Ich glaube, dass Problem ist nicht dass man lernen müsste sich zu schätzen, sondern das Gegenteil zu lassen. Man kann das natürlich nicht einfach durch einen Knopfdruck abstellen. Es sind Automatismen, genau wie Ängste (grundlegend sind es Ängste). Die Probleme die Du beschreibst, Ängste im Umgang mit anderen, Selbstzweifel usw. haben ihren Ursprung in Erfahrungen und einer automatischen Analyse dieser Erfahrungen. Automatisch bedeutet soviel wie "emotional-unbewusst"... auf der Basis von Angst.
Der wesentliche Punkt ist, diese Automatismen zu verstehen. Die sind verständlich, sind in sich logisch und sie funktionieren auch. Aber oft nur im Sinne von "vermeiden" und oft im Konflikt mit dem was man eigentlich will. Würde Dir z.B. ein echter Traumtyp begegnen, Dich interessiert ansprechen und Du extrem schüchtern und gehemmt reagieren... Dann funktioniert diese "Strategie" (der Automatismus) durchaus in Bezug zu Deinen Ängsten. Du wirst vermutlich nix falsches sagen, ihn nicht verärgern --> es geschieht keine Katastrophe. Aber möglicherweise funktioniert es nicht in dem Sinne, das er weiter Interesse hat... vielleicht sagt er "Ciao" und das wars.
Wärst Du ein Roboter der sein eigenes Betriebssystem auf dem Monitor sehen würde, würdest Du einfach einiges korrigieren, Situationen anpassen usw. Aber Du kannst diese Programme nicht sehen... Du erfährst sie. Du kannst sie nur erkennen, wenn Du Dir bewusst anschaust was in Dir geschieht. Du wirst das wahrscheinlich schon zum großen Teil geleistet haben... Diese Zusammenhänge sind Dir ja nicht komplett unklar. Aber da liegt noch zuviel im Dunkeln, vieles das sehr emotional ist (mit Leid verbunden) und Dich aus den Tiefen heraus steuert. Oberflächlich gesagt: Angst, Unsicherheit usw. Aber was Angst/Unsicherheit begründet, weißt Du nur zum Teil.
Vielleicht ziehst Du den Schluss, dass Du Angst hast abgelehnt zu werden, aber möglicherweise weißt Du nicht was andere eigentlich an Dir ablehnen könnten... da ist dann einfach Unsicherheit ohne zu wissen warum. Viele Kids z.B. einfach Angst die falschen Schuhe zu tragen und kaufen sich die die gerade angesagt sind. Das funktioniert... ebenfalls im Sinne von "verschieben", aber für die jeweilige Situation kann es Sicherheit bringen. Oder Du weißt, das Du vieles an Dir ablehnst... Aber nicht was genau und warum. Übrigens ist Selbstablehnung immer "nur" ein Ablehnen bestimmter Aspekte. Ablehnung führt dann zu innerer Spannung die sich auf irgendeine Art und Weise entlädt. Und dieses Entladen geschieht wieder auf der Basis dieser Ängste. "Ritzen" aus dem anderen Thread ist ein Beispiel. Drogen sind eins. Essen... auch im Forum schreiben oder Horrorfilme oder Schnulzen gucken usw. Das alles ist immer ein Ausdruck innerer Spannungen. Und dieser Ausdruck erfolgt auf die Art wie er motiviert ist. Damit meine ich: Wenn man sehr vorsichtig ist, ständig denkt etwas falsch zu machen usw., wird der Ausdruck der dadurch erzeugten Spannung auch eher vorsichtig sein. Du wirst z.B. sicherlich nie den Rat befolgen Deinem Bruder eine reinzuhauen

Aber Du schreibst über ihn. Das ist ebenfalls ein Ausdruck dieser erzeugten Spannung und der momentanen Unfähigkeit (nicht als Wertung gemeint) damit umzugehen. Abgesehen davon: Jeder handelt fast ausschließlich aufgrund innerer Spannung durch Ablehnung und Angst vor Ablehnung. Vieles ist Vermeidung. Auch in kleinsten alltäglichen Details...
Was ich aber eigentlich schreiben wollte:
Es gibt eine simple Methode, die nicht schaden kann. Die funktioniert so, dass Du Dir eine andere Person vorstellst, eine Art leere Fläche ohne viele Eigenschaften, aber vorerst fehlerlos. Es geht bei "andere Person" hauptsächlich darum, möglichst eine gewisse Distanz zu erzeugen. Am besten einen Mann (da Du eine Frau bist)... Dieser Mann ist komplett frei von allen Sorgen und Ängsten. In Situationen, in denen Du das Gefühl hast vieles falsch zu machen und jede Menge Sorgen und Ängste hast, ist der komplett frei davon und handelt intuitiv richtig... der ist sozusagen perfekt (keine konkret-positiven Eigenschaften, aber eben keine "Mängel").
