woher möchte ein Mensch wissen, ob da ganz oben an der Spitze tatsächlich ein unaussprechlicher Gott in seinem Reich thront?
4. Ist dieser Unaussprechliche etwa der Vater und wo soll ich den anderen unaussprechlichen Gott aus dem Alten Testament ansiedeln?
5. So frage ich mich auch, auf welcher Position in dieser Grafik sich ein Gnostiker zu sehen glaubt?
Ich fürchte, dass bei manchen dieser Fragen, das Wissen an seine Grenzen stößt und letztlich nur noch das Glauben übrig bleibt.
Merlin
Zu 1. – Unter
Äonen sind in der Gnosis Entitäten zu verstehen, die gleichzeitig ein unbegrenzter Ort, eine Seinsebene und eine übergöttliche Wesenheit sind. Die Äonen gehören zu einer übersinnlichen Welt. Sie sind immaterielle Wesen, hypostasierte (personifizierte) Ideen. Zusammen mit der Quelle, aus der sie stammen, bilden sie das
Pleroma ("Region des Lichts"). Nach
Valentinus brachte das Urwesen oder
Bythos nach Zeitalter der Stille und Kontemplation durch einen Emanationsprozess die Äonen hervor. Diese existieren paarweise als androgyne
Syzygien. Durch den Fall der Sophia kam es zu einer Trennung von Männlichkeit und Weiblichkeit (
Sexualsystem), was nicht dem ursprünglichen Ideal entspricht.
Zu 2. – Die Menschen, die in der physischen Welt leben, können in der Tat nichts wissen darüber, was sich in den oberen Regionen abspielt, außer es wird ihnen von oben mitgeteilt (Offenbarung). Wer eine
Offenbarung bekommen soll, liegt ausschließlich im Ermessen der Gottheit (Vater). Die wichtigste Offenbarung wurde den Menschen durch
Jesus gebracht. Jesus brachte die Wahrheit in
drei Stufen:
1. Stufe „typisch und mystisch“ – für die meisten Menschen verständlich und mit den Worten des Gesetzes assoziiert;
2. Stufe als „Parabeln und Enigmen“ –nur für die Apostel bis zu einem gewissen Grad;
3. Stufe „klar und direkt“ (die nackte Weisheit) – nur für die Apostel, aber diesmal im Klartext. Über diese Gespräche im Klartext, die Jesus mit seinen Aposteln führte, berichtet die
Pistis Sophia.
Zu 3. – Es gibt viele Wege, um zu erfahren, dass "ganz oben an der Spitze tatsächlich ein unaussprechlicher Gott in seinem Reich thront", wie du es ausdrückst. Durch die
platonische und neoplatonische Philosophie erfahren wir, dass es einen höchsten unaussprechlichen Gott und einen niederen Gott (Demiurgen) gibt. Durch
Jesus, der über weite Strecken über den Vater sprach. Durch
gnostische Schriften, die erkenntnisreich und überzeugend den Vater darstellen. Siehe dazu:
Apokryphon des Johannes,
Tractatus Tripartitus,
Evangelium Veritatis, um nur einige zu nennen. Eine weitere sehr interessante vorgnostische Schrift ist die
Corpus-Hermetikum-Sammlung, insbesondere das erste Buch "
Poimandres".
Zu 4. – Jesus sagte: "
niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will." (Matthäus 11,27). Mit anderen Worten: "Der Gott (Jahweh), den ihr geglaubt habt zu kennen, ist nicht der wahre Gott. Den wahren Gott kennen nur ich und diejenigen, denen es gegönnt wurde, diese Erkenntnis von mir zu empfangen. Für alle anderen ist der wahre Gott ein fremder Gott." Das ist übrigens nur ein Beispiel für die wahre
esoterische Bedeutung der Worte Jesu, die man erst durch einen bestimmten Code "entziffern" kann.
Dass der Vater nichts mit Jahweh zu tun hat, wusste bereits
Marcion im 1. Jhd. Dazu kann man seine
Antithesen lesen. Demnach ist Jahweh ein Pseudogott. Er herrscht über die Region der Mischung und glaubt, der einzige Gott zu sein, weil er den fremden Gott nicht kennt. Wie ein Handschuh nicht die Handbewegung bestimmt, sondern die Hand, ist Jahweh jedoch nur ein ahnungsloses Instrument der göttlichen Vorsehung des Vaters. Er befindet sich daher im
13. Äon, dem Ort der Gerechtigkeit (Mosaische Gesetze, Zehn Gebote), und ist gleichfalls erlösungsbedürftig wie die Menschen.
Zu 5. –
Pneumatiker/Gnostiker (geistig orientierte Menschen),
Psychiker (mental orientierte Menschen) und
Hyliker (materiell orientierte Menschen) befinden sich mit ihrem Körper im selben Ort: dieser Welt. Nach dem Tod verändert sich die Lage jedes einzelnen von ihnen aber dramatisch. Während die Seele von Psychikern und Hylikern durch die
Diener der Archonten ergriffen, gereinigt und für unzählige Zyklen wieder inkarniert wird, sieht sich die Seele des Pneumatikers von speziellen Wesen aufgenommen, die
Paralemptoren heißen. Ihr Anführer ist
Melchisedek. Die Paralemptoren bringen die Seelen an den Archonten vorbei in den 13. Äon. Dort werden sie gereinigt und mehrere Male getauft, bis sie dessen würdig sind, vor der
Lichtjungfrau zu erscheinen. Diese beurteilt ihren Reinigungsgrad und bestimmt die weitere Vorgangsweise. Alle erretteten Seelen werden im 13. Äon angesammelt, bis sie für das Sakrament des
Brautgemachs bereit sind, wo sie mit ihren Partnern gepaart werden. Anschließend steigen sie auf und gelangen sie in die
Schatzkammer des Lichtes, wo ewige Ruhe und Seligkeit auf sie wartet.