Jetzt kommt der wichtige Punkt: Du stellst ihn Dir in einer Situation vor, die für Dich problematisch ist/wäre. Sagen wir eine Situation mit Deinem Bruder. Und jetzt stellst Du Dir vor, Du "schickst" ihm Deine Ängste die bei ihm sofort ankommen. Genau die Gedanken die Dich in einer solchen Situation belasten und... Du achtest sehr genau darauf was das für Gedanken sind, wie sich das anfühlt. Du fühlst sozusagen mit diesem Typen den Du Dir vorstellst. Du siehst was er denkt, weil Du es ihm "schickst". Du siehst wie er sich in die Emotionen verstrickt und sie sein Handeln und Sprechen schlagartig beeinflussen. Das beobachtest Du ohne es zu bewerten. Ist nur eine Art lehrreicher Film den Du ablaufen lässt.
Dabei geht es nicht um irgendeinen magischen Glauben, man würde Probleme los indem man sie einer Fantasiefigur schickt, sondern um die Distanz beim Beobachten und Verstehen. Wenn Du versuchst Dich selbst zu beobachten, wirst Du sehr schnell in diese Muster reingezogen. Man beobachtet dabei v.a. drei Ebenen:
- Gedanken... was glaubt die "Fantasiefigur" was sie falsch machen könnte?
- Emotionen..... was ist die Emotion (möglichst genau identifizieren. Es ist selten "nur" Angst.. da ist oft auch Wut und Scham dabei usw.)
- Ausdruck nach Außen .... wie beeinflussen die Überzeugungen und Emotionen das Handeln und jede Form von Kommuniktation?
Man stellt sich dabei nur eine kurze Sequenz vor. In einer kurzen Situation wirklich in die Tiefe zu gehen bringt mehr als viele Situationen eher oberflächlich anzuschauen. Und ich würde nicht mit etwas anfangen, dass sehr intensiv ist. Also vielleicht nicht wirklich eine Situation mit Deinem Bruder. Eher etwas einfacheres, dass Dir zwar wichtig ist, aber nicht so extrem. Vielleicht ein Kennenlernen mit irgendwem der Dir (Deiner Fantasiefigur) in der U-Bahn oder sonstwo begegnet. Bewusst deutlich denken ist dabei wichtig. Anders gesagt: Nix zurückhalten... eher übertreiben als sich zurücknehmen. Lass die Figur Gedanken und Emotionen ausleben. Also z.B. "OH GOTT... ER KÖNNTE........VON MIR DENKEN" --> Angst...Scham... ---> extreme Schüchternheit ---> Gar kein Handeln, keine Kommunikation
Man kann es auch abwandeln: Leere Fantasiefigur vorstellen und die Frage stellen: Was müsstest Du alles in sie "hineinlegen" an Ängsten und Emotionen, Überzeugungen und bzw. aus Erfahrungen, damit sie sich haargenau so fühlt und so ist wie Du, und in jeder Situation genau so handelt wie Du? So kann man den eigenen "Mustern" auf die Spur kommen.
Eigentlich ist es ziemlich egal, welche Methode man anwendet. Es gibt jede Menge dieser Art. Eine die etwas nüchterner und analytischer ist: Man schreibt ganz oben ein Problem auf, z.B. "Ich schätze mich selbst nicht/Ich verurteile mich selbst sehr oft". Und man fragt einfach nur "Warum?" Und dann schreibt man jeden Gedanken auf der einem kommt. (Um Distanz auch da reinzubringen kann man sich auch fragen: "Wovon könnte "jemand" in dieser Situation überzeugt sein?" Dann schaut man sich diese Überzeugungen an und fragt sich: Halte ich das wirklich für wahr? Ist das so? Man bewertet die Überzeugung von:
"Nein.. glaube ich gar nicht = 0"
bis hin zu
"Absolut wahr... so sicher wie das Aufgehen der Sonne = 10".
Diese "Wahrheits-Bewertung" macht man rein vom Gefühl her... da kann man nix falsch machen. Dann bewertet man sie nach Negativität: 0 = ist nix falsch das es so ist/so zu sein scheint (es sind alles Überzeugungen, keine Wahrheiten) bis 10 = katastrophal. Beides nicht zergrübeln. Kurz fragen: Bin ich sehr davon überzeugt oder nicht so? Finde ich das sehr schlimm oder nicht so? Und ne Zahl... erst mal nur nach Gefühl. Bewusst ins Blaue hinein sozusagen.
Man hat dann also ein Problem oben stehen und Begründungen warum das so ist und warum es wahr ist... alles was einem einfällt... Und auch da nicht großartig nachgrübeln. Einfach Assoziationen schreiben. als Beispiel:
"Ich verurteile mich selbst ständig"
- Weil ich heute mal wieder nicht abgespült habe (10/2)
- Weil ich ständig alles falsch mache (5/9)
- Weil ich .........
Das ich nicht abgespült habe ist z.B. sehr wahr (10) aber nicht so wirklich tragisch/negativ (2), mache ich eben morgen. Das ich ständig alles falsch mache ist eher nicht komplett wahr (5), aber da wo es wahr ist, ist echt zum Kotzen (9)... Das ist das Prinzip.
Und dann hinterfragt man jeden dieser Punkte auf die gleiche Art. Zum Abspülen fällt mir nur ein: "Ist eben so... und muss ich dann eben morgen machen." damit ist der Punkt erledigt ....... Hätte ich gleich irgendwen vor der Tür stehen den ich zum Essen eingeladen habe, wäre das schon wieder anders.

Dann würde nur hinter dem Punkt übrigens jede Menge stecken, wenn ich das als Problem ansehe (ist mir peinlich... warum eigentlich... und dann gehts sehr tief). Das ich "immer alles falsch" mache... Da steckt dann definitiv jede Menge hinter, wenn ich das schon glaube. Auch wenn es nicht komplett wahr ist, muss da ja einiges sein, was diesen Gedanken überhaupt aufkommen ließ. Könnten z.B. Erinnerungen sein, wo man dies und jenes verbockt hat, mit viel Emotionen dahinter usw. Das wäre dann ein Punkt der vermutlich ne ganze Latte an neuen Unterpunkten ergibt... (die man wieder hinterfragen kann). Man schaut damit sehr in die Tiefe. Und auch wenn man glaubt, das endet bei einigen Punkten nie... es ist endlich. Und manches spielt dann schnell keine Rolle mehr. Das kann man fühlen.
Auf die Art kann man viel Ballast wegräumen. Allerdings gibt es ein Problem: Es fühlt sich zum Teil mies an und man macht dann genau das, was einem im Alltag oft Probleme bringt. Ich z.B. gebe gerne mal wütend auf. Früher war ich berühmt dafür beim Lernen zuerst meine Bücher vom Tisch zu fegen und dann joggen zu gehen. Wenn ich so eine Methode mache, kommt auch sehr oft irgendwann ein Punkt, wo ich den Block wegschmeiße und verärgert aufgebe, weil ich Perfektion will was soviel wie bedeutet (funktioniert komplett und sofort

) Und man muss sich da nicht zu weit treiben. Das kann man sich schon erlauben. Wichtig ist aber darauf zu achten wie man sich fühlt wenn man es tut (aufgibt). Ist es Wut auf sich ("Ich Idiot kriege es nicht hin"), mehr Enttäuschung ("Die Methode funktioniert nicht, obwohl ich doch soviel Hoffnung hatte") usw. Das kann man dann noch schnell drunterkritzeln bevor man aufgibt.
Das (warum und wie man aufgibt) ist sehr Aussagekräftig. Etwas pathetisch könnte man sagen: Das ist der Fluch unter dem man fast ständig steht. Zumindest bei allem im Leben das mies läuft. Wut auf sich ist Selbstverurteilung und man kann sicher sein, dass man das im Alltag oft "macht". Enttäuschung weil die Methode nicht funktioniert ist Abschieben von Verantwortung. Dann ist irgendwas oder irgendwer Schuld ("Condemn hat mir ne scheiß Methode gegeben, mit der ich jetzt 10 Minuten meines Lebens verschenkt habe!!!

) Hoffnungslosigkeit ist Angst vor Handeln.. usw.
Meistens ist es ein Gemisch. Wut auf sich selbst und "schämen" geht z.B. oft Hand in Hand. Wut darauf das die Methode Mist ist und Hoffnungslosigkeit das man je etwas finden wird das hilft, geht oft Hand in Hand. Dabei sind alle Kombis denkbar. Wichtig ist dabei: Auf sich selbst gerichtet oder eher nach "außen"? Da hat man ein Hauptproblem vor sich. Wenn man das durchanalysieren will geht das extrem in die Tiefe und sehr lange ist es ein Kreislauf. Von Aufgeben aus Wut wird dann meistens ein Scheitern mit genau dem Resultat.
Der wesentliche Punkt dabei ist: Man muss diese Dinge bewusst durchleben und fühlen. Anders gesagt: Macht man es nicht, konfrontiert einen das Leben mit genau dem, bis man es macht/durch hat. Daher hat man auch einen dicken roten Faden im Leben... "Ich gerate immer an den Falschen." ...."Egal was mir Erfolg bringen soll..ich scheitere." ...."Egal wem ich vertraue, er hintergeht mich" usw. Eben genau das wo man wirklich das Gefühl hat, dass das Schicksal ein böses Spiel mit einem treibt. Und man würde nicht glauben, was sich da für Gemeinheiten aufeinanderstapeln können. Da hört man auf an Zufall zu glauben.
Was ich damit sagen will ist: Die Methoden funktionieren sogar dann wenn man aufgibt, solange man es bewusst tut. Man muss nur wieder Anlauf nehmen. Und diese Methoden sind nur Beispiele. Das Prinzip ist immer dasselbe.
Damit komme ich mal zur "Lehre der Geschichte": Bewusstmachen.. ist im Grunde alles. Einfach, aber nicht leicht.
VG,
C